Stefan Koldehoff: Nach wie vor findet in St. Petersburg die europäische Kunst-Biennale "Manifesta" statt, und die besteht nicht nur aus Ausstellungen, über die wir berichtet haben, und aus einem Filmprogramm, über das wir berichtet haben, sondern auch aus Rahmenveranstaltungen, und über eine davon wollen wir heute berichten. Gestern Abend hat in St. Petersburg die Tagung "Museum und Politik" begonnen, die die russische, deutsche und amerikanische Sektion des Internationalen Museumsverbandes ICOM gemeinsam veranstaltet - eine seltene Koalition in politische bewegten Zeiten. Einer der Teilnehmer und Sprecher ist der Gründungsdirektor des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und ehemalige stellvertretende Kulturstaatsminister Hermann Schäfer. An ihn ging zunächst die Frage, worum es denn grundsätzlich auf dieser Tagung gehen soll.
Hermann Schäfer: Das Interessante ist, dass das Thema "Politik und Museen, Museen und Politik" in der russischen Übersetzung "Museum und Wlast" heißt. "Wlast" - ich kann kein Russisch, aber ich habe das hier jetzt gelernt -, "Wlast" wird von den Übersetzern immer mit dem Begriff "Macht" übersetzt, und eine der Begrüßungen hat ausdrückliche, mehrere sogar der Russen haben immer gesagt, wir begrüßen auch die Vertreter der Macht. Und von deutscher Seite sehen alle das Wort "Politik" im Vordergrund und nicht das Thema "Macht". Das Interessante ist nun, dass die Russen auf diese Art und Weise sehr deutlich über die Verhältnisse in der Politik gegenüber den Museen als Machtverhältnisse interpretieren, und das finde ich schon sehr bemerkenswert.
Koldehoff: Heißt das umgekehrt, wer die Museen beherrscht, beherrscht auch das Land, weil in den Museen Selbstverständnis und Geschichte eines Landes definiert werden?
Schäfer: Immanent ist das vielleicht so, aber tatsächlich spricht das so natürlich niemand aus. Bei der Vorbereitung der Konferenz - das hört man im Hintergrund - hat es durchaus unterschiedliche Meinungen gegeben über die Frage, dass die Konferenz, die schon länger überlegt worden war, seit Jahren, wirklich stattfinden soll vor dem Hintergrund der aktuellen politisch-militärischen Krisen, und es hat wohl vonseiten insbesondere der osteuropäischen Länder, nicht Russland, der osteuropäischen Länder einige Bedenken gegeben. Auch die Amerikaner haben eine Weile überlegt, haben aber dann auch durch Motivation des Auswärtigen Amtes der USA die Konferenz stattfinden lassen wollen und Russen und Deutsche und Amerikaner waren nachhaltig der Überzeugung, dass die Konferenz dieser Art stattfinden sollte. Dass sie stattfindet, ist sozusagen auch ein politischer Erfolg der Zusammenarbeit von non-governmental Organisationen.
Koldehoff: Merken Sie denn, dass Ihre russischen Kolleginnen und Kollegen vorsichtiger geworden sind, was Äußerungen über das Verhältnis von Museen und Staat oder Macht angeht?
Schäfer: Ich würde nach dem ersten Tag sagen, im Gegenteil. Ich war überrascht, wie deutlich der ICOM-Präsident, Herr Tolstoi, der russische, wie deutlich der Leiter der Eremitage, Herr Pjotowski, die Verhältnisse auch beim Namen nennen. Ich würde es nicht offene Kritik an Putin nennen, aber ich würde schon sagen, hier werden die politischen Verhältnisse, insbesondere die Machtverhältnisse durchaus in dem Sinne kritisiert, wie wir das auch tun müssen in Deutschland, wenn es um Bürokratisierungstendenzen geht, um Kommissionen, die Dinge hinausschieben, wenn es um Antragsverfahren geht. Da ähneln sich die Probleme der Länder ganz immens, und was ich mir wünschen würde ist, dass es Folgekonferenzen dieser Art gibt - das ist ja die erste -, in der Politik und Museen sozusagen über ihre ureigenen Themen sprechen und wo man auch die Frage weiter überlegt, wie die Museen gemeinsam in internationalen Netzwerken und natürlich in ihren nationalen versuchen können, ihr Selbstbewusstsein deutlicher auszuprägen.
Koldehoff: Sie werden morgen sprechen, Herr Professor Schäfer. Welche Hoffnungen können Sie denn Ihren Kollegen machen? Welche Impulse können denn im Jahr 2014 von Museen ausgehen?
Schäfer: Ich bin davon überzeugt, dass die Museen sehr viel selbstbewusster auftreten müssen, auch in Deutschland, und dass die Mitgliederzahlen, die diese internationalen Netzwerke haben - ICOM international über 30.000 Mitglieder, in Deutschland über 5000 -, wenn sie sich zu Wort melden und das nicht immer in Angst vor der Politik tun, was mein Eindruck ist, sondern deutlicher, sie auch sehr viel mehr bewegen können. Da gibt es gute Ansätze, aber ich meine, man muss die Museen noch sehr viel stärker motivieren, ihre Interessen deutlicher zu vertreten.
Koldehoff: Sagt der ehemalige stellvertretende Kulturstaatsminister Hermann Schäfer über die Tagung "Museum und Politik" in St. Petersburg.
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