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"Kondensat einer schwierigen Nachbarschaft"

Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft 2012 sind Polen und die Ukraine, das Eröffnungsspiel findet am 8. Juni 2012 in Warschau statt.. Jetzt hat der langjährige Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Warschau, Thomas Urban, eine Geschichte des polnischen Fußballs vorgelegt, die von den Anfängen nach dem Ersten Weltkrieg bis in unsere Zeit reicht.

Von Diethelm Blecking |
    Der Untertitel des Buches skizziert das Programm: "Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik" und das Cover zeigt Lukas Podolski, polnisch Łukasz Podolski, im roten Dress mit dem weißen Adler der polnischen Nationalmannschaft, darunter posiert strahlend der Schlesier Ernst Willimowski. Er begann seine internationale Karriere in der polnischen Nationalmannschaft, ist hier jedoch im Trikot mit dem Hakenkreuz auf der Brust als Spieler von Herbergers Team zu sehen, das während des Zweiten Weltkrieges, noch bis 1942 Länderspiele gegen neutrale und verbündete Länder austrug. In Willimowskis Lebensgeschichte ist die ganze Tragik des 20. Jahrhunderts für die Bewohner des Grenzlandes Schlesien eingetragen, um das Deutsche und Polen verlustreiche und blutige Kämpfe ausgetragen haben. Dabei war Schlesien mit seiner zweisprachigen Bevölkerung doch eine klassische europäische mischkulturelle Region und der geniale, lebensfrohe Dribblekünstler aus Kattowitz ist ein typischer Vertreter des fussballverrückten Grenzlandes. Der polnisch-deutsche Nationalspieler Ernst Willimowski, den sein Mitspieler Fritz Walter als "größten aller Torjäger" rühmte, liegt in Karlsruhe begraben. Polnische Fans schmücken seinen Grabstein, dem Deutschen-Fußballbund war er in seiner Jubiläumsschrift von 1999, so schreibt Thomas Urban, keine Erwähnung wert.

    Als Ernst Willimowski bei der Weltmeisterschaft 1938 in Straßburg fulminant gegen Brasilien stürmte und im Strafraum von den Brasilianern als letzte Rettung unsanft gebremst wurde, da markierte beim fälligen Elfmeter Fritz Scherfke aus Posen das erste WM-Tor für die Polen überhaupt. Scherfke war ein Angehöriger der deutschen Minderheit in Polen und durfte wenige Monate nach diesem Spiel, das die Polen mit vier Toren von Willimowski ehrenvoll 5:6 gegen die brasilianischen Ballartisten um Leonidas verloren, sogar die Kapitänsbinde der polnischen Nationalmannschaft überstreifen. Unter deutscher Besatzung wurde der Posener im Zweiten Weltkrieg als deutscher Soldat eingezogen, aber rettete in dieser Rolle mehreren Spielern seines ehemaligen polnischen Vereins Warta das Leben, indem er sie vor Festnahmen warnte oder sie von Deportationslisten streichen ließ. In dieser Zeit wurden zehn polnische Fußballnationalspieler ermordet, in Auschwitz wurden vierzig Spieler der polnischen Liga umgebracht. Im Generalgouvernement, wie der Teil Polens hieß, der vom Deutschen Reich nicht annektiert, sondern diktatorisch und barbarisch verwaltet wurde, war Sport und somit auch Fußball für Polen verboten. Die polnischen Sportler organisierten ihren Sport unter Lebensgefahr im Untergrund.

    Ganz anders die Klubs der Besatzer, die jetzt die polnischen Stadien benutzten und umwidmeten. So spielte im Krakauer Wisła-Stadion, das jetzt "Deutsche Kampfbahn" hieß 1940 eine Elf des "Kommandos Flughafenbereich" aus Warschau gegen eine "Krakauer Stadtauswahl mit fünf Spielern der SS-Totenkopfstandarte, unter ihnen der Spielertrainer Rudolf Gramlich. Der 22-fache Nationalspieler war Mitte der dreissiger Jahre der SS beigetreten. Von 1955-1970 war er Präsident der Frankfurter Eintracht und auch zeitweilig erster Mann des Bundesliga-Ausschusses der Deutschen-Fußballbundes.

    Deutschland blieb aber für den polnischen Fußball trotz dieser schrecklichen Erfahrungen auch nach 1945 ein wichtiger Bezugsrahmen. Seit 1989 haben mehr als einhundert polnische Profis in der deutschen Bundesliga gespielt. Die beiden in Schlesien geborenen deutschen Nationalspieler Miroslaw Klose und Lukas Podolski setzen die lange Reihe der polnischen und deutschen Nationalspieler aus dem Grenzland fort. Klose singt inbrünstig die deutsche Nationalhymne mit, Podolski nach eigener Aussage nicht. Nach dem 2: 0 Sieg bei der EM 2008 in Klagenfurt gegen Polen, mit zwei Podolski-Toren, streifte er das polnische Trikot über und lief zum polnischen Fanblock. Klose und Podolski zwei Spieler, die auch für Polen hätten antreten können. Der derzeitige polnische Nationaltrainer Franciszek Smuda, ebenfalls Schlesier, hat daraus Konsequenzen gezogen und bemüht sich mit Erfolg um Rekrutierung unter den Spätaussiedlern und ihren Söhnen in Deutschland für das polnische Team. Die drei Oberschlesier Boehnisch, Matuschyk und Tyrała hat er bereits gewonnen.

    Die polnisch-deutsche Fußballgeschichte ist also noch lange nicht zu Ende. Thomas Urban hat ein animierendes, nie langweiliges und im guten Sinne belehrendes Buch geschrieben, das in den Fanrucksack für die Europameisterschaft 2012 gehört.

    Thomas Urban "Schwarze Adler, Weiße Adler"- Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Poilitik. Werkstatt-Verlag Göttingen, 191 Seiten, 12,90 Euro.