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Konkurrenz belebt das Geschäft

Es klingt paradox, aber die Konkurrenz unter den Geberländern wächst. 30 neue Länder - darunter Brasilien, China, Indien - drängen auf den Hilfemarkt. Längst hat sich die Entwicklungshilfe zu einem ganz normalen Geschäft entwickelt - es geht um Einfluss und Wirtschaftsinteressen.

Von Astrid Prange | 12.04.2011
    Sind Schulspeisungen ein gutes Geschäft? Ist die Verteilung von Saatgut an Kleinbauern eine sinnvolle Investition? Fördert der demokratische Aufbruch in Nordafrika die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen?
    Bis vor Kurzem hätte sich niemand getraut, diese Fragen so direkt zu stellen. Doch seit Schwellenländer sich anschicken, selbst Entwicklungshilfe zu leisten, werden solche Fragen immer wichtiger.
    Die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit befindet sich im Umbruch. Nicht nur zwischen den beiden Standorten des zuständigen Ministeriums, zwischen Bonn und Berlin, sondern weltweit. Das Bild vom reichen Norden, der dem armen Süden hilft, hat tiefe Risse bekommen. China baut Straßen und Flughäfen in Afrika. Brasilien unterstützt Angola beim Wiederaufbau, Indien investiert in erneuerbare Energien in Ostafrika, und die Türkei engagiert sich im Sudan und in Äthiopien.
    Rund 30 neue Länder leisten Entwicklungshilfe. Noch sind sie nicht Mitglied im Entwicklungsausschuss der OECD, wo die alten Geber aus den Industrieländern zusammensitzen. Unter den Neuen befinden sich Länder wie Katar, Russland, Südafrika, Thailand und Venezuela. Nach Schätzungen der OECD wenden sie jährlich zwischen 13 und 15 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe in armen Ländern auf. Das entspricht rund zehn Prozent der Mittel der traditionellen westlichen Geber.
    Hat der Westen also an Einfluss verloren? In jedem Fall, sagt Ute Koczy, entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag:

    "Da ist man in der Konkurrenz, in der Auseinandersetzung mit den Ländern wie China und Indien. Deswegen ist es eine ganz große Herausforderung, zu gucken: Kann man die Politik koordinieren? Und da rumpelt es, da geht es nicht schön zu, und da gibt es Konkurrenzen."
    Insbesondere China prescht voran. Auf dem afrikanischen Kontinent hat es sich zu einem der größten Geber entwickelt. Ute Koczy, sieht in den veränderten Machtverhältnissen eine große Herausforderung.

    "Die Situation weltweit ist eine ganz andere als wie vor zehn oder 20 Jahren. Neue Länder, die neuen Geber sind gerade auch dabei, Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern zu machen. Da müssen wir uns davon verabschieden, dass wir die Einzigen sind, die so etwas tun."
    Aber kann man die Politik der Armutsbekämpfung koordinieren? Die Antwort diese Frage lautet eindeutig: "nein". Denn bis jetzt schaffen es noch nicht einmal die alten Geber, sich ausreichend untereinander abzustimmen. Das institutionelle Chaos ist enorm: Allein auf staatlicher Ebene führen insgesamt 280 bilaterale Organisationen in Entwicklungsländern Projekte durch. Daneben gibt es 25 Entwicklungsbanken und etwa 40 Einheiten bei den Vereinten Nationen, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit befassen. Hinzu kommen 260 sogenannte multilaterale Programme.
    Zu viele Köche verderben Brei sagt auch Eckhard Deutscher, ehemaliger Leiter des Entwicklungsausschusses der OECD:

    "Wenn man sich überlegt, dass alleine in Afrika 100.000 Entwicklungshelfer herumlaufen, dann kann man sich natürlich in die Lage der Partnerländer hineinversetzen, die sagen, wir sind hier schlicht überfordert."
    Auch Deutschland leistete sich bis vor Kurzem noch rund 15 verschiedene staatliche Entwicklungsagenturen. Seit Jahresanfang gibt es die GIZ, die "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit". Unter ihrem Dach vereinen sich die frühere "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit GTZ", der "Deutsche Entwicklungsdienst" DED und die Weiterbildungsagentur "Inwent". Die GIZ versteht sich als globaler entwicklungspolitischer Dienstleister. Schon jetzt führt sie neben den Aufträgen aus dem Entwicklungsministerium auch Projekte für Stiftungen oder andere Staaten durch.

    Das bringt Geld in den Topf des Regierungsunternehmens GIZ. Im Gegenzug will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das BMZ, die Anzahl der Empfängerländer verringern, die von Deutschland direkte Unterstützung erhalten. Zurzeit leistet Deutschland in 57 Entwicklungs- und Schwellenländern Entwicklungshilfe. Ende des Jahres sollen es noch 50 Länder sein.
    Für Eckhard Deutscher sind dies erste Schritte in die richtige Richtung. Deutscher, der von der OECD zur GIZ wechselte, weiß, dass viele Entwicklungsländer weiterhin durch die große Anzahl von Gebern und deren Organisationen überfordert sind. Er drängt auf Reformen. Sein wichtigstes Projekt: Eine gemeinsame europäische Entwicklungspolitik:

    "Ich bin davon überzeugt, in zehn, 15 Jahren wird so etwas kommen. Und zwar deswegen, weil man weiß, dass die 27 Entwicklungspolitiken plus die der Europäischen Union nicht effektiv sind. Die Vergemeinschaftung der Entwicklungszusammenarbeit, noch einmal, ich halte das nicht für eine Illusion, sie wird kommen. Sie ist notwendig, um sich besser koordinieren zu können mit anderen wichtigen Gebern, USA, Kanada, Japan, Australien, und nicht zu vergessen, die neuen Geber wie China, Indien, Südafrika, Mexiko."
    Im BMZ rufen Deutschers Visionen alles andere als Begeisterung hervor. Zwar teilt man dort seine kritische Analyse und seine Forderungen nach mehr Effizienz, besserer Absprache und weniger Durchführungsorganisationen. Doch statt entwicklungspolitische Vorhaben an globale Fonds oder an die EU auszulagern, setzt das Ministerium lieber auf eigene Projekte mit Partnerländern. BMZ-Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz glaubt jedenfalls nicht, dass multilaterale Entwicklungszusammenarbeit wirksamer ist:

    "Nein, das ist ein kapitaler Irrtum, weil die multilaterale Szene weitaus zersplitterter ist als alles, was im bilateralen Bereich stattfindet. Sie haben die Situation, dass Sie zurzeit bei UNO und Weltbank über 1000 multilaterale Fonds haben, alle mit eigener Organisationsstruktur. Auf der anderen Seite haben Sie weltweit vielleicht 30 relevante Geberorganisationen, die sich ja bereits hinreichend abstimmen. Bilateral ist hier nicht nur günstiger als über UNDP oder Weltbank, sondern auch wirkungsvoller."
    Bilateral gegen multilateral: Jenseits der Politik wird über diese Frage wesentlich nüchterner gestritten. Bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft begnügt man sich mit der Forderung nach besserer Abstimmung. Wenn Deutschland sich im Vergleich zu anderen Gebern auf seine komparativen Vorteile, also seine Stärken besinne, sei dies wirksamer als Kompetenzen nach Brüssel auszulagern, meint der Geschäftsführer Bruno Wenn. Sein Wort hat Gewicht: Die mit öffentlichen Mitteln ausgestattete DEG ist eine der größten Entwicklungsfinanciers in Europa und fördert mit ihren Krediten Unternehmen in Entwicklungs- und Transformationsländern.
    Jenseits der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sind auch die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, in diesem Punkt zurückhaltend. Hier will man es sich offenbar mit niemandem verderben. Schließlich werden viele Projekte der Hilfsorganisationen sowohl von staatlichen Mitteln aus dem BMZ als auch mit Geld aus Brüssel bezuschusst. Ulrich Post, Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, kurz VENRO, gibt sich pragmatisch:

    "Ich möchte das nicht nach ideologischen Gesichtspunkten bewertet haben, ob man mehr multilaterale oder mehr bilaterale Hilfe leisten sollte, sondern ich möchte das nach den Wirkungen beurteilen. Also, wo sind die Chancen am größten, dass das Ergebnis am besten ist? Ich sehe im Moment wenig Chancen für eine sehr viel stärkere Zusammenarbeit, weil