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Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan
Fußball für das Militär

In den vergangenen Wochen ist ein alter Konflikt im Kaukasus neu eskaliert. Wieder kämpfen Armenien und Aserbaidschan mit Waffengewalt um Bergkarabach. Beide Regierungen schicken sich feindselige Botschaften. Und sie werden von prominenter Seite unterstützt, vor allem im Fußball.

Von Ronny Blaschke | 18.10.2020
Blick auf einen LKW in dem mehrere Soldaten sitzen
Armenische Soldaten auf dem Weg in die umkämpfte Region Bergkarabach. (Sebastian Backhaus)
Vor wenigen Tagen endete die Fußballsaison in Aserbaidschan. Etliche Teams trugen Trikots mit der Aufschrift: "Karabach ist Aserbaidschan". Einige Spieler salutierten vor Kameras und verbreiteten in sozialen Medien Militärvideos. Andere zeigten Bilder von jugendlichen Kriegsopfern, erzählt Yossi Medina. Der israelische Autor des Internetmediums Babagol ist Experte für den Konflikt im Kaukasus.
"In der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku hat der Verein Zira ein Banner gehisst. Darauf zu sehen: der frühere Jugendspieler Ilgar Burcaliyev. Er war in die Armee eingezogen worden und kam bei Gefechten ums Leben. Wegen Corona durften keine Zuschauer in die Stadien. Aber die Tribünen wurden mit aserbaidschanischen Flaggen überspannt."
Fußballer mussten nach dem Krieg fliehen
Der Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern schwelt seit mehr als hundert Jahren. In Zeiten der Sowjetunion lebten sie nebeneinander statt miteinander, aber es gab kaum Gewaltausbrüche. In den 1980er Jahren lebten in Ağdam, in der größten Stadt der Region, fast ausschließlich Aserbaidschaner. Eines ihrer wichtigsten Symbole: der erfolgreiche lokale Fußballklub. Während des Zerfalls der Sowjetunion mündete der Streit um Bergkarabach in einen Krieg. Armenien siegte und vertrieb die Aserbaidschaner aus der Region. Ihre Stadt Ağdam wurde zerstört. Yossi Medina:
Die Streitkräfte der Türkei und Aserbaidschans führen in Aserbaidschan umfangreiche gemeinsame Militärübungen durch.
"Klare Warnung der Türkei an Armenien"
Der neu entbrannte Konflikt um Bergkarabach ruft auch die Türkei auf den Plan. Mit ihrem "Bruder-Staat" Aserbaidschan führt sie eine große, mehrwöchige Militärübung durch.
"Der Verein hat 1987 den Namen Qarabağ angenommen, in Anlehnung an seine Heimatregion. Nach dem Krieg war Ağdam nicht mehr bewohnbar. So mussten auch die Fußballer nach Baku ziehen. Dort waren sie lange ohne festen Standort, doch jetzt haben sie ihr eigenes Stadion."
Die Wurzeln in der symbolisch wichtigen Region Bergkarabach sichern dem Klub Qarabağ in Aserbaidschan viel Unterstützung aus Politik und Wirtschaft. Die Folge: Zuletzt sieben Meistertitel hintereinander. 2017 erreichte Qarabağ die Gruppenphase der Champions League. In dieser Saison die Europa League. Zu den Gegnern gehören am Donnerstag Maccabi Tel Aviv aus Israel und Anfang November auch Sivasspor aus der Türkei. Yossi Medina sagt:
"In Aserbaidschan waren die Reaktionen auf die Gruppenauslosung sehr positiv. In den sozialen Medien schickten viele Fans von Qarabağ freundliche Grüße nach Israel und in die Türkei. Beide Staaten verkaufen Rüstungsgüter an die aserbaidschanische Armee."
Mkhitaryan wirbt um Deeskalation
Auch in Armenien hat der Konflikt Auswirkungen auf den Fußball, zum Beispiel für Varazdat Haroyan. Laut Medienberichten soll sich der Nationalspieler dem armenischen Militär angeschlossen haben. In der Qualifikation für die Europa League musste der armenische Meister Ararat sein Heimspiel gegen Roter Stern Belgrad verlegen, aus der Hauptstadt Jerewan nach Zypern.
Besonders im Fokus: Henrikh Mkhitaryan. Der Kapitän des armenischen Nationalteams ist auch Sonderbotschafter der Vereinten Nationen. Vor kurzem warb er in einem offenen Brief für Deeskalation. Als Spieler des FC Arsenal verzichtete Mkhitaryan 2019 auf das Finale der Europa League in Baku, er fürchtete um seine Sicherheit. An solchen Fällen werden die Spannungen zwischen beiden Ländern deutlich, sagt der Fußballexperte Sascha Düerkop, der die Region bereist hat. Noch in Zeiten der Sowjetunion hatte es auch im Fußball einen Austausch gegeben, sogar in Bergkarabach.
