Kleider machen bekanntlich Leute. Und ohne Kleider? Nackt? Sind alle Menschen gleich. Das ist die Botschaft, mit der der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten, kurz IBKA, seine Besucher begrüßt. Das offizielle Bild zum Kongress des Vereins prangt groß auf einem Plakat am Eingang der Veranstaltung. Die Karikatur zeigt eine Gruppe Menschen. Alle lachen, und alle zeigen stolz ihre nackten Körper. Nur die drei Männer in der Mitte, offensichtlich Vertreter des Judentums, des Islams und des Christentums, bedecken ihre Scham.
"Man braucht keinen Gott, um glücklich zu sein"
Im Gebäude, einer ehemaligen Feuerwehrwache, spielt die Kleidung sehr wohl wieder eine Rolle. Viele tragen auf ihr eine Botschaft. So wie Melchior Grützmann auf seinem T-Shirt. Es zeigt verschiedene Symbole nebeneinander – das christliche Kreuz neben Hammer und Sichel, ein Hakenkreuz neben dem Yin- und Yang-Kreis, die Mondsichel mit Stern neben dem A für Atheismus. Über den Symbolen ein Verbotszeichen, darunter in großen Lettern der Satz: "Ideas don't have rights", also "Ideen haben keine Rechte". Als Atheisten bezeichnet sich Grützmann dennoch, deshalb nehme er auch an den drei Kongresstagen in Köln teil:
"Ich würde gerne mal like-minded, also Leute mit ähnlichen Interessen kennenlernen. Und auch schauen, dass es in Europa und gerade auch Deutschland Atheisten gibt."
Reporterfrage: Und was hat Sie zum Unglauben getrieben?
"Geboren bin ich ja in der DDR, das heißt, ich war von Anfang an nie Christenmensch in dem Sinne. Und ich bin aber auch durchaus der Überzeugung, dass es keinen Gott gibt und dass man auch keinen Gott braucht, um glücklich zu sein oder zu wissen, was in der Welt gerecht oder ungerecht ist."
Religionen: "kulturelle Zeitmaschinen mit überholten Vorstellungen"
Die Kaffeepause geht zu Ende, der Atheist aus Jena wieder in den Grünen Saal. Hier spricht jetzt Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und ein Vertreter des sogenannten evolutionären Humanismus. Diese Weltanschauung betont eine vernunftbasierte allgemeine Ethik gegenüber einer traditionellen, religiös geprägten Moral:
"Religionen sind kulturelle Zeitmaschinen, die überholte Vorstellungen vergangener Epochen in die heutige Zeit transportieren. Und das führt unweigerlich zu Konflikten mit der humanistischen Kultur der Menschenrechte, die sich in den letzten Jahrzehnten allmählich entfalten konnte."
Ein weiteres Merkmal des "evolutionären Humanismus" ist der Säkularismus. "Säkularismus ist die Lösung", hat Schmidt-Salomon dann auch sein Referat überschrieben:
"Der Titel meines Vortrags ist ein Zitat. Das Original findet sich neben vielen obszönen Sprüchen an der Wand einer schmutzigen Gefängnistoilette in Saudi-Arabien."
Dort sei der Satz von Raif Badawi entdeckt worden, also dem Blogger, der für seine Aufrufe zu Meinungsfreiheit und Achtung der Menschenrechte zu 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Das saudische Strafgericht will den Islamkritiker nun offenbar wegen, so wörtlich, "Abfalls vom Glauben" erneut anklagen. Diesmal droht Badawi sogar die Todesstrafe.
"As long as people can be killed for blaspheming, they can be killed for Apostasy, we need to criticize it."
"Säkularismus fördern in Zeiten von ISIS"
Solange Menschen für Blasphemie ermordet würden, dürfe die Kritik nicht verstummen, sagt Maryam Namazie. Die gebürtige Iranerin, die als junge Frau ihre Heimat verlassen musste, spricht in Köln über "Säkularismus fördern in Zeiten von ISIS". Die Trennung von Religion und Staat sei kein westliches Konzept, betont Namazie. Auch den Menschen in Syrien und dem Irak gehe es darum bei ihrem Kampf gegen die Terrormiliz. Der Westen nehme diesen Kampf als einen des Islams wahr. Doch das Thema Religion dürfe eigentlich keine Rolle spielen, findet sie:
"Wir müssen die Menschen verteidigen, ob sie Muslime sind oder nicht. Wir müssen ihre Rechte als Bürger verteidigen. Noch scheint es, als sei die Religion das einzige, was Milliarden Menschen weltweit definiert. Aber wir müssen darüber hinaus schauen. Nur so können wir diese humanitäre Tragödie, die wir zur Zeit erleben, hinter uns lassen."
