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Konfliktreich, aber mit Perspektive

"Ich fühle mich teils, teils zu Hause hier in Deutschland." - "Ich fühle mich hier wohl. Ich habe immer gesagt, ich habe zwei Zuhause: wo ich geboren bin - das ist in Spanien - und wo ich immer in Deutschland auch gelebt habe." - "Ich arbeite in Deutschland. Ich lebe in Deutschland, wenn man wo arbeiten werden, genau wie meine Heimat." - "Ja, ich fühle mich zuhause. Die Frage ist, was ist ein Zuhause?" - Wenn ich rüberfahre in meine Heimat, fühle ich mich genauso fremd wie hier." - "Ja, immer. Das Heim immer tut weh, ja."

Alberta Dellai und Peter Ochs |
    "Heim-Weh" ist für die meisten Ausländer, auch wenn sie schon viele Jahre in Deutschland leben, kein fremdes Gefühl. Es gibt für sie keine Heimat im herkömmlichen Sinne. Sie sind zugewandert, zunächst in den 50er Jahren aus Italien, später aus Griechenland und Spanien, aus Portugal und der Türkei. Sie kamen als Flüchtlinge aus dem Iran, Eritrea und anderen Ländern. Und sie leben zwischen den Welten und sie könnten von sich behaupten, sie hätten zwei Heimaten, wenn die deutsche Grammatik das zuließe.

    Zum Beispiel der Grieche Spiros Simitis, der als Student nach Deutschland kam:

    Das war fast noch die Nachkriegszeit. Das war eine Zeit, wo gleichviel ob es sich um die Einheimischen oder die Zugewanderten handelte, keiner so recht etwas wusste über den anderen. Aber es war auch eine Zeit, die ihre Vorteile hatte. Ich denke, damals gab es an der Universität in Marburg allenfalls eine Handvoll Ausländer.

    Professor Simitis sitzt in seinem kleinen Büro im 13. Stock des Frankfurter Juristenhochhauses und schaut über die Silhouette der Mainmetropole. Einen Termin mit ihm zu bekommen ist kompliziert, aber wenn es gelingt, nimmt er sich viel Zeit und lässt keine Anrufer durchstellen. Seine Haltung ist uneitel, seine Argumentation stringent.

    Boris Utschaew, der vor 10 Jahren aus Novosibirsk in die Bundesrepublik einwanderte, ist als Bürobote in einer Frankfurter Kanzlei beschäftigt.

    Natürlich, ich habe manchmal Sehnsucht nach meiner Heimat, woher ich gekommen bin. Aber, wie gesagt, das ist schon Vergangenheit.

    Die Sehnsucht scheint machmal aber noch sehr gegenwärtig: Immer wenn er von einem Besuch der Eltern aus Sibirien zurückkommt schwärmt er von seiner Heimat und zeigt den Kollegen im Büro stolz Bilder aus der Umgebung von Novosibirsk. Utschaew ist damals seiner Frau zuliebe in die Bundesrepublik eingewandert. Deren ganze Familie lebte bereits hier.

    Die Iranerin Nargess Eskandari, die vor 17 Jahren mit einem Baby im Gepäck aus ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet ist, hat in Deutschland ihren Mann gefunden und in Psychologie promoviert.

    Am Anfang habe ich unheimliche Schwierigkeiten gehabt. Ich konnte kein Deutsch. Ich konnte nur Englisch. Ich habe hier damals mit dem, was ich als Flüchtling erlebt hatte, sehr viele Schwierigkeiten gehabt, auch mit diesen ganzen Behördengängen zurechtzukommen. Gott sei Dank konnte ich genügend Englisch. Aber es war fürchterlich.

    Nargess Eskandari, vital und engagiert, mischt sich überall ein, wenn es um Politik und Menschenrechte geht. Sie wirkt offen, sehr selbstbewußt und lebensklug.

    Ende 2000 leben - nach offiziellen Angaben - insgesamt 7,3 Millionen Ausländer und Ausländerinnen in der Bundesrepublik Deutschland. Fast 9 Prozent der Gesamtbevölkerung sind nicht-deutscher Herkunft.

    Marie Luise Beck, die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, zieht, trotz vieler Problemlagen, eine positive Bilanz der ersten 50 Jahre faktischer Einwanderung in die Bundesrepublik.

