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Kongo
UNO-Raketen für den Frieden

Die UNO-Blauhelme rüsten sich im Ostkongo für den Krieg. Zum ersten Mal weltweit hat der UNO-Sicherheitsrat eine Friedensmission mit einem solch robusten Mandat ausgestattet, dass sie aktiv gegen Rebellen vorgehen kann. Doch die Operation ist riskant, das Risiko für die Zivilisten groß.

Von Simone Schlindwein | 24.01.2015
    Die UNO-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Abkürzung: MONUC) ist einer der derzeit größten friedenssichernden Einsätze der Vereinten Nationen.
    Die UNO-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (Abkürzung: MONUC) ist einer der derzeit größten friedenssichernden Einsätze der Vereinten Nationen. (dpa / picture alliance / Yannick Tylle)
    Godanze Nyasafari versucht, ihr Baby zu beruhigen. Es saugt an der Brust, doch die Mutter hat kaum Milch. Die 31-jährige Ruanderin wirkt ausgezehrt. In schmutziger Kleidung sitzt sie in einem Transitlager des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im Ostkongo auf einer Holzbank. Ein UNO-Mitarbeiter weist Nyasafari an, in die Kamera zu gucken: Dann drückt er auf den Auslöser. Anschließend werden ihre Daten in den Computer eingegeben.
    Mehr als 20 Jahre lebte die Ruanderin als Flüchtling im Ostkongo. Sie ist von der Ethnie der Hutu. Millionen von Hutu hatten sich nach dem Völkermord an über 800.000 Tutsi in Ruanda 1994 in den benachbarten Dschungel gerettet – aus Angst vor Rache der Tutsi-Rebellen, die unter der Führung des heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame das Land erobert hatten, um den Völkermord zu stoppen.
    Nyasafaris Mann ist ein Kämpfer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR, die sich im Ostkongo formiert hatte. Seit 20 Jahren führt die FDLR Krieg gegen das Regime in Ruanda und misshandelt dabei die kongolesische Bevölkerung. Jetzt geht die UNO gegen die FDLR vor. Das war der Grund, warum Nyasfari sich an UNHCR gewandt hat, sagt sie.
    "Ich hatte solche Angst, als wir im Radio hörten, dass man uns jagen wird. Wir haben in der Siedlung Binza gelebt, dort hatten die Kameraden meines Mannes ein paar Hügel besetzt. Er hat mir gesagt, ich soll zur UNO flüchten. Jetzt werde der Krieg beginnen. Seine Kommandeure haben ihm einen Befehl gegeben und er ist in den Dschungel abmarschiert. Ich bin mit dem Baby und dem fünfjährigen Sohn lange gelaufen – bis ich eine UN-Station gefunden habe. Jetzt bin ich froh, nach Hause zurückzukommen. Ich habe gehört, das Leben dort sei gut und wenn Gott will, werde ich meine Mutter wieder sehen."
    So wie Nyasafari suchen derzeit täglich Hunderte ruandische Hutu-Familien Schutz in den UNO-Lagern. Die FDLR gilt als die stärkste und brutalste Miliz im Kongo. Einst bestand sie aus 20.000 Kämpfern, heute sind es nur noch 1300. Sie behaupten von sich, die Schutzmacht der über 200.000 ruandischen Hutu-Flüchtlinge zu sein. Ihre Führung setzt sich aus Tätern und Drahtziehern des Völkermordes zusammen.
    Auch Aufklärungsdrohnen im Einsatz
    Die FDLR-Aktivitäten seien der Hauptgrund für die Konflikte zwischen den Nachbarländern Ruanda und Kongo. Und deswegen habe die UNO beschlossen, nun gegen die Miliz vorzugehen, bestätigt Martin Kobler, der deutsche Chef der UNO-Mission im Kongo:
    "Wir haben das Peacekeeping-Modell weiterentwickelt. Man kann das, was wir machen, wie vor einigen Tagen Positionen zu bombardieren, ja nun nicht mehr als Peacekeeping bezeichnen. Das sind ganz klare Kriegsaktionen und wir haben den Bereich von Peacekeeping eigentlich verlassen. Wir haben das Mandat des Sicherheitsrates, offensive Operationen zur Neutralisierung aller bewaffneten Gruppen durchzuführen. Aber es gibt auch Regeln und es ist klar, dass wir den Effekt auf die Zivilbevölkerung so weit wie möglich minimieren müssen. Die Basis dafür ist aber eine gute Nachrichtendiensttätigkeit. Wir haben Drohnen und können sehen, ob sich in einer FDLR-Position Flüchtlinge aufhalten oder nicht und wie weit sie weg sind."
    Die UN-Mission im Kongo ist derzeit die einzige Friedensmission, die aktiv und robust in einen Konflikt eingreifen darf. Auch Aufklärungsdrohnen werden hier zum ersten Mal eingesetzt. Der Kongo gilt als Testgebiet für ein neues Konzept des UN-Sicherheitsrats – umschrieben als: "Friedenserzwingung".
    Doch solche Operationen sind riskant. Die FDLR ist dafür berüchtigt, ihre eigenen Familienangehörigen als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Daran scheiterten schon in der Vergangenheit Versuche, diese Miliz zu bekämpfen. Bereits 2009 sind Kongos und Ruandas Armeen gegen die FDLR vorgegangen. Dabei wurden hunderte ruandische Flüchtlinge getötet. Die FDLR rächte sich mit Massakern an kongolesischen Zivilisten. Um dies zu vermeiden, bemüht sich das UN-Flüchtlingshilfswerk, die Flüchtlinge zu warnen, sagt Boniface Kinyanjui vom UN-Flüchtlingshilfswerk.
    "Wir sind bereit, die Flüchtlinge nach Ruanda zurückzubringen, wenn sie sich bei uns melden. Wir verbreiten entsprechende Mitteilungen über alle Radiosender und arbeiten mit der Zivilgesellschaft sowie den Kirchen zusammen, um zu kommunizieren, dass wir für die Flüchtlinge da sind. Wir Hilfsagenturen haben Pläne ausgearbeitet, wie wir Zivilisten schützen können. Wir haben Sammelpunkte eingerichtet, wo sich die Flüchtlinge melden können. Von dort bringen wir sie dann nach Hause. Wir repatriieren seit vielen Jahren ruandische Flüchtlinge, das ist nicht das erste Mal."
    Indirekt verwandeln sich damit die UNO-Hilfsorganisationen in Instrumente der Kriegsführung. Dies scheint vielen Mitarbeitern der Hilfswerke bewusst zu sein. Glücklich sind sie darüber nicht. Viele äußern Bedenken, ob sie sich nicht in Gefahr begeben, wenn jetzt die Vereinten Nationen als aktive Kriegspartei auftreten.
    Einige Hilfswerke wie zum Beispiel Merlin oder der dänische Flüchtlingsrat haben ihre Fahrzeuge von der UNO-Farbe Weiß umlackiert in Gelb oder Grün, damit sie nicht mit UN-Fahrzeugen verwechselt und versehentlich angegriffen werden. Offen darüber sprechen will jedoch niemand.
    Für die Ruanderin Nyasafari allerdings beginnt heute ein neues Leben. Sie möchte jetzt endlich ihre beiden anderen Kinder in die Schule schicken. Nachdem die UNHCR-Mitarbeiter die Registrierung ihrer Daten beendet haben, klettert sie auf einen Lastwagen, der Richtung Grenze fahren wird. Mit jeder repatriierten Frau, jedem in die Heimat zurückgebrachten Kind, mindert sich das Risiko, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Doch gänzlich ausgeschlossen ist es damit keineswegs.