"Es gab auf jeden Fall auch Armenier in dem überwiegend aserbaidschanischen Verein und andersrum. Heute wäre das völlig undenkbar. Es gibt keinen Armenier in der aserbaidschanischen Liga und auch umgekehrt. Es gibt immer wieder Sportevents hauptsächlich in Aserbaidschan, wo Armenier nicht hinreisen dürfen. Es gab da Riesenprobleme um die European Games 2015, wo am Ende ein winziges Kontingent unter dauerhafter Militärsicherheit dann teilnehmen konnte."
Kann die EM 2021 in einem Kriegsland stattfinden?
Aserbaidschan hat mit seinen Öl- und Gastvorkommen ein beachtliches Wirtschaftswachstum geschaffen. Das möchte die autoritäre Regierung auch durch Sport bekannt machen: Mit einem Trikotsponsoring bei Atlético Madrid, mit der Austragung der Europaspiele 2015 oder seit 2016 mit einem Formel-1-Rennen. 2021 soll Baku einer von zwölf Austragungsorten der Fußball-EM sein. Sollten die Gefechte um Bergkarabach andauern – kann die Uefa dann an ihren Plänen festhalten? Deren Präsident Aleksander Čeferin äußerte sich gegenüber der Sportschau zurückhaltend.
"Ehrlich gesagt beobachten wir diesen Konflikt noch. Vor ein paar Wochen hat dieser begonnen, also ist er auch für uns neu. Wir haben uns noch nicht so sehr damit beschäftigt. Wir sind eine Sportorganisation, keine politische Organisation. Daher wollen wir uns nicht in politische Kämpfe einmischen. Aber es ist eine traurige Angelegenheit und ich hoffe, dass diese bald friedlich gelöst wird."
Aserbaidschan, Stepanakert: Ein Mann geht an einem Haus vorbei, das von der aserbaidschanischen Artillerie durch Beschuss zerstört wurde.
"Türkei und Russland entscheiden nicht, wann dieser Krieg zu Ende geht"
Der Konflikt um Bergkarabach habe sich mit dem Eingreifen der Türkei auf der Seite Aserbaidschans grundlegend verändert, sagte der Politologe Stefan Meister von der Böll-Stiftung im Dlf.
Auch auf armenischer Seite gehört Sport zur Politik. In Bergkarabach wurde 2012 ein Fußballverband gegründet. Weil die Region kein unabhängiger Staat ist, bleibt ihm eine Fifa-Mitgliedschaft verwehrt. Stattdessen schloss sich der Verband der Conifa an, dem internationalen Fußballverband für nicht anerkannte Staaten, Minderheiten und Regionen. 2019 fand in Bergkarabach die Europameisterschaft dieser Vereinigung statt. Sascha Düerkop, Mitgründer der Conifa, hat die armenischen Verbandsgründer in Bergkarabach begleitet.
"Die beiden, die das geleitet haben: der Generalsekretär hat im Außenministerium gearbeitet. Und der damalige Präsident ist der Präsident der ,Liga der Helden‘. Das ist ein Militärverein. Die zwei haben den Fußballverband damals aus der Taufe gehoben. Weil man eben Bergkarabach damit auch international irgendwie sichtbarer machen wollte durch den Fußball – und zwar abseits vom Konflikt."
Gefährliche Allianzen in der Diaspora
Seit zwölf Jahren verhindert eine Sonderklausel der Uefa direkte Aufeinandertreffen von Klubs und Nationalteams aus Armenien und Aserbaidschan. Dennoch gibt es bei internationalen Spielen Hassgesänge und feindselige Banner. Pavel Klymenko vom internationalen Antirassismus-Netzwerk Fare befürchtet langfristige Auswirkungen.
"Wenn Mannschaften aus Armenien oder Aserbaidschan in europäischen Wettbewerben spielen, dann ist eine Mobilisierung der lokalen Communities wahrscheinlich. Es könnte zu gefährlichen Allianzen kommen. Türkische Fans könnten sich mit Aserbaidschanern gegen Armenier verbünden. Wir beobachten auch einige rechtsextreme Gruppen, die zu Armenien halten, als angebliche Bastion des Christentums gegen Muslime."
Die Türkei gilt als wichtige Partei im Konflikt. Präsident Erdoğan weigert sich beharrlich, auf den türkischen Völkermord an den Armeniern vor mehr als hundert Jahren einzugehen. Er hält zu Aserbaidschan. Die Türkei bestreitet zwei Vorrundenspiele der EM 2021 in Baku. Politische Botschaften: mehr als wahrscheinlich.