Damit hatte wirklich niemand gerechnet: Der Welt- und Europameister Deutschland musste gegen das Team der Tschechoslowakei ins Elfmeterschießen:
"4:3 führt die CSSR, Hoeneß läuft an, schießt - und jagt den Ball über die Querlatte!" - "Jetzt läuft Panenka an. Sepp Maier lauert. Panenka - schießt ein! Die Tschechoslowakei ist Europameister im Fußball der Nationalmannschaften des Jahres 1976!"
Dass Reporter Eberhard Stanjek das Turnier so umständlich betitelte, war kein Wunder. Bis in die achtziger Jahre hinein haben Fußballfans in Westeuropa mit der EM gefremdelt. International glänzen konnte hier der Fußball des Ostens. Der Sporthistoriker Dietrich Schulze-Marmeling:
"Es gab den System-Fußball à la Sowjetunion, es gab aber auch einen viel individualistischer angelegten Fußball in Ungarn, Tschechoslowakei, auch sicherlich in Polen, der auf nationalen Spielkulturen beruhte, die bereits weit vor Etablierung des realen Sozialismus dort existierten."
Sie hatten ihre Wurzeln vielfach noch im alten Österreich-Ungarn. Dessen Fußballvereine hielten auch noch zusammen, als die Doppelmonarchie 1918 zerfallen war. Georg Spitaler von der Universität Wien.
"Der sportliche Höhepunkt des österreichischen Fußballs war ja eher in der Zwischenkriegszeit, wo es ein Netzwerk gab von Städten wie Wien, Prag, Budapest, Brünn, und da gab es den Donaufußball, der genau davon gelebt hat, dass es eben ein Austausch war von Spielstil, von Spielern - und das, was dann raus kam, diese Mischung, einfach besser war als das, was die einzelnen Teile gekonnt hätten."
Der legendäre Donaufußball - wie er aussah, umreißt die Bonner Sporthistorikerin Britta Lenz:
"Ein sehr technisches Spiel, das auf Kombinationen beruht, auf Passspiel beruht, weniger auf Kraft. Das sieht in Wien anders aus als in Prag oder in Krakau, aber von der Grund-Spielauffassung hat es eben Ähnlichkeiten."
Und es wirkte nach bis zur WM 1954. Deutschland bekam das in der Vorrunde zu spüren:
"Ungarn drängt! Auf dem linken Flügel! Czibor will es wahrhaben - spielt ab - Schuß - Tor - Er ging ab wie die Post, an zwei deutschen Spielern vorbei, hatte ungünstigen Schußwinkel, paßte zu Kosics, und er stand und schoß mühelos zum 8:2 ein! Bitte halten Sie die Daumen, dass es nicht zweistellig wird!"
Die Erinnerung an den Donaufußball schwingt bis heute mit, wenn in Mittelosteuropa über grenzüberschreitende Fußball-Initiativen nachgedacht wird. Der Sport hat hier mitunter tatsächlich der Völkerverständigung gedient. In der Tschechoslowakei der 30er-Jahre gab es zwar tschechische, slowakische, polnische, deutsche und ungarische Vereine. Aber, so Stefan Zwicker von der Universität Bonn:
"Solche Nachbarn haben oft gegeneinander gespielt, meistens als Freundschaftsspiele, und diese Spiele verliefen interessanterweise meist ohne große Aggressionen. Die Aggressionen waren viel größer, wenn zwei tschechische Vereine oder zwei deutsche Vereine, die sportliche Rivalen waren, wenn die aufeinandergestoßen sind, da war wesentlich mehr Brisanz in dem Spiel."
Wie wenig sich der Sport um politische Grenzen scherte, zeigt auch die Laufbahn des schlesischen Stürmers Ernst Willimowski. Willimowski spielte zwischen 1920 und 45 unter anderem in der deutschen und der polnischen Nationalmannschaft. Bei der WM 1938 schoß er für Polen in einem Spiel vier Tore - das war WM-Rekord bis 1994. Willimowski könnte posthum zu einer deutsch-polnischen Integrationsfigur werden, sagt Prof. Diethelm Blecking von der Universität Freiburg. Freilich:
"Der DFB hat in den letzten Jahren mehr getan für Erinnerungsarbeit, aber der DFB war nicht sensibel genug, zu erkennen, dass da jemand ist, der eine so große Mission bedienen könnte! Das ist aber wahrscheinlich nicht böswillig, sondern es hat zu tun mit Vergessen. Ernst Willimowski gehört zu den vergessenen Nationalspielern."
Anders als Polen stand das EM-Gastgeberland Ukraine bei der Leipziger Tagung vielleicht ein wenig am Rande. Den ukrainischen Profifußball beherrschen heute finanzstarke Oligarchen. Ein zweischneidiges Schwert, findet der Leipziger Ukraine-Experte Wilfried Jilge.
"Der Achmetow zum Beispiel in Donezk, er ist wirklich engagiert, aber ob er sich beispielsweise im Rahmen des Fußballverbandes der Ukraine mit den anderen Oligarchen darauf verständigen kann, auch eine breitere Förderung, eine Verbindung herzustellen, die für den Ausbau des Fußballs in der Ukraine entscheidend sein wird, nämlich die Verbindung zwischen dem Amateurbereich, der Nachwuchsförderung auf der einen Seite und dem Profifußball der großen Vereine auf der anderen Seite - das ist sehr fraglich."
So konnte Jilge da auch in seinem Vortrag kaum Hoffnung machen. Allerdings ist der Fußball selbst in der ukrainischen Gesellschaft ein einigendes Element. Die kommende EM könnte dieses Element stärken - und sie könnte auch daran erinnern, wie sehr die Region zwischen Schwarzem Meer, Ostsee und Adria den Fußballsport befruchtet hat.
