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Komponisten
Unkonventionelle Klänge aus Asien

Verlage und Labels stellen sich ein auf neue Interessenten und bemühen sich um zeitgenössische Komponisten mit Wurzeln in China, Korea und Japan. In diesem Zusammenhang stehen drei aktuelle Veröffentlichungen mit Künstlern, die längst die europäische Szene bereichern.

Von Frank Kämpfer | 06.07.2014
    Zwei Hände dirigieren ein Orchester.
    Die Präsenz von zeitgenössischer Musik aus Fernost ist alles andere als überwältigend, aber sie wächst. (picture-alliance / dpa / Hermann Wöstmann)
    Ihre Präsenz ist alles andere als überwältigend, aber sie wächst. Von Einzelstück zu Einzelstück erweitert sich der Horizont zeitgenössischer Musik aus Fernost auf dem globalen Tonträgermarkt. Um es präziser zu sagen: europäische Verlage und Labels stellen sich ein auf neue Interessenten und bemühen sich um zeitgenössische Komponisten mit Wurzeln in China, Korea und Japan. In diesem Zusammenhang stehen die folgenden drei aktuellen Veröffentlichungen mit Künstlern, die längst die europäische Szene bereichern. - Am Mikrofon Frank Kämpfer, ich stelle Ihnen heute neue CDs mit Musik von Misato Mochizuki, Ming Tsao und Toshio Hosokawa vor.
    Musik 01
    Sojo no choshi (10. Jahrhundert)
    Misato Mochizuki, 4D
    Mdi ensemble. Ltg. Yoichi Sugiyama
    CD NEOS 11403, LC 15673
    Es ist ein Statisches, dem ein Pulsieren entwächst, in dem wiederum wie aus dem Nichts individuelle Gebilde aufscheinen; Klangpunkte, Farben, gestisches Material. Was erklingt, scheint wie gemacht, ein Entstehen zu illustrieren - den Umschlag von Energie in Materie, die Schöpfung, den Anfang des Weltalls. Historisch betrachtet, liegen gut eintausend Jahre zwischen den zwei verschiedenen Kompositionen, deren Nacheinander diesen Effekt provoziert: Der statische Klang zu Beginn entstammt dem Spiel einer japanischen Sho, die hier eine Gagaku-Musik interpretiert, ostasiatische Kunstmusik des 10. Jahrhunderts. In ihrem Ausklang beginnt eine große Ensemblemusik, deren drei verschiedene Sätze zwischen 2002 und 2006 entstanden. Urheberin Misato Mochizuki will mit ihrer "Etheric Blueprint Trilogy" nichts Geringeres, als die sicht- und fühlbare Welt mit all dem nicht Wahrnehmbaren dahinter verbinden. Sie will genau dieses Dahinter thematisieren, mittels Klang suggerieren. Inspiriert ist die japanische Komponistin unter anderem von dem Philosophen und Theologen David Bohm, dem zufolge unsere gegenwärtige Realität einen bestimmten Entwicklungszustand des Weltraumes darstellt. Satz Eins, betitelt "4D", versteht sich nicht als rationales Abbild, vielmehr als intuitive Annäherung an etwas, das existiert, aber nicht ohne Weiteres wahrnehmbar ist.
    Satz Zwei, "Wise Water", ist ein Stück über das Wesen des Wassers. Mochizuki, ehemalige Kompositionsschülerin von Paul Méfano und Emmanuel Nunes, bezieht sich hier auf Theorien von Masaru Emoto; der japanische Parawissenschaftler - so schreibt die Komponistin im Booklet - vertrete die Ansicht, Wasser besäße ein Vermögen, sich zu erinnern - je nach seinem Weg durch Erde und Luft modifiziere es wie ein Gedächtnis seine Struktur.
