Labuhn: Lassen Sie uns einmal die Punkte der Reihe nach betrachten, Herr Glogowski. Die CDU hat es also in Hessen offenbar geschafft, mit ihrer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Gegner dieses Gesetzesvorhabens praktisch vollständig für sich zu mobilisieren. Hat die SPD im Vorfeld die Brisanz dieses Themas falsch eingeschätzt?
Glogowski: Nein. Eingeschätzt worden ist es schon als ein wichtiges Thema, das auch sehr emotionell ist. Ich habe auch im Vorfeld immer darauf hingewiesen, daß es das beste ist, daß man hier zu einem Konsens kommt, denn das Auseinanderdividieren insbesondere der großen Parteien hat ja auch viele Probleme für Minderheiten in unserem Lande. Man muß wissen, bis tief in das sozialdemokratische Lager hinein, in der Arbeiterschaft ist dies ein Thema, das die Menschen spaltet. Darum hätte man von Anfang an stärker, so denke ich, aufeinander zugehen müssen, CDU und SPD. Die CDU wird auch Probleme haben, daß sie die Geister, die sie gerufen hat, nicht wieder los wird. Das ganze kann sich ja schnell verselbständigen. Darum müssen die Vernünftigen in der CDU um so mehr mit dafür sorgen, daß es jetzt zu einem Kompromiß kommt. Die Chance ist da!
Labuhn: Die Reform des antiquierten deutschen Staatsbürgerschaftsrechts, Herr Glogowski, ist überfällig. Das räumen ja auch Konservative durchaus ein. Aber wie, ohne zugleich Wasser auf die Mühlen dumpfer Ausländerfeindlichkeit zu gießen, auch in Kreisen der SPD-Arbeiterschaft?
Glogowski: Es geht nach meiner Einschätzung, wenn wir das machen, was von Rheinland-Pfalz vor einiger Zeit schon, vor über einem Jahr in den Bundesrat eingebracht worden ist. Das ist auch ein Optionsmodell. Das hat natürlich auch wieder verfassungsrechtliche Probleme, aber es wäre eine Möglichkeit, sich einander zu nähern, wo eben mit 23 Jahren verlangt wird, sich zu entscheiden für oder gegen die Staatsbürgerschaft, das heißt also die zweite Staatsbürgerschaft abzulegen. Wichtig ist ja bei dieser Frage: Es gibt keine Mehrheit von rot/grün in dieser Frage im Bundesrat. Also muß es zu einem Kompromiß kommen. Das schlimmste was passieren würde wäre, daß gar nichts gelöst würde, alle auf ihren Positionen beharren würden und am Ende keine Veränderung herauskäme. Ich denke, das wäre dem Thema und den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht angemessen.
Labuhn: Gehen Sie davon aus, daß dieses Thema, das ja im hessischen Landtagswahlkampf außerordentlich emotional behandelt worden ist, wieder rational betrachtet und in der Öffentlichkeit eingeschätzt werden kann?
Glogowski: Die vernünftigen Leute sowohl in der Koalition in Bonn wie aber auch in der CDU haben eine gute Chance, es rational wieder hantierbar zu machen, denn es ist ja auch eine gewisse Ernüchterung eingetreten nach dieser Hessen-Wahl. Ich gebe dem also eine Chance. Ich jedenfalls werde weiterhin daran arbeiten, es zu einem Kompromiß zu bringen, denn schon seit dem Asyl-Kompromiß und seit den Auseinandersetzungen, die es damals gegeben hat, etwa in Form brennender Ausländerwohnheime, weiß ich, daß solche Themen schnell auch entgleiten können. Wir dürfen es uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht erlauben, ein solches Thema so zu emotionalisieren, daß es entgleitet. Es würde auf dem Rücken von Minderheiten, nämlich den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, ausgetragen.
Labuhn: Ein weiterer Streitpunkt in Bonn, der sicherlich nicht ohne Auswirkungen auf die hessische Landtagswahl geblieben ist, Herr Glogowski, das war das Verhalten von Bundesumweltminister Trittin in Sachen Atomausstieg. Hat das die Wahlchancen der rot/grünen Koalition in Wiesbaden beeinträchtigt?