"4:3 führt die CSSR, Hoeneß läuft an, schießt - und jagt den Ball über die Querlatte!" - "Jetzt läuft Panenka an. Sepp Maier lauert. Panenka - schießt ein! Die Tschechoslowakei ist Europameister im Fußball der Nationalmannschaften des Jahres 1976!"
Dass Reporter Eberhard Stanjek das Turnier so umständlich betitelte, war kein Wunder. Bis in die achtziger Jahre hinein haben Fußballfans in Westeuropa mit der EM gefremdelt. International glänzen konnte hier der Fußball des Ostens. Der Sporthistoriker Dietrich Schulze-Marmeling:
"Es gab den System-Fußball à la Sowjetunion, es gab aber auch einen viel individualistischer angelegten Fußball in Ungarn, Tschechoslowakei, auch sicherlich in Polen, der auf nationalen Spielkulturen beruhte, die bereits weit vor Etablierung des realen Sozialismus dort existierten."
Sie hatten ihre Wurzeln vielfach noch im alten Österreich-Ungarn. Dessen Fußballvereine hielten auch noch zusammen, als die Doppelmonarchie 1918 zerfallen war. Georg Spitaler von der Universität Wien.
"Der sportliche Höhepunkt des österreichischen Fußballs war ja eher in der Zwischenkriegszeit, wo es ein Netzwerk gab von Städten wie Wien, Prag, Budapest, Brünn, und da gab es den Donaufußball, der genau davon gelebt hat, dass es eben ein Austausch war von Spielstil, von Spielern - und das, was dann raus kam, diese Mischung, einfach besser war als das, was die einzelnen Teile gekonnt hätten."
Der legendäre Donaufußball - wie er aussah, umreißt die Bonner Sporthistorikerin Britta Lenz:
"Ein sehr technisches Spiel, das auf Kombinationen beruht, auf Passspiel beruht, weniger auf Kraft. Das sieht in Wien anders aus als in Prag oder in Krakau, aber von der Grund-Spielauffassung hat es eben Ähnlichkeiten."
Und es wirkte nach bis zur WM 1954. Deutschland bekam das in der Vorrunde zu spüren:
"Ungarn drängt! Auf dem linken Flügel! Czibor will es wahrhaben - spielt ab - Schuß - Tor - Er ging ab wie die Post, an zwei deutschen Spielern vorbei, hatte ungünstigen Schußwinkel, paßte zu Kosics, und er stand und schoß mühelos zum 8:2 ein! Bitte halten Sie die Daumen, dass es nicht zweistellig wird!"
Die Erinnerung an den Donaufußball schwingt bis heute mit, wenn in Mittelosteuropa über grenzüberschreitende Fußball-Initiativen nachgedacht wird. Der Sport hat hier mitunter tatsächlich der Völkerverständigung gedient. In der Tschechoslowakei der 30er-Jahre gab es zwar tschechische, slowakische, polnische, deutsche und ungarische Vereine. Aber, so Stefan Zwicker von der Universität Bonn:
"Solche Nachbarn haben oft gegeneinander gespielt, meistens als Freundschaftsspiele, und diese Spiele verliefen interessanterweise meist ohne große Aggressionen. Die Aggressionen waren viel größer, wenn zwei tschechische Vereine oder zwei deutsche Vereine, die sportliche Rivalen waren, wenn die aufeinandergestoßen sind, da war wesentlich mehr Brisanz in dem Spiel."
Wie wenig sich der Sport um politische Grenzen scherte, zeigt auch die Laufbahn des schlesischen Stürmers Ernst Willimowski. Willimowski spielte zwischen 1920 und 45 unter anderem in der deutschen und der polnischen Nationalmannschaft. Bei der WM 1938 schoß er für Polen in einem Spiel vier Tore - das war WM-Rekord bis 1994. Willimowski könnte posthum zu einer deutsch-polnischen Integrationsfigur werden, sagt Prof. Diethelm Blecking von der Universität Freiburg. Freilich:
"Der DFB hat in den letzten Jahren mehr getan für Erinnerungsarbeit, aber der DFB war nicht sensibel genug, zu erkennen, dass da jemand ist, der eine so große Mission bedienen könnte! Das ist aber wahrscheinlich nicht böswillig, sondern es hat zu tun mit Vergessen. Ernst Willimowski gehört zu den vergessenen Nationalspielern."
Anders als Polen stand das EM-Gastgeberland Ukraine bei der Leipziger Tagung vielleicht ein wenig am Rande. Den ukrainischen Profifußball beherrschen heute finanzstarke Oligarchen. Ein zweischneidiges Schwert, findet der Leipziger Ukraine-Experte Wilfried Jilge.
"Der Achmetow zum Beispiel in Donezk, er ist wirklich engagiert, aber ob er sich beispielsweise im Rahmen des Fußballverbandes der Ukraine mit den anderen Oligarchen darauf verständigen kann, auch eine breitere Förderung, eine Verbindung herzustellen, die für den Ausbau des Fußballs in der Ukraine entscheidend sein wird, nämlich die Verbindung zwischen dem Amateurbereich, der Nachwuchsförderung auf der einen Seite und dem Profifußball der großen Vereine auf der anderen Seite - das ist sehr fraglich."
So konnte Jilge da auch in seinem Vortrag kaum Hoffnung machen. Allerdings ist der Fußball selbst in der ukrainischen Gesellschaft ein einigendes Element. Die kommende EM könnte dieses Element stärken - und sie könnte auch daran erinnern, wie sehr die Region zwischen Schwarzem Meer, Ostsee und Adria den Fußballsport befruchtet hat.