    Ihre Faszination an Phänomenen des Elementaren und übersinnlichen Erfahrungen, ihr Interesse für Geheimnis und Bau der umgebenden Dinge, nicht zuletzt die Überzeugung vom göttlichen Weltenplan - all dies inspiriert Misato Mochizuki und prägt ein Komponieren, das gleichfalls ein Universum darstellen will. Der Finalsatz ihres Triptychons zielt auf den Äther, die Atmosphäre - als Medium der Träume, Wohnort der Götter, als Wirkensort entfesselter Natur. Mochizukis musikalische Sprache ist gut nachzuvollziehen, wie Filmmusik auf höchstem Niveau. Sie meidet alle Asien-Klischees; zugrunde liegt ihrer Musik ein deutlich spürbarer Puls, stilistisch schließt sie auch Jazz-Idiome mit ein.
    Musik 02
    Misato Mochizuki, Etheric Blueprint
    Mdi ensemble. Ltg. Yoichi Sugiyama
    CD NEOS 11403, LC 15673
    Misato Mochizuki - "Etheric Blueprint Trilogy". Eingespielt im vergangenen Jahr in Yokohama durch das Mailänder mdi ensemble unter der Leitung von Yoichi Sugiyama; erschienen ist die Produktion bei NEOS in München. Bemerkenswerterweise hat Mochizuki ihrer knapp dreiviertelstündige Trilogie wie schon eingangs erwähnt auf der CD Gagaku-Musik vorangestellt, japanische Kunstmusik aus dem 10. Jahrhundert, die Sho-Virtuosin Mayumi Miyata interpretiert. Ein Album, das über die Fachwelt der neuen Musik hinaus weitere Hörerkreise ansprechen könnte, ohne leichte Unterhaltung zu sein.
    Jenseits konventioneller musikalischer Formen und Klänge
    Musikalisch weitaus fragiler, philosophisch zudem widersprüchlicher arbeitet Ming Tsao. 1966 geboren in Berkeley, Kalifornien, erlernte der chinesisch-amerikanische Komponist früh das Spiel von Violine und Bratsche, dann aber auch die chinesische Griffbrettzither Quin. Er studierte Ethnomusikologie, ebenso elektronische Komposition. Dieser geradezu bipolare Spagat in seiner Jugend mag heute die Basis sein für ein Komponieren, das sich jenseits konventioneller musikalischer Formen und Klänge bewegt.
    Sehr treffend "Pathology of Syntax" ist Tsaos neue, bei Mode Records in New York erschienene Platte betitelt, die sechs Ensemblekompositionen jüngeren Datums enthält. Das Gemeinsame an ihnen ist, dass sie allesamt Spannungsgefüge zwischen Geräuschen und Klängen darstellen und ausloten. Ming Tsao untersucht komponierend Mikrostrukturen musikalischen Vokabulars und stößt auf Rätselhaftes, Instabiles, permanent Veränderliches. Was eigenschöpferisch dabei entsteht, wirkt seinerseits grenzwertig, offen - derweil Tsao sich geradezu dekonstruktivistisch auf die Meister der europäischen Klassik beruft. In "The Book of Virtual Transcriptions" zum Beispiel wähnt sich der Komponist von Mozarts Oboenquartett inspiriert, derweil er den Bläsern gedämpfte, verstimmte Klänge vorschreibt. "(Un)cover" nimmt umgekehrt Bezug auf Beethovens Opus 111, vermittelt indes ein rastlos nervöses Warten auf etwas. "One-Way-Street", ein zweifellos leichter erschließbares Stück, reiht kaleidoskopisch verschiedene instrumentale Artikulationen; man kann sie als Imitate verschiedener musikalischer Sphären verstehen und hört so zum Beispiel die chinesische Zither, dann amerikanische Straßenmusik. Zuletzt mündet die Einbahnstraße beredt in eine globalisierte Maschinenmusik.
    Musik 03
    Ming Tsao, One-Way-Street
    Ensemble recherche
    CD Mode 268, LC 29022
    "One Way Street" - hier dargeboten vom Freiburger Ensemble recherche. Diese und fünf weitere Ensemblekompositionen des Amerikaners Ming Tsao finden sich auf einer bei Mode Records editierten CD, die sich aus Aufnahmen mit verschiedenen süddeutschen Formationen wie zum Beispiel Surplus, ascolta oder eben recherche rekrutiert. Neue Musik als Kunst - ein Hineinhören lohnt!