Glogowski: Ich denke, daß damit ein Stück Unkalkulierbarkeit in ein ganz zentrales Thema, das auch sehr viele Arbeitsplätze berührt, hineingekommen ist. Es geht ja nicht nur um den Ausstieg. Der muß und soll auch sein und muß auch verabredet werden. Es geht vielmehr darum, daß wir dieses verläßlich machen, nicht unnötige Kosten bei der Industrie ansammeln, denn wir alle müßten diese bezahlen, daß wir den Franzosen und Engländern, also unseren Partnern gegenüber verläßlich bleiben. Trittin hat hier mit dem Feuer gespielt, und ich denke, er hat ein wenig mit dazu beigetragen, das zu ernten. Es ist aber, so meine ich, eine Aufgabe von rot und grün insgesamt. Und die Grünen müssen halt wissen, sie sind ganz in der Bundesregierung, nicht halb.
Labuhn: Sie kennen ja Jürgen Trittin, Herr Glogowski, aus gemeinsamer Regierungsarbeit in Niedersachsen. War Ihnen klar, was Trittin als Mitglied eines rot/grünen Bundeskabinetts bedeuten würde?
Glogowski: Ja!
Labuhn: Kölnen Sie das erläutern?
Glogowski: Trittin ist eben jemand, der sich gerne in dieser Art und Weise profiliert, der es durchaus auch versteht, Themen so anzugreifen, daß es die Emotionen hervorruft, der natürlich auch bei der Durchsetzung der eigenen politischen Interessen durchaus mit dem notwendigen Machtinstinkt arbeitet, alles nichts, was ich ihm persönlich vorwerfe, sondern was halt seine Art ist. Ich denke, es ist eine Aufgabe in Bonn, dies jeweils zu regulieren. Das kann nicht immer nur der Kanzler machen, sondern das muß schon von vornherein geschehen. Ich denke aber, Jürgen Trittin ist ein außerordentlich kluger Mensch und er wird daraus gelernt haben. Von daher bin ich guter Hoffnung für die Zukunft.
Labuhn: Hätten Sie als Bundeskanzler Jürgen Trittin mit ins Kabinett genommen?
Glogowski: Das ist eine Frage, die die Grünen zu klären gehabt haben, genauso wie die Sozialdemokraten ihre Ministerinnen und Minister zu klären haben. Von daher ist dies nicht eine Frage eines Kanzlers.
Labuhn: Zurück zur Hessen-Wahl, Herr Glogowski. Bundeskanzler Schröder hat sich überhaupt noch nicht zum Ausgang dieser Wahl geäußert. Enttäuscht Sie dieses Verhalten?
Glogowski: Nein. Das ist etwas, was eine Sache des Parteivorsitzenden ist, sich hierzu zu äußern, und der hat sich zu der Sache geäußert. Von daher habe ich dort keine Probleme.
Labuhn: Nun war doch aber diese hessische Landtagswahl offenbar auch ein Votum über die ersten 100 Tage der rot/grünen Bundesregierung. Wäre da nicht "ein Wort" des Bundeskanzlers angebracht gewesen?
Glogowski: Er ist nicht da, so daß er sich dazu auch nicht äußern kann. Er wird sicherlich Gelegenheit haben, das noch zu tun. Ich meine, dies ist keine Testwahl in dem Sinne über rot/grün. Es ist natürlich eine Wahl, die rot/grün auch bewertet, aber nicht eine Testwahl, sondern es ist doch eine hessische Landtagswahl gewesen. Ich lege als Ministerpräsident eines Landes sehr viel Wert darauf, daß unsere Landtagswahlen nicht jeweils nur als Testwahlen für Bonn gesehen werden, sondern es ist Ausdruck der Meinungsäußerung der Bevölkerung zu der jeweiligen Landesregierung. Das sind wir uns wert!
Labuhn: Wie muß die rot/grüne Zusammenarbeit in Bonn künftig aussehen, um zu verhindern, daß die dortige Regierungsarbeit erneut abstrahlt auf die Landespolitik und Landtagswahlen?
Glogowski: Man muß mit Augenmaß das, was man miteinander verabredet hat, auch unter Einbeziehung von zeitlichen Verzögerungen durchsetzen und in den Bundestag einbringen. Man muß dieses sorgfältig miteinander besprechen. Man muß die Möglichkeiten der Durchsetzung jetzt mehr noch als vorher über den Bundesrat kalkulieren und dann die Politik konsequent und in Ruhe fortsetzen. Ich denke, das was rot/grün auf den Weg gebracht hat, ist gut so wie es sich jetzt darstellt. Es ist hervorragend sogar und es wird in den nächsten Jahren besser werden. Wichtig ist, daß man sich die notwendige Ruhe läßt. Dort bin ich aber sicher: das wird jetzt auch eintreten!
