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Konflikt als Wurzel der Kooperation

Ein Artikel in der Fachzeitschrift "Proceedings oft the Royal Society" behauptet, dass die Neigung der Menschen zu gegenseitiger Hilfe in Kriegszeiten zunimmt. Nach Ansicht der kalifornischen Forscher führte erst die Existenz des Konflikts zwischen verschiedenen Gruppen zur Entstehung zwischenmenschlicher Kooperation.

Von Volkart Wildermuth |
    Für Ökonomen und Evolutionsbiologen gleichermaßen ist Kooperation ein verblüffendes Verhalten. Warum sollte jemand auf den eigenen Vorteil verzichten, nur um potenziellen Konkurrenten zu helfen? Die Antwort ist nicht bei den heutigen Individuen zu finden, sondern in den Konflikten zwischen Frühmenschengruppen.

    "In der Evolution haben Gruppen, die in einem Konflikt zusammenhalten, andere Gruppen besiegt."

    Der Konflikt ist ironischer Weise die evolutionäre Wurzel der Kooperation, so die Ökonomin Ayelet Gneezy von der Universität in San Diego. Kooperation ergibt also auf Gruppenebene Sinn, aber für den Einzelnen bringt sie gleichwohl Nachteile. Evolutionäre Modelle zeigen, dass sich nettes Verhalten nur durchsetzt, wenn weniger nettes Verhalten bestraft wird.

    "Die Evolutionstheorie sagt voraus, dass es eine Art soziale Norm gibt, die von den Gruppenmitgliedern durchgesetzt wird. Wer abweicht, wird bestraft. So kann man sicherstellen, dass die Menschen sich richtig verhalten."

    Kooperation erfolgt also unter subtilem Zwang. Klingt plausibel, aber viele Theorien klingen plausibel. Ayelet Gneezy wollte deshalb prüfen, ob Menschen während eines Konfliktes tatsächlich verstärkt auf Kooperation achten. Als Maß für den Wert der Kooperation diente ihr das Ultimatum-Spiel. Die Regeln sind einfach. Es gibt zwei Spieler. Der erste erhält echtes Geld, in diesem Fall rund 20 Euro. Er darf den Betrag zwischen sich und seinem Mitspieler beliebig aufteilen. Also zum Beispiel 10 Euro und 10 Euro oder 18 Euro und 2 Euro. Der andere Spieler kann sich dann entscheiden. Nimmt er das Angebot an, bekommen beide ihren Anteil. Lehnt er ab, gehen beide leer aus. Vernünftig wäre es, jedes Angebot anzunehmen. Schließlich ist ein bisschen Geld immer noch besser, als gar keines. Die meisten Menschen lehnen aber ein Angebot von weniger als einem Drittel des Betrages ab.

    "Wenn der zweite Spieler das Angebot ablehnt, sagt er: ich bin bereit, auf meinen Anteil zu verzichten, nur um dich zu bestrafen, weil du unfair bist."

    Das Ultimatum Spiel zeigt also, wie weit die Leute gehen, um unkooperatives Verhalten zu bestrafen. Das Spiel wurde schon mit vielen Tausend Studenten erprobt. Doch die sind Testerfahren. Ayelet Gneezy wollte wissen, wie sich ganz normale Menschen verhalten und ließ 2006 Rentner in einem Altersheim in Tel Aviv das Ultimatum Spiel spielen. Kurz danach brach der Libanonkrieg aus, und sie wiederholte den Test während des Konfliktes und später noch einmal nach dem Ende der Kämpfe.

    "Im Nachhinein war es ein Glück, dass wir in dem Altersheim waren. Die Studenten wurden während des Krieges alle eingezogen, wir hätten die Experimente gar nicht wiederholen können."

    So aber gelang es ihr, die Kooperationsbereitschaft der Menschen vor, während und nach einem realen Konflikt zu messen.

    "Wir haben festgestellt, dass die Menschen während eines Krieges ein höheres Angebot erwarten. Sie sind eher bereit, ein Angebot zurückzuweisen. Das heißt, sie fordern ein höheres Maß an Kooperation."

    Und das passt genau zur evolutionären Erklärung der Kooperation. Sie entsteht nicht von selbst, sie wird aktiv durchgesetzt und zwar ganz besonders in Krisenzeiten. Dafür gab es schon Hinweise aus Experimenten, bei denen die Teilnehmer willkürlich in gegnerische Teams eingeteilt wurden. Ayelet Gneezy zeigt nun, dass sich die Laborbefunde auf reale Konflikte übertragen lassen. Die Ökonomin liefert damit einen weiteren Beleg für die These, dass sich die besondere Neigung des Menschen zur Kooperation in Konflikten entwickelt hat.