Archiv


Kompromiss bei der Zuwanderung

Lange: Letzte Woche sah es noch so aus, als ob die Koalition das Zuwanderungsgesetz mit ihrer eigenen Mehrheit durch den Bundestag und mit dem Prinzip Hoffnung durch den Bundesrat bringen würde. Die Zustimmung der Union in Zeiten des Wahlkampfs würde man nicht einmal dann kriegen, wenn man das CSU-Programm Wort für Wort abschreiben würde. So formulierte es Innenminister Otto Schily. Aber SPD und Grüne haben sich am Wochenende eines anderen besonnen und über Kompromisslinien verhandelt, um zumindest der großen Koalition von Brandenburg die Zustimmung im Bundesrat zu ermöglichen. - Am Telefon ist nun Claudia Roth, die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Guten Morgen Frau Roth!

    Roth: Schönen guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Frau Roth, wie schwer ist Ihrer Partei denn dieser Schritt auf die Union zu gefallen?

    Roth: Natürlich ist es uns nicht leicht gefallen, noch einen Kompromiss vorzuschlagen, denn ich muss Ihnen sagen, der rot/grüne Gesetzentwurf, wie er bisher vorlag, war ja schon ein Kompromiss. Dieser Gesetzentwurf ist ja geschrieben worden, immer im Kopf dabei die Vorschläge von Peter Müller, der Vorsitzende der Zuwanderungskommission der Union, immer die Vorschläge im Kopf der Süssmuth-Kommission. Also wir wussten ja, wir brauchen die Mehrheit im Bundesrat, und wir wussten, es geht uns vor allem nicht ums Prinzip Hoffnung, sondern es geht uns darum, dass wir endlich in der Bundesrepublik Deutschland ein Zuwanderungsgesetz haben. Das war letztendlich dann auch der Grund zu sagen, wir versuchen es noch einmal. Wir gehen noch einmal auf die Union zu. Wir machen ein Angebot, das im Kern die Idee des Gesetzes erhält. Es wurde jetzt nicht, wie die Union im Bundestag wollte, das Gesetz ins Gegenteil verkehrt, sondern es bleibt dabei: die Einwanderung wird gestaltet, das Asylrecht wird geschützt, Schutzlücken werden überwunden und die Integration wird gefördert. Ich muss Ihnen sagen, Politikfähigkeit zeigt sich bisweilen durchaus auch durch Kompromissbereitschaft und Kompromissfähigkeit. Jetzt ist der Ball bei der Union und es gibt aus meiner Sicht keinen vernünftigen Grund und keinen zu begründenden Grund zu sagen, dieser Kompromiss ist nicht tragfähig für die Union.

    Lange: Sind das denn jetzt Änderungen in der Substanz oder sind das neue Überschriften?

    Roth: Nein, es sind keine neuen Überschriften. Wir haben uns die Forderungen von Herrn Stolpe angeguckt, der ja einige Forderungen gestellt hat, im Rücken Herrn Schönbohm. Wir haben uns tatsächlich bewegt und ich sage noch einmal: für uns Grüne war und ist das ganz schön schwierig. Aber es bleibt im Kern dabei. Zum Beispiel war ja eine Forderung, dass die Begrenzung in das Gesetz aufzunehmen ist. Nun haben wir gesagt gut, wir wollen Einwanderung steuern, damit wird sie auch begrenzt, aber sie soll auch ermöglicht werden. Sie soll nicht verhindert werden, sondern sie soll ermöglicht werden, sie soll gestaltet werden und es muss darum gehen, dass dieses Gesetz auch dazu dient, die humanitären Verpflichtungen voll zu erfüllen. Wir haben also etwas aufgenommen. Wir haben die Begrenzung mit aufgenommen, aber wir haben es nicht reduziert auf Begrenzung, sondern es ist beides, Steuerung ermöglicht und Gestaltung.

    Lange: Aber jetzt steht Zuwanderungsbegrenzung in dieser Präambel drin? Da gehört ja nun nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass zum Beispiel so eine Härtefallklausel von den Behörden vielleicht dann doch sehr restriktiv gehandhabt wird?

    Roth: Nein Herr Lange. Das war das Ziel mancher Unionspolitiker oder vor allem von Herrn Stoiber zu sagen, es soll um Null-Zuwanderung gehen, das Begrenzungsziel als alleroberstes Ziel nach vorne. Eigentlich wollen manche oder zumindest sagen sie es ein strikteres Ausländerrecht, als es Herr Schäuble 1990 noch gemacht hat. Das ist jetzt so ganz eindeutig nicht herauszulesen, sondern es ist Steuerung, damit auch Begrenzung, aber es ermöglicht die Gestaltung, die Öffnung von Zuwanderung. Das ist ja der ganz, ganz wichtige Punkt.

    Lange: Ich habe den Eindruck, dass Sie insgesamt ein bisschen zurückgefallen sind auf die Position, die Ihre Partei hatte, als Otto Schily mit seinem Gesetzentwurf kam. Waren diese ganzen Dinge, die Sie Otto Schily abgehandelt haben, im nachhinein umsonst?

    Roth: Nein, überhaupt nicht. Es ist zum Beispiel für uns ein Kernpunkt, übrigens nicht nur für uns Grüne. Wir sind dort ja gar nicht alleine in der Minderheit, sondern Forderungen, die wir jetzt die ganzen Monate und schon Jahre vertreten, werden ja von den Kirchen, von den Wohlfahrtsverbänden mit unterstützt, massiv mit unterstützt. Die waren ja immer an unserer Seite. Wir werden unterstützt im Bereich der Gestaltung der Einwanderung, von der Wirtschaft, von der Industrie, vom Mittelstand, von den Gewerkschaften. Ein Kern zum Beispiel war für uns immer die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung, dass also die Frau aus Afghanistan, die dort ihrer Rechte beraubt wurde, die gequält wurde, bei uns endlich einen festen und sicheren Status bekommt. Dagegen hat die Union immer polemisiert, aus meiner Sicht völlig unnachvollziehbaren Gründen. Das bleibt erhalten. Da sind wir nicht abgerückt. Das wäre auch wirklich nicht nachvollziehbar und unverantwortlich, denn mit der Regelung, die wir jetzt vorschlagen, entspricht Deutschland endlich dem, was in anderen Ländern auch Praxis ist. Wir haben nachgegeben - das muss ich sagen - im Bereich des Nachzugsalters für Kinder. Ich glaube da muss die Union sich auch fragen, warum sie dort so unendlich restriktive Forderungen gemacht hat. Aber wir haben gesagt gut, das ist einmal noch ein Kompromiss, der in Richtung Union geht. Es geht darum, bis zu welchem Alter Kinder von Migranten zum Beispiel in die Bundesrepublik Deutschland nachziehen können. Wir sind herunter von 14 auf 12 Jahre.

    Lange: Wo Otto Schily am Anfang schon mal war?

    Roth: Otto Schily war am Anfang dort. Die Union war zwischen drei und was weiß ich. Herr Teufel war bei drei Jahren angelangt, Herr Stoiber bei sechs, Herr Müller bei zehn. Wir haben jetzt 12 vorgeschlagen, aber wir haben Ermessensspielräume eingeräumt, dass es also möglich ist, dass Kinder zum Beispiel aufgrund des Kindeswohls oder der familiären Situation auch nach 12 Jahren nachreisen können. Das ist ein schwerer Kompromiss für uns Grüne, aber durch die Ermessensregelung denke ich ist es geöffnet. Wir haben eine Härtefallregelung eingeführt. Das entspricht einer langen Forderung der Grünen, aber auch zum Beispiel Herr Müller aus dem Saarland hat das gefordert, dass in ganz besonderen Härtefällen eine Kommission vorschlägt, Ausnahmeregelungen zu machen. Das wäre jetzt zum erstenmal möglich. Also auch Herr Müller, der ja noch vor Monaten ganz andere Töne von sich gegeben hat und mit ganz anderen Vorschlägen in der Debatte war, der muss sich jetzt gut überlegen, mit welchen Gründen er einem solchen Kompromiss nicht zustimmt. Ich gehe davon aus, wenn er glaubwürdig ist, dann muss er diesem Kompromiss zustimmen. Dann sind wir alle miteinander, obwohl es ein Kompromiss ist, weiter und haben endlich in diesem Land eine Zuwanderungsregelung, was uns auch nicht zuletzt im Vergleich mit anderen Einwanderungsländern konkurrenzfähig macht und was unsere humanitären Verpflichtungen endlich mal ernster nimmt, als es bislang der Fall war.

    Lange: Frau Roth, jetzt reden wir aber die ganze Zeit nur von der Union. Die PDS ist auch an der Regierung beteiligt. Die tritt für 18 Jahre ein, was Sie ursprünglich auch wollten. Wie wollen Sie denn verhindern, dass die jetzt von der Fahne geht?

    Roth: Die PDS muss sich natürlich auch die Frage stellen, inwieweit sie kompromissbereit ist. Noch einmal: durch eine Ermessensregelung im Kindernachzug meine ich, dass es auch für die PDS ein möglicher Kompromiss ist. Ich habe bisher wenig gehört an Einspruch von Seiten der PDS und der rot/rot regierten Länder. Wir haben jetzt als Grüne, als Koalitionspartner wirklich uns sehr bewegt, haben uns unglaublich angestrengt in langen, langen Verhandlungen. Ich erwarte jetzt auch vom Koalitionspartner, dass er dafür sorgt, dass SPD-mitregierte Länder ihre Zustimmung geben.

    Lange: Nun haben Sie sich ja doch etwas weiter von dem entfernt, was Ihre Partei ursprünglich wollte. Müssen Sie nicht fürchten, dass das vielen Ihrer Mitglieder jetzt doch über die Hutschnur geht, ausgerechnet in dieser Grünen-Domäne Ausländerpolitik noch so weitreichende Zugeständnisse?

    Roth: Herr Lange, wenn es so wäre, dass sich das Gesetz diametral in ein Gegenteil verändert, wenn es so wäre, dass wir Schutzlücken, die es gibt, nicht schließen würden, wenn es so wäre, dass wir aus einem Zuwanderungsgesetz ein Gesetz ohne Zuwanderung machen würden und uns hinstellen würden und sagen, das ist jetzt der Weißheit letzter Schluss, dann wäre es tatsächlich etwas, wo ich sagen würde, da haben die Grünen Kompromisse gemacht, die nicht zu rechtfertigen sind. So ist es aber nicht. Wir wissen es und wir wollen das seit Jahren. Für uns ist dieses Zuwanderungsgesetz ein wirkliches Reformprojekt. Es ist ein Modernisierungsprojekt und ein Projekt, das diese Bundesrepublik Deutschland zukunftsfähiger gestaltet. Ich kann mit sehr gutem Gewissen diesen Kompromiss vertreten. Ich werde natürlich sagen, wir hätten beim Kindernachzug eine ganz andere Vorstellung gehabt, und die Union muss sich fragen lassen, warum sie als Partei, die so viel von Familie und Kindern redet, in diesem Punkt so restriktiv ist. Aber jetzt ist der Ball an der anderen Seite und wir Grünen haben alles versucht zu sagen, wir sind bereit, dass es zu diesem Schritt kommt. Das würde Türen aufmachen in diesem Land, die bisher völlig blockiert sind. Das würde auch endlich überwinden eine Lebenslüge von Politikern, die behaupten, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Leider hat es der Kandidat Stoiber letzte Woche wieder behauptet. Das ist eine Verweigerung von Realität. Einwanderungsland Deutschland sind wir seit vielen Jahrzehnten. Das Problem ist, dass wir es jetzt endlich gestalten müssen. Wir Grünen können, wie ich glaube, endlich sogar stolz sein, dass wir uns als kompromissfähig erwiesen haben, aber jetzt müssen die anderen heran und jetzt gibt es überhaupt keine Ausrede mehr. Wir haben lange Monate diskutiert, wir haben debattiert. Die Union hat vor Monaten ihre eigenen Vorschläge unterbreitet und jetzt muss sie beweisen und auch die SPD-mitregierten Länder müssen es zeigen, ob es ein Ende der Blockade und der Verhinderung gibt und ob es tatsächlich darum geht, in Politikfähigkeit Verantwortung zu zeigen und dieses Land gemeinsam nach vorne zu gestalten, oder ob es um Ignoranz geht, oder ob es darum geht zu versuchen, ein sehr sensibles und sehr schwieriges Thema in Wahlkampfzeiten zu missbrauchen.

    Lange: Es hat jetzt einmal geklappt, die Grünen sozusagen von den Positionen etwas zurückzubringen. Das könnte ja auch dazu führen, dass man denkt das klappt noch einmal. Es ist auch noch nicht ausgemacht, dass die Union zustimmt.

    Roth: Nein, nein! Wissen Sie, Herr Lange, wir sind nicht von unseren Positionen abgebracht worden, sondern wir haben auf der Basis dessen, worum es uns geht, Kompromissbereitschaft gezeigt. Noch einmal: im Kern war das allerwichtigste, dass wir überhaupt mal eine Regelung für Einwanderung finden. Was die Union im Bundestag gemacht hat mit ihren berühmten 16 Punkten und 91 Änderungsanträgen, das war ein wirklich unmoralisches Angebot, ein fast ultimativer Erpressungsversuch, wo das ganze Gesetz ins Gegenteil verklärt werden sollte. Das ist so nicht, aber jetzt müssen die Vernünftigen Farbe bekennen und müssen sagen ja, wir machen es. Wenn sie nein sagen, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass es überhaupt nicht darum geht, dieses Land zu gestalten. Wir haben alles dafür getan. Wir sind überhaupt nicht umgefallen. Ich kann mit diesem Kompromiss leben, aber damit ist es jetzt auch vorbei. Es geht jetzt in den Bundestag und dann hat der Bundesrat zu entscheiden, ob er dem Gesetz die Mehrheit gibt. Es wird auch von unserer Seite aus kein Vermittlungsverfahren geben.

    Lange: Wir müssen jetzt einen Punkt machen, Frau Roth. Dieses Interview kommt dem Ende entgegen. Wir müssen abwarten, was aus der ganzen Geschichte wird. - Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio