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Konfliktforschung
Afrikas Krisenherde sind vorhersagbar

Bürgerkriege und Unruhen in Afrika sind oft in den Schlagzeilen. Diese Konflikte im Auge zu behalten und Gewalt rechtzeitig kommen zu sehen, fällt selbst Experten schwer. Schwedische Forscher wollen jetzt eine Methode gefunden haben, die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zu berechnen.

Von Karl Urban | 26.07.2018
    Dutzende Polizisten gehen auf einer Straße.
    Sicherheitskräfte bei einem Einsatz nach Unruhen in Kamerun (AFP)
    2016 gehen im Nordwesten von Kamerun Studenten, Anwälte, Lehrer und Aktivisten auf die Straße: Die englischsprachige Minderheit des Landes protestiert gegen die Benachteiligung durch die französischsprachige Mehrheit. Seither gibt es dort immer wieder Demonstrationen - und bei Zusammenstößen mit der Polizei auch vereinzelt Verletzte und Tote.
    Es handelt sich um einen vergleichsweise neuen Konflikt in Zentralafrika - und dennoch lässt sich sein Verlauf vorhersagen. Davon ist der Konfliktforscher Håvard Hegre von der Universität Uppsala in Schweden überzeugt: "Kontinuierliche Vorhersagen sind relativ unkompliziert. Wir sind uns sicher, dass unsere Vorhersagen akkurat sind, selbst bis zu drei Jahre in die Zukunft. Denn unsere Analyse hat gezeigt, dass sich die Muster der wichtigsten Konflikte in Afrika erschreckend wenig ändern."
    Algorithmus, wie wahrscheinlich bewaffnete Zwischenfälle sind
    Håvard Hegre leitet das Violence Early Warning System, kurz ViEWS: ein Programm zur Konfliktvorhersage für ganz Afrika. Einmal im Monat errechnet ein Algorithmus, wie wahrscheinlich bewaffnete Zwischenfälle sind, die entweder von der Staatsgewalt ausgehen, die sich zwischen verschiedenen nichtstaatlichen Gruppen entladen oder die einseitig beispielsweise von Terrormilizen ausgehen. Die Vorhersage ist räumlich hoch aufgelöst: Der afrikanische Kontinent wird in ein Raster aus zehntausend Quadraten eingeteilt, jeweils rund 50 mal 50 Kilometer groß. In der errechneten Konfliktvorhersage gibt die Farbe dieser Quadrate an, wie wahrscheinlich bewaffnete Konflikt in diesem Landstrich sein werden: von blau für gering bis rot für sehr konfliktgefährdet.
    Nils Weidmann von der Universität Konstanz ist selbst nicht an dem Projekt beteiligt, von dessen Methodik aber ist er überzeugt: "Die Innovation in ViEWS ist, dass die Vorhersage auf die subnationale Ebene heruntergeht. Also man schaut sich nicht das Risiko für ein gesamtes Land an: Erfährt dieses Land jetzt in der Zukunft einen Bürgerkrieg, ja oder nein? Sondern es geht um ganz spezielle regionale Vorhersagen."
    Alle verwendeten Daten und Algorithmen sowie die Ergebnisse der schwedischen Konfliktforscher sind für jedermann abrufbar und durch andere Forscher verifizierbar. Das ist die eigentliche Neuerung, durch die sich ViEWS gegenüber bisherigen Modellen zur Konfliktprognose auszeichnet.
    Geheimdienste arbeiten schon so
    Nils Weidmann: "Es gibt Konfliktanalysesysteme: Bei Geheimdiensten und im Militär wird so etwas schon verwendet. Aber diese Sachen sind proprietär. Da gehen teilweise sehr viel detailliertere Daten rein, die selbst in diesen Institutionen gesammelt wurden, auf die die Wissenschaft normalerweise keinen Zugriff hat."
    Die Daten für die neue Konfliktprognosekarte für Afrika stammen aus verschiedenen Datenbanken: die Bevölkerungsdichte und andere demografische Angaben gehen hier ebenso ein wie ausgewertete Medienberichte. Obwohl die Vorhersagen damit schon recht genau sind, haben sie auch einen Schönheitsfehler: Sie können nur wiederkehrende Konflikte gut prognostizieren, die derzeit in Mali, Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo besonders wahrscheinlich sind. Wann und wo allerdings ein neuer Konfliktherd entsteht oder ob bald gar eine Revolution beginnt, das ist auch mit Systemen wie ViEWS weiterhin schwer zu vorherzusehen.
    "Okay, Revolutionen, die entstehen aus dem Nichts"
    "Natürlich beruhen alle Vorhersagen dieser Art auf der Prämisse, dass man ähnlich gelagerte Fälle schon mal irgendwann beobachtet hat. Wenn man jetzt sagt: Okay, Revolutionen, die entstehen aus dem Nichts und jede sieht anders aus, dann brauchen wir diese Art von Vorhersage nicht; dann können wir sie nicht machen", sagt Weidmann.
    Projektleiter Håvard Hegre ist sich dieser Einschränkungen bewusst. Sein Ziel ist es aber ohnehin, mit anderen Konfliktforschern über Nutzen und Grenzen solcher Vorhersagemodelle zu diskutieren, um sie künftig weiter zu verfeinern: "Wir können all unsere Entscheidungen transparent machen und die Prämissen für unsere Vorhersagen offen diskutieren. Und das ist bei uns viel einfacher als für die Geheimdienste."