    Unendliches Strömen
    Was ist asiatische neue Musik? Wie klingt sie, was macht sie aus? Ist das Besondere an ihr eine exotische Prise Folklore, die Beigabe von Tradition? Gibt es einen eigenständigen Beitrag Ostasiens zur Avantgardemusik?
    Musik 04
    Toshio Hosokawa, Landscape V
    Arditti Quartett, Myumi Miyata (Sho)
    CD WERGO, WER 67692, LC 00846
    Toshio Hosokawas kompositorische Antwort auf die Frage nach der Moderne Asiens verblüfft. Der japanische Komponist verweist heute darauf, sich in seinem künstlerischen Tun stets eines besonderen Atems und Strömens gegenwärtig zu sein - jener Lebens- und Ur-Energie Ki, die im Japanischen wie im Chinesischen den gleichen Namen hat. Der einstige Schüler von Brian Ferneyhough und Ysang Yun musste sich solche Positionen erarbeiten. Als junger Mann war Hosokawa ausschließlich europäisch orientiert - sein Lehrer Klaus Huber stieß ihn auf die traditionelle Musik seiner Heimat; Hosokawa erlernte das Spiel der Mundorgel Sho und verwendete deren quasi nahtlosen, unendlichen Klang in eigenen Kompositionen.
    Charakteristisch für Hosokawas Musik ist nicht nur das kontinuierliche Fließen, das auf- und abschwillt, auf Kontraste verzichtet und Entwicklungen in der Zeit äußerst dehnt. Den Komponisten beschäftigt die Phänomenologie der Klänge: Europäischen Instrumenten entringt er Klangqualitäten asiatischer. Experimentell erzeugte Geräusche und in der Natur erfahrene Laute (und deren Wiedergabe auf Musikinstrumenten) bilden für ihn ein Spannungsgefüge - letztlich aus westlicher Avantgarde und östlicher Tradition. Beider Kenntnis macht den Komponisten zu einem Mittler, Grenzgänger. Hosokawa, Jahrgang 1955, beruft sich künstlerisch auf die alte fernöstliche Einheit von Mensch und Kosmos, Himmel und Erde, Stille und Klang. Zugleich reflektiert er - wie Bookletautor Dirk Wieschollek ausführt - "die schmerzhafte Zerrissenheit moderner Subjektivität im Spiegel religiöser Überlieferungen und traditioneller Klangidiome".
    Das letzte Klangbeispiel entstammt einer neuen CD mit Streichermusik Hosokawas, die das Arditti Quartett für das Label WERGO im SWR eingespielt hat. Die eben skizzierten Charakteristika - das unendliche Strömen, die in die Tiefe gearbeiteten Melangen des Klangs - finden sich in allen sechs Kompositionen. In "Landscape V" für Sho und vier Streicher verschmelzen allmählich zwei einander ähnliche musikalische Farben. In "Landscape II" findet sich ein beständiges Oszillieren, das mit geräuschhaften Schlägen korrespondiert. In "Fragmente II" für Flöte und Streichquartett erinnert die Altflöte an die Bambusflöte Shakuhachi, die Streicher rücken in die Nähe der Langhalslaute Shamisen. Der Unendlichkeit entspricht ein leiser Bordunton, der das ganze Stück subtil grundiert. Das hört sich so an:
    Musik 05
    Toshio Hosokawa, Fragments II
    Toshio Suzuki, Flöge - Arditti Quartet
    CD WERGO WER 67692, LC 00846
    "Fragmente II" von Toshio Hosokawa. Diese und andere Kammermusik finden sich auf einer neuen CD mit dem Arditti Quartet, die beim Label WERGO erschien. Zuvor habe ich Ihnen eine Mode in New York erschienene CD mit Werken Ming Tsaos sowie Misato Mochizukis bei WERGO editierte Arbeit "Etheric Blueprint" angespielt. Soweit "Die neue Platte", ausgewählt von Frank Kämpfer.