Labuhn: Ist angesichts des Verlustes der SPD-Mehrheit im Bundesrat, Herr Glogowski, eine konsequente rot/grüne Reformpolitik auf Bundesebene überhaupt noch vorstellbar?
Glogowski: Sicherlich! Es ist ja nicht alles zustimmungspflichtig, was dort ist. Im übrigen haben wir ja auch noch eine ganze Reihe anderer Regierungen, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz. Die Freien Demokraten dort haben sich immer als sehr unabhängig erwiesen. Dort gibt es eine SPD/FDP-Koalition. Man muß eben Politik machen mit dem, was möglich und vernünftig ist. Ich sehe durchaus eine rot/grüne Politik in Bonn in den nächsten Jahren mit Erfolg sich gestalten. Angesichts der politischen Umstände, die wir haben, ist dies unter Umständen auch eine Frage von wenigen Monaten. Wissen wir, wie die nächsten Wahlen ausgehen werden?
Labuhn: Also der Zwang zum Konsens hat sich erhöht?
Glogowski: Ich sehe den Zwang zum Konsens in wichtigen Fragen sowieso. Der Bundesrat ist keine Zustimmungsmaschinerie für die Bundesregierung. Von daher muß es immer mit einer Mehrheit einen Konsens geben. Wir wissen nicht, wie wir am Ende des Jahres in den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat sind. Es ist, so denke ich, spannender geworden. Es fordert uns mehr, aber das kann ja nicht schlecht sein.
Labuhn: Heißt das nicht für die Bundespolitik, Herr Glogowski, ein bißchen polemisch formuliert, weiterwursteln mit neuen Gesichtern?
Glogowski: Nein. Das heißt, eine ganz konsequente Politik machen, die in wesentlichen Fragen auch ohne den Bundesrat umgesetzt werden kann, und auch eine mit dem Bundesrat. Man muß nicht immer den Eindruck erwecken, als wenn die Behandlung im Bundesrat letztlich dazu führt, daß gewurstelt wird. Das hat die CDU beim letztenmal schon gemacht, in der letzten Periode den Bundesrat immer als Blockadeinstrument dargestellt. Es handelt sich um ein Verfassungsorgan, das von sehr selbstbewußten Vertretern der Länder gebildet wird. Ich denke, man soll uns nicht immer so hinstellen, als wenn wir verlängerte Arme wären. Manches Gesetz ist durch den Bundesrat besser geworden, manches allerdings gar nicht erst auf den Weg gebracht worden.
Labuhn: Letzte Frage, Herr Glogowski, mit einem kurzen Blick auf die neue Opposition in Bonn verbunden. Was bedeutet der Regierungswechsel in Hessen eigentlich nach Ihrer Meinung für die Machtverhältnisse in der Union?
Glogowski: Er bedeutet, daß die Rechten in der Union mehr Chancen haben werden, und er bedeutet, daß die Union sehr aufpassen muß, daß sie die Mitte nicht total verliert, wie ja schon teilweise bei den letzten Wahlen. Dieses ist aber ein Weg, den sie zu beschreiten hat. Wir Sozialdemokraten sind weiter auf dem Marsch, die Mitte deutlich zu besetzen.
Labuhn: Haben Sie den Eindruck, daß das Konrad-Adenauer-Haus in Bonn von München aus ferngesteuert wird?
Glogowski: Es wird immer stärker von München aus ferngesteuert. Die Münchener haben mit ihrer Handschrift immer mehr Einfluß. Stoiber sonnt sich daran und freut sich darin. Dieses wird für die CDU nicht gut sein, aber es ist ganz einfach das, was die CDU erwartet, wenn sie nicht zum Beispiel in der doppelten Staatsbürgerschaft auch im liberalen Bereich Flagge zeigt. Dann wird das halt der Weg sein. Wir werden es sehen. Viele sehen ja in Stoiber schon den nächsten Kanzlerkandidaten. Ich denke, wir Sozialdemokraten werden das mit der notwendigen Gelassenheit abwarten, denn der bessere Kanzlerkandidat regiert.
Labuhn: Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Glogowski, SPD. Das Gespräch mit ihm haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.