    Im Großen und Ganzen kann man sicherlich sagen, dass die Einwanderung nach Deutschland, obwohl wir uns ja nie als Einwanderungsland begreifen wollten und deswegen Politik auch wenig begleitende Angebote gemacht hat, eine Erfolgsstory ist und im Großen und Ganzen das Zusammenleben von Migranten und aufnehmender Gesellschaft - auch in den Städten, in denen wir ganz hohe Ausländeranteile haben - ja doch im wesentlichen ganz problemlos läuft.

    Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern, mit dem größten Ausländeranteil, mit der buntesten Bevölkerungszusammensetzung. Ein Viertel von ihnen kommt aus einem Land der Europäischen Union, ein weiteres Viertel aus der Türkei und der Rest aus aller Herren Länder.

    Der Aufenthaltsstatus der Ausländer ist unterschiedlich und nicht immer eindeutig geregelt: Viele verfügen lediglich über eine befristete oder eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Beides kann jederzeit widerrufen werden. Viele türkische Arbeitnehmer leben z.B. mit dieser Unsicherheit. Nur diejenigen, die eine Aufenthaltberechtigung haben, können sich hier auf Dauer einrichten. Alle EU-Ausländer haben mitlerweile eine Aufenthaltsberechtigung.

    Die Aufenthaltsorte, die Verweildauer und der Status sagen jedoch nichts über das Selbstverständnis und das Lebensgefühl der ausländischen Bevölkerung.

    "Für meine Begriffe gibt es dieses Gefühl nicht, sich deutsch zu fühlen oder türkisch zu fühlen. Ich fühle mich als Ich." - "Bestimmt habe ich schon Eigenschaften der Deutschen, einfach durch diese vielen Jahre, die ich schon hier lebe, übernommen. Aber ich glaube, ich habe noch viele von Spanien." - "Wenn ich mich auch als Deutsche fühlen würde, ich würde niemals hier als Deutsche betrachtet." - "Ich fühle mich nirgendwo eigentlich. Ich fühle mich nur als Mensch." - "Sich als Deutscher zu fühlen setzt voraus, dass man halt das Deutschsein charakterisieren muss. Und das kann ich nicht, weil ich finde, es gibt nicht den Deutschen oder die Deutschen, genauso wenig wie es die Türken oder den Türken gibt." - "Ich bin deutsche Staatsangehörige, aber kein Deutscher."

    Die Integrationspolitik der deutschen Bundesregierungen ist seit Jahren mehr schlecht als recht darum bemüht, aus Zugewanderten Einheimische zu machen. Dieses Ziel ist jedoch aus verschiedenen Gründen schwer zu erreichen: Vor allen Dingen aber, lässt es offenbar die Lebensrealität der ausländischen Bürger außer acht.

    Die mangelnde Bereitschaft vieler Deutscher, sich auf Fremde einzulassen, auf sie zuzugehen, wird von der Frankfurter Kulturanthropologien Regina Römhild kritisiert. Sie hat kulturelle Ausgrenzung und Eingliederung in Frankfurt in verschieden sozialen Schichten, verschiedenen Alters- und Berufsgruppen untersucht. Sie ist überzeugt davon, dass das herkömmliche Integrationsmodell hoffnungslos veraltet ist.

    Von daher würde ich sagen, dass Integration eigentlich nicht mehr heißen kann, dass Zuwanderer sich den Deutschen anzupassen haben, sondern dass umgekehrt eigentlich die Frage entsteht: Wie sehr oder inwieweit Deutsche eigentlich nicht auch sich in eine kulturelle Wirklichkeit mehr integrieren müssten, die eben von Zuwanderern mitbestimmt wird.

    Professor Simitis setzt aus seiner politischen Erfahrung den Akzent ein wenig anders und beschreibt aus seiner Sicht das Dilemma der Integrationspolitik so:

    Wenn wir unsere Grenzen öffnen und wenn wir akzeptieren, dass die Situation eine andere ist als früher, dann ist das wichtigste Problem ohne jeden Zweifel, und das ist richtig, die Integration. Und da will ich auch aus meiner Erfahrung sagen, wir haben es bis jetzt mit einer doppelten Ghettoisierung zu tun. Doppelt ist sie deshalb gewesen, weil: zum einen die Ausländer abgedrängt wurden, für sich waren, nur mit sich etwas zu tun hatten und zum anderen die Länder, aus denen sie kamen, das konnte man an den europäischen Ländern sehr gut sehen, z. B. Griechenland, wenn sie das nehmen, aber jetzt können sie mit der Türkei das auch sehen, die haben alles getan, damit diejenigen, die hier sind, möglichst das bleiben, was sie ihrer Ansicht nach sein sollten, nämlich Türken, Griechen, Spanier oder sonst etwas. Und das geht nicht.

