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Konjunkturexperte: Kein Spekulant investiert in ein bekanntes Risiko

Für Kai Carstensen, Konjunkturforscher des Ifo-Instituts München, war das Ausmaß der US-Banken und Hypothekenkrise auch für Investoren nicht klar erkennbar. Niemand würde schließlich Gelder in ein vom Zusammenbruch bedrohtes System investieren. Deutsche Banken sieht Carstensen eher auf der sicheren Seite.

Kai Carstensen im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Eine Bank geht pleite und weltweit entsteht eine Sogwirkung. Verluste an den Finanzmärkten überall. Lehman Brothers mit über 600 Milliarden Dollar Schulden zahlungsunfähig. Eben kein Einzelfall, sondern ein weiterer Fall in einer langen, langen, sehr langen Kette. Gestern auch Kursverluste in Frankfurt. Auch heute wieder Talfahrt.
    New York ist und bleibt wohl Richtschnur für alle anderen Finanzplätze in der Welt und ausgerechnet von der Wall Street kamen nun diese Signale mit dem Daumen nach unten, die höchsten Verluste seit dem 11. September 2001. Auch die amerikanische Regierung hat offenbar keine Lust mehr auf weitere Geldspritzen.
    Eine Jahrhundertkrise, so wie von Alan Greenspan prognostiziert, ist es noch nicht, in Japan jedenfalls noch nicht, aber auch in Tokyo und anderswo in Asien gehen die Börsennotierungen in den Keller.
    Am Telefon begrüße ich nun Kai Carstensen, Konjunkturexperte des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Tag nach München.

    Kai Carstensen: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Carstensen, geht die ganze Krise tatsächlich immer noch auf ein paar ungedeckte Kredite zurück?

    Carstensen: Na ja, "ein paar ungedeckte Kredite" ist gut. Es geht hier um viele Hundert Milliarden US-Dollar und das ist schon ein ganzer Batzen. Das kann große Banken in den Abwärtsstrudel reißen, wie wir jetzt gerade sehen.

    Müller: War das ein großer politischer Fehler, das zuzulassen, dass viele, viele Unternehmen und Banken Milliarden, Hunderte von Milliarden einfach so aufnehmen können, damit handeln können, damit wirtschaften können, ohne dass diese gedeckt waren?

    Carstensen: Die Frage ist natürlich, was heißt überhaupt "gedeckt". Zunächst einmal mit Krediten zu handeln, ist aus ökonomischer Sicht durchaus sinnvoll, weil man zum Beispiel Risiken, gute und schlechte Risiken mischen kann und dadurch Portfolios schaffen kann, die im Idealfall sehr viel besser funktionieren, als wenn man nicht handelt. Was wir jetzt gesehen haben ist, dass sehr viele dieser Kredite auf Sand gebaut waren - und zwar in dem Sinne, dass die Amerikaner und auch die ausländischen Investoren implizit davon ausgingen, dass die Hauspreise in den USA immer weiter steigen und die Hausbesitzer dort, die Kreditnehmer (die waren es ja letzten Endes) auch ihre Kredite zurückzahlen können. Genau diese Hoffnung ist jetzt geplatzt.

    Müller: Wenn es vor einigen Jahren darüber Zweifel gegeben haben sollte, dass Finanzmärkte international sehr, sehr verwundbar sind, weil offenbar die Selbstregulierung nicht so richtig klappt, kann man das heute anders beantworten?

    Carstensen: Nein. Wir wissen eigentlich, dass Finanzmärkte typischerweise sehr verwundbar sind, dass Krisen, kann man schon fast sagen, zu Finanzmärkten dazugehören. Das liegt möglicherweise in der Natur der Sache. Übertreibungen hat es schon vor Jahrhunderten gegeben. Es gab mal so eine Tulpeneuphorie vor mehreren hundert Jahren in Holland. Auch damals haben die Leute ihre Tulpenzwiebeln in Gold aufgewogen und haben sich dann irgendwann gewundert, dass der Gegenwert dann doch nicht so war wie gedacht. Es ist also sehr schwer, diesem Phänomen zu begegnen, denn das Hauptproblem ist zu erkennen, wann befinden wir uns in so einer Übertreibungssituation und wann eigentlich noch in einer Situation, in der alles ganz rund läuft. Im Nachhinein weiß man es immer ganz genau, aber von Vornherein ist das sehr schwer.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Carstensen, sagen Sie klipp und klar, im Moment ist die Reaktion übertrieben?

    Carstensen: Was zunächst übertrieben war ist der Hauspreisanstieg in den USA und die Hoffnung, dass das immer so weiter geht, denn das waren Steigerungsraten, die waren auch schon kurz vor dem Crash eigentlich kaum noch haltbar. Viele Leute haben das auch gesagt, speziell die amerikanische Notenbank. Wir Ökonomen nennen so etwas eine Blase und irgendwann platzt so eine Blase. Eine Blase ist eine Übertreibung und diese Übertreibung reguliert sich jetzt. Was wir also momentan sehen ist eine Regulierung nach unten in diesem Falle. Insofern weiß ich gar nicht, ob die Regulierung, die Selbstregulierung, wenn man so will, jetzt eine Übertreibung ist. Ich glaube eher nicht. Wir kehren zurück in einen Zustand der Normalität, aber der Ablauf ist natürlich sehr schmerzhaft. Das ist immer bei solchen Phänomenen der Fall.

    Müller: Ganz einfach gefragt, Herr Carstensen, sicherlich nicht einfach zu beantworten. Sollten Regierungen dafür sorgen, dass die Märkte künftig nicht mehr übertreiben können?

    Carstensen: Na ja, das hatte ich schon versucht anzudeuten. Es ist ganz schwierig zu erkennen, was denn eine Übertreibung ist. Wäre es einfach, das zu erkennen, dann wäre es auch sinnvoll, hier regulierend einzugreifen. Nur die Finanzmarktteilnehmer selbst haben es ja nicht erkannt und ganz ehrlich: kein Investor, auch keiner von den Spekulanten, wie sie ja häufig genannt werden, würde ja Geld irgendwo reininvestieren, wenn er wüsste, das ist eine Übertreibung und morgen bricht alles zusammen.

    Müller: Also ist die Politik ohnmächtig?

    Carstensen: Ich glaube, wir befinden uns in dem Problem, dass wir a priori nicht gut erkennen können, wann wir uns in einer Phase der Übertreibung befinden, und das macht staatliche Regulierung an der Stelle sehr schwierig. Aber das bedeutet nicht, dass nicht Fehler gemacht worden sind, dass sich nicht Leute zu sehr auf andere verlassen haben, beispielsweise auf Rating-Agenturen. Hier ist es sicherlich sinnvoll, darüber nachzudenken, ob es auch Regulierungslücken gibt, die geschlossen werden müssen.

    Müller: Haben Sie eine Idee, welche Lücke man schließen könnte?

    Carstensen: Wir haben schon eine Lücke geschlossen, und zwar war es möglich, dass Banken aus ihren Bilanzen heraus so genannte Zweckgesellschaften gründen können und für die kein Eigenkapital hinterlegen müssen. Das ist inzwischen behoben im Zuge von Basel II. Insofern ist an der Stelle schon etwas nicht mehr möglich, was bisher möglich war und speziell in Deutschland ja zu Verwerfungen geführt hat. Ich glaube, dass ist schon mal ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung. Dann sollte man sich sicherlich noch mal genau anschauen, wie die Rating-Agenturen agiert haben, inwieweit es da auch Interessenskonflikte gab und ob an der Stelle nicht der Staat stärker darauf achten sollte, dass eine Rating-Agentur, die an guten Ratings verdient, nicht gleichzeitig anderen Unternehmen Empfehlungen gibt, dies ist ein gutes Investment oder ein schlechtes.

    Müller: Kennen Sie eine deutsche Bank, die demnächst zusammenbrechen wird?

    Carstensen: Nein!

    Müller: Deutschland ist sicher?

    Carstensen: Na ja, 100 Prozent Sicherheit gibt es natürlich nicht. Aber die deutschen Banken, so weit ich das überblicken kann - ich kenne natürlich die Geheimnisse der Bankbilanzen, die sie nicht veröffentlicht haben, auch nicht -, haben schon sehr viel Vorsorge getroffen. Insofern würde ich jetzt davor warnen, den Bankplatz Deutschland hier nun schlecht zu reden. Ich glaube, momentan haben wir speziell ein Problem für US-Finanzinstitute. Deutsche Institute oder europäische Institute sind sicherlich insoweit betroffen, als auch sie möglicherweise Ausfälle zu verkraften haben, wenn sie beispielsweise Lehman Geld geliehen haben. Aber nach dem, was bisher bekannt ist, ist das doch in einem relativ begrenzten Umfang, so dass ich momentan nicht davon ausgehe, dass in Deutschland Banken zusammenbrechen.

    Müller: In den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk Kai Carstensen, Konjunkturexperte des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Carstensen: Auf Wiederhören!