Bei dem Kongress gehe es auch darum, Menschen wie Maryam Namazie und Michael Schmidt-Salomon zusammenzubringen, sagt Mitveranstalter Rainer Ponitka. Insgesamt 15 Referenten aus acht Staaten sind nach Köln gekommen.
Bei dem Kongress gehe es auch darum, Menschen wie Maryam Namazie und Michael Schmidt-Salomon zusammenzubringen, sagt Mitveranstalter Rainer Ponitka. Insgesamt 15 Referenten aus acht Staaten sind nach Köln gekommen.
"Die Vernetzung dieser Menschen miteinander ist das Großartigste, was hier hat passieren können, dass wir sagen können: Wir haben Menschen zusammengebracht mit ähnlichen Ideen."
Das Treffen findet in dieser Form zum zweiten Mal statt. Den Bund der Konfessionslosen und Atheisten IBKA gibt es seit bald 40 Jahren. In dieser Zeit habe sich viel getan, sagt Sprecher Ponitka. Die Trennung von Staat und Religion, die sein Verein fordert, sei weiter vorangeschritten - in Deutschland zumindest.
"Das Christentum Westeuropas ist durch die Aufklärung gegangen, in anderen Regionen der Welt haben wir zum Teil noch mittelalterliche Zustände."
Greg Graffin: "Die deutsche Kultur ist schon weitgehend verweltlicht"
Bis ins Mittelalter würde Greg Graffin nicht zurückgehen, wenn er seine Heimat beschreibt. Graffin kommt aus den USA.
"It is harder to be a secular society in america than it is over here."
Es sei in Amerika schwieriger, eine säkulare Gesellschaft zu sein als in Deutschland. Graffin arbeitet als Professor für Evolutionsbiologie in Los Angeles. Vor allem aber ist er vielen Musikfans seit mehr als 30 Jahren bekannt als Sänger der Punkband "Bad Religion". Zum Kongress des deutschen Atheisten-Vereins ist er gereist, weil dieser ihn auszeichnet.
Graffin habe sich in herausragender Weise um Weltanschauungsfreiheit, Selbstbestimmung sowie Förderung des vernunftgeleiteten Denkens verdient gemacht. Er sei dankbar, dass man ihn als Vorzeigebürger ausgewählt habe, sagt der 51-Jährige. Während seiner Besuche mit "Bad Religion" habe er Deutschland nie als besonders religiösen Ort erlebt:
"Ich weiß, dass es eine starke säkulare Tendenz gibt, die deutsche Kultur ist schon weitgehend verweltlicht. Aber mir ist auch klar, dass es eine große katholische und protestantische Tradition gibt, die unter Umständen ablehnt, für was 'Bad Religion' steht, und sich von uns angegriffen fühlt."
Bereits auf dem ersten Album seiner Band 1982 sang Graffin in dem Song "Faith in God", es sei ja in Ordnung, an Gott zu glauben. Er bemitleide allerdings Menschen, wenn sich diese an den Regeln der Kirchen orientierten. Denn diese Regeln seien Lügen. Später im "God Song" fügte Graffin hinzu, Religion sei nur "künstlicher Firlefanz".
Graffin: Crossbuster ist kein Angriff auf gläubige Menschen
Er sei aber kein Atheist, betont Graffin, sondern Naturalist. Atheismus bringe nur zum Ausdruck, was nicht existiert, Naturalismus hingegen, an was er als Wissenschaftler glaube: Nämlich, dass die Welt nur aus Materie und Energie besteht.
Ein Kreuz in einem Verbotsschild, der sogenannte Crossbuster, den er als 16-Jähriger für seine Band erfand, das Symbol, das heute wohl bekannter ist als "Bad Religion" selbst, habe er auch niemals als Angriff auf gläubige Menschen verstanden, so Graffin.
"Es bedeutet nur: Du findest keine Religion in diesem Haus. Viele unserer Songs handeln von den philosophischen Aspekten eines Lebens ohne Religion. Und das ist eine nette Übereinstimmung mit unserem Symbol."
Bei dem Kongress in Köln ist der "Crossbuster" natürlich allgegenwärtig. Sogar ein Baby trägt ein T-Shirt mit dem Logo von "Bad Religion". Kleider machen Leute, haben sich da wohl die Eltern gedacht.