    Dass Integrationspolitik keine Einbahnstraße sein kann, egal ob die Heimatländer sie fördern oder behindern, weiß Nargess Eskandari aus dem Iran spätestens seit sie sich in Frankfurt niedergelassen hat. Und dafür arbeitet sie politisch als Stadtverordnete der Grünen im Frankfurter Römer.

    Integration ist einfach für mich ein Weg, die wirklich nur möglich ist, wenn die Menschen aufeinander zugehen. Ich denke, Integration für mich ist nicht Gesetze und Rahmen - dass man sagen kann, da und da musst du dich anpassen. Integration heißt, dass die Menschen aufeinander zugehen und auch voneinander was lernen.

    In der politischen und wissenschaftlichen Debatte um Integration taucht in letzter Zeit immer wieder der Begriff "Parallelgesellschaften" auf. Viele der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, so die umstrittene These, wollen im Grunde mit dieser Republik, in der sie leben und arbeiten, in der sie vielleicht sogar geboren sind, nichts zu tun haben. Bundespräsident Johannes Rau z.B. hat in diesem Zusammenhang davor gewarnt, so wörtlich, "Inseln außerhalb des gesellschaftlichen Grundkonsenses", mitten in Deutschland entstehen zu lassen.

    Für die Frankfurter Wissenschaftlerin Regina Römhild ist dies eine typisch deutsche Debatte: Eine harmonische, homogene Gesellschaft sei ein Mythos, meint sie, von dem es schleunigst Abschied zu nehmen gelte.

    Man kann, wenn man sich jetzt hier in diesen Alltag reinbegibt, durchaus beobachten, dass es auch so etwas gibt wie Normalität in diesem Zusammenleben. Zum Teil wird das in den politischen Diskursen sehr viel anders dargestellt und auch mehr dramatisiert, als es tatsächlich ist. Gerade bei den jungen Leuten ist es im Grunde genommen eine sehr normale Alltagserfahrung, eben mit Menschen verschiedener Nationalität umzugehen.

    Darüberhinaus konstatiert sie als Ergebnis ihrer Feldforschungen...

    ... dass z. B. die interessantesten kulturellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft gar nicht stattfinden würden, wenn wir diese Einwanderung nicht hätten und wenn wir nicht diese kulturelle Vervielfältigung, sozusagen, auch in unserer Kultur hätten.

    Auf die schlagworthaften Begriffe wie "Leitkultur" und "Parallelgesellschaften" reagiert Spiros Simitis energischer. Er bezweifelt, dass es überhaupt möglich sei, Menschen aus verschiedenen Kulturen, im selben Land zu separieren.

    Wenn man meint, man betreibt zwei Kulturen nebeneinander, oder drei, oder vier, oder fünf, oder sechs - dann kann es nicht gutgehen. Und es geht auch nicht, wenn man nicht versteht, dass es keine Trennung dieser Kulturen gibt, sondern dass sie sich weiter gemeinsam entwickeln und sich gegenseitig beeinflussen.

    Voraussetzung dafür ist freilich gegenseitiges Wahrnehmen und Verstehen durch Sprachkompetenz. Nargess Eskandari jedenfalls hält die Sprachkursvorgaben des Zuwanderungsgesetzes für längst überfällig:

    Ich glaube, die Sprache ist ein sehr, sehr wichtiger Faktor. Wenn man in dieses Land hereinkommt, nicht nur die Migranten selbst, sondern dieses Land muss dazu beitragen, dass die Menschen die Sprache lernen, selbst wenn es ein Muss ist. Man muss die Sprache lernen. Und dann ist überhaupt Integration möglich.

    Oft kann aber auch die gemeinsame Sprache nicht verhindern, dass Vorurteile und Fremdenangst spürbar werden.

    "Da hat er mich gefragt, wie wir gegessen haben, ob wir zuhause Gabel oder Messer hatten; naja, und hat dann gesagt, ob wir eine Ölquelle in unserem Garten hatten." - "Es hat lange Zeit einen Bremer Professor gegeben, der die These immer wieder aufgestellt hat, dass griechische Mädchen Klöppeln lernen müssten, weil das sozusagen zu der Eigenart der griechischen Mädchen gehörte." - "Bei mir, muss ich sagen, habe ich keine schlechten Erfahrungen gemacht - vor allem bei älteren Leuten gibt es Probleme, aber das nehme ich halt nicht so auf, weil - ältere Leute -, das ist schon etwas anderes."

    Der beginnende Bundestagswahlkampf wirft seine Schatten voraus und es wird deutlich, dass für einige Politiker die Versuchung nahe liegt, aus Fremdenfeindlichkeit Profit zu schlagen und den Parteienerfolg für wichtiger zu halten als den gesellschaftlichen Frieden.

    Marie Luise Beck gibt sich dennoch optimistisch, dass sich Vorurteile und Fremdenangst auf längere Sicht abbauen lassen.

    Ich gehe davon aus, dass zum Teil einfach die Alltagsrealitäten die Haltung und das Klima in der Bevölkerung auch mitbefruchten. Wenn in manchen ostdeutschen Kliniken bereits die fachärztliche Versorgung nicht mehr gesichert werden kann, und man liegt mit einem akuten Blinddarm auf der Wartestation, dann ist man, glaube ich, nicht böse, wenn ein zugewanderter Arzt einen operiert. Insofern setze ich ein Stück einfach darauf, dass wir doch immer wieder sehen, dass Migration eben sehr wohl auch Vorteile hat.

    Aus den Forschungen von Regina Römhild wird deutlich, dass in den Beziehungen Jugendlicher untereinander die Zuordnung nach Nationalitäten durchaus eine Rolle spielt. Man will sich voneinander unterscheiden, man trifft sich aber auf der Ebene ähnlicher Erfahrungen wieder. Der völlige Abbau von Vorurteilen scheint indes in diesen Gruppen für ein friedliches Zusammenleben nicht Voraussetzung zu sein.

    Das interessante Phänomen, das man alltäglich, kann man in jeder Schulklasse beobachten, sehr wohl mit Tolga und Kadir und sonst wie nebeneinander sitzt, mit denen auch zu tun hat und sich ganz alltäglich mit denen bewegt und man aber in anderen Zusammenhängen durchaus fremdenfeindliche Haltungen haben kann, das scheint parallel in ein und demselben Menschen koexistieren zu können.

    Aber grundsätzlich bleibt richtig: Je weniger man über den Fremden weiß, desto schneller bilden sich Ängste und Vorurteile. Nargess Eskandari muss heute lachen, wenn sie sich an die ersten Gespräche mit ihrem deutschen Vermieter vor 17 Jahren erinnert.

    Der Mann hatte eigentlich überhaupt keine Ahnung gehabt, wo ich herkomme: Wo liegt dieses Land? Was hat dieses Land für eine Geschichte? - Und ich merke, wie interessant diese Begegnung war. Wir waren uns beide sehr fremd. Da merkte ich, dass das sehr spannend war, wie man aufeinander zugeht und wieviel man voneinander - nicht unbedingt Vorurteile - man weiß voneinander nichts.

    Wichtig für den Abbau von Schranken zwischen den Menschen aus verschiedenen Heimatländern ist auch, dass jeder, unabhängig von seiner Herkunft, am politischen Leben teilnehmen kann. Und das ist nach wie vor in Deutschland - im umfassenden Sinne - nur mit einem deutschen Paß möglich.

    "Seit letztem Jahr habe ich die Einbürgerung gemacht. Ich bin jetzt Deutscher." - "Ich will auch nicht irgendwie deutsch werden, weil für mich macht ein Pass, ein Papier die Menschen nicht zu Spaniern, Deutschen, Ukrainern oder Südafrikanern." - "Ich habe eine doppelte Staatsangehörigkeit." - "Ich muss sagen, ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass ich diesen Pass hatte, das ist, als ob du plötzlich einen Namen kriegst."

    Die Zahl der Einbürgerungen ist seit 1994 kontinuierlich gestiegen. Alleine im Jahr 2000 haben knapp 190.000 Personen einen neuen deutschen Pass bekommen. Eine Steigerung um ungefähr 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die auch auf die Änderung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zurückzuführen ist.

    Die häufigsten Anträge auf Einbürgerung wurden von Türken gestellt, gefolgt von den Iranern. Der deutsche Pass ist vor allem für Nicht-EU-Bürger von großer Bedeutung. So auch für die Iranerin Nargess Eskandari.

    Ich kann mich erinnern, sogar wenn ich zu Banken gegangen bin, ich musste diesen Reisepass, diesen Flüchtlingsreisepass mittragen, weil ich keine Ausweise in diesem Land hatte. Ich habe das Gefühl, das war wie eine Beleidigung - wie ein Statusloser.

    Die Europäer sind auf dem Weg zur Gleichberechtigung schon einen Schritt weiter: Jeder kann an kommunalen Wahlen teilnehmen.

    Das Zuwanderungsgesetz formuliert die Freizügigkeit von Unionsbürgern neu: Danach sind sie künftig von der Aufenthaltsgenehmigungspflicht befreit und erhalten nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts ein Niederlassungsrecht. Aber: Das Wahlrecht bei nationalen Wahlen bleibt ihnen vorenthalten.

    Neben einer gesetzlichen Regelung, die den gewachsenen interkulturellen Traditionen in Deutschland Rechnung trägt, ist für die Ausländer die Annerkennung in Beruf und Gesellschaft von großer Bedeutung. Und hier lässt die Chancengleichheit deutlich zu wünschen übrig:

    Bei Spiros Simitis z.B. verlief die gesellschaftliche Eingliederung ebenso nahtlos wie die berufliche Karriere.

    Ich habe Jura studiert; da gab es sonst niemanden, und alle haben sich meiner mit Interesse und Freundlichkeit angenommen. Da mir das Studium von Anfang an auch sehr viel Spaß gemacht hat, war es letztlich gar keine Schwierigkeit. Als ich dann gefragt wurde, ob ich hessischer Datenschutzbeauftragter werden will, habe ich sofort ja gesagt und dann auch selbstverständlich die deutsche Staatsangehörigkeit sehr schnell angenommen.

    Ganz Gegensatz dazu blieb Boris Utschaew die berufliche Anerkennung versagt.

    Ich habe Maschinenbau gelernt. Und nach der Absolvierung der Hochschule war ich in vielen Sparten des Maschinenbaus tätig gewesen. Grundsätzlich war es ein interessanter Job.

    Ein ähnlich interessanter Job war für ihn in der Bundesrepublik nicht zu bekommen.

    Ich habe einen Antrag gestellt hier in Frankfurt auf dem Arbeitsamt für die qualifizierten Arbeitskräfte. Aber es wurde mir gesagt, dass es im Bereich Maschinenbau momentan eine sehr schwere Lage ist. Mir wurde empfohlen, hier als Industriekaufmann eine Umschulung zu machen und weiter einen Beruf in dem Feld zu suchen.

    Boris Utschaew steht nicht alleine mit seinem Problem: Viele seiner Freunde unter den Spätaussiedlern fanden im erlernten Beruf keine Anstellung.

    Die Iranerin Nargess Eskandari dagegen hat es geschafft: Sie hatte alleine dadurch bessere Startbedingungen, dass sie in Deutschland studierte. Heute arbeitet sie als Psychotherapeutin.

    Ich muss sagen, ich bin dankbar, dass ich überhaupt für mein Leben so eine Chance hatte. Gut, für diese Chance habe ich sehr hart gekämpft. Aber dass es einfach möglich war, in einem demokratischen Land zu leben, dass ich auch überhaupt weiterkommen konnte, in dem Sinne, dass ich meine Fähigkeiten oder auch meine Kompetenzen geschätzt werden, auch an der Uni anerkannt werden, ich denke, das ist gut.

    Trotz unterschiedlicher beruflicher Chancen und politischer Rechte, trotz bestehender Vorurteile und dem lautstarken Spektakel um die Verabschiedung des Einwanderungsgesetzes: Boris Utschaew, Nargess Eskandari und Spiros Simitis sind inzwischen für die meisten Deutschen unverzichtbare Teile der bundesrepublikanischen Zivilgesellschaft geworden. Das Zusammenleben findet statt außerhalb von einengenden Normierungen. Und dies, obwohl die Politik in den letzten 50 Jahren - aus der Sicht von Kritikern - mit ihren Konzepten der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkte.