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Kompromissloser Gegner des Regimes

Vor 100 Jahren wurde Helmuth James Graf von Moltke auf dem schlesischen Familiengut Kreisau geboren. Nach diesem Ort wurde auch der Kreisauer Kreis benannt, eine Gruppe von Gleichgesinnten im Widerstand gegen Adolf Hitler, die Moltke seit 1940 um sich scharte. Im Januar 1945 wurde Moltke zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Von Volker Ullrich | 11.03.2007
    60 Kilometer südwestlich von Breslau liegt das kleine schlesische Dorf Kreisau (heute Krzyzowa) mit einem Gutshof und einem Schloss, das der preußische Generalfeldmarschall von Moltke 1867 erworben hatte. Hier wurde am 11. März 1907 Helmuth James von Moltke geboren, als erstes von fünf Kindern, die aus der Ehe des Gutsbesitzers Helmuth von Moltke und seiner Frau Dorothy, der Tochter des Obersten Richters der Südafrikanischen Union, Sir James Rose Innes, hervorgingen. Nach diesem Großvater mütterlicherseits erhielt der Erstgeborene seinen zweiten Vornamen James. Die Neigung zur angelsächsischen Welt, sie war ihm gewissermaßen in die Wiege gelegt.

    Mittelpunkt der Familie war die Mutter Dorothy, eine liberale, aufgeschlossene Frau, die sich bewusst auf Distanz hielt zum konservativen Milieu der Junker.

    "Und so war es also im Haus da alles andere als patriarchalisch - es war ein tolerantes, offenes Haus. Meine Schwiegermutter hatte eine wunderbare warme Atmosphäre dort geschaffen, und die setzte sich natürlich auf den ganzen Betrieb und das Dorf um","

    so erinnerte sich Freya von Moltke in einem Gespräch im Juli 1985. Freya, eine Tochter des Kölner Privatbankiers Deichmann, hatte Helmuth James 1929 kennen gelernt. Damals war der frischgebackene Rechtsreferendar damit beschäftigt, das hoch verschuldete Gut Kreisau vor dem Konkurs zu retten. Im Oktober 1931 heiratete das Paar und bezog eine kleine Wohnung in Berlin. Am 30. Januar 1933 war hier ein ehemaliger SPD-Landrat aus Schlesien zu Gast. Der vertrat wie viele andere Zeitgenossen die Ansicht, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sei gar nicht so schlimm, die Nazis würden bald abgewirtschaftet haben.

    ""Mein Mann war außer sich, er war eigentlich ein gefasster Mensch, aber er hat ihm leidenschaftlich widersprochen und hat gesagt: 'Das ist der Anfang einer furchtbaren Katastrophe.'"

    Anders als die meisten späteren Mitglieder des bürgerlich-konservativen Widerstands, war Helmuth James von Moltke von Anfang an ein kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus. Da eine Anstellung im Staatsdienst für ihn nicht in Frage kam, ließ er sich in Berlin als Rechtsanwalt nieder. Wiederholt hielt er sich für längere Zeit in Großbritannien auf und erwarb im Jahre 1938 auch hier die Zulassung zum Anwalt. Ganz nach England auszuwandern, dazu konnte er sich jedoch nicht entschließen.

    Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Moltke als Experte für Kriegs- und Völkerrecht zum Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht eingezogen. Er bemühte sich nach Kräften - allerdings zumeist erfolglos -, den Normen des Völkerrechts gegen eine barbarische Kriegführung Geltung zu verschaffen. In den Briefen, die er an Freya schrieb und die diese über das Kriegsende hinaus retten konnte, stellte er immer wieder die Frage, die sich viele Deutsche angesichts der Massenverbrechen des Nationalsozialismus hätten stellen müssen:

    "Darf ich das erfahren und trotzdem in meiner Wohnung am Tisch sitzen und Tee trinken? Mach ich mich dadurch nicht mitschuldig?"

    Im Sommer 1940, als Hitler sich nach dem Sieg über Frankreich im Zenit seiner Popularität befand, begann Moltke mit seinem Freund Peter Yorck von Wartenburg einen Kreis von Gleichgesinnten um sich zu sammeln, um über Möglichkeiten einer Beseitigung der Gewaltherrschaft zu beratschlagen. Das Besondere dieser Widerstandsgruppe, die später von der Gestapo den Namen Kreisauer Kreis erhielt, war, dass sie Menschen ganz unterschiedlicher politischer, konfessioneller und sozialer Herkunft vereinigte, Konservative und Sozialisten, Protestanten und Katholiken, Akademiker und Nichtakademiker. In drei Zusammenkünften in Kreisau in den Jahren 1942 und 1943 verständigte man sich auf gemeinsame Grundsätze für die angestrebte demokratische Neuordnung Deutschlands.

    Allerdings war Moltke entschieden gegen ein Attentat auf Hitler. Harald Poelchau, Mitglied des Kreisauer Kreises, der als Gefängnispfarrer von Tegel Moltke in den letzten Monaten seines Lebens begleitete, hat dazu nach 1945 bemerkt:

    "Er ist ein Mann gewesen, der der Meinung war, dass man nicht mit Gewalt ein Übel beseitigen könne, was tiefer sitzt als bloße Gewalt."

    Am 19. Januar 1944 wurde Moltke festgenommen, weil er einen Bekannten vor der drohenden Verhaftung gewarnt hatte. Bis Ende September 1944 wurde er als Schutzhäftling im KZ Ravensbrück festgehalten. Im Zuge ihrer Ermittlungen nach dem gescheiterten Staatsstreich vom 20. Juli 1944 stieß die Gestapo bald auf die zentrale Rolle, die Helmuth James von Moltke im Kreisauer Kreis gespielt hatte. Im Verfahren vor dem Volksgerichtshof wurde er am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt und zwölf Tage später in Plötzensee gehängt. In einem Abschiedsbrief an seine beiden Söhne, den Pfarrer Poelchau aus dem Gefängnis schmuggeln konnte, schrieb er:

    "Ich habe mein ganzes Leben, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und der Unfreiheit, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck im nationalsozialistischen Staat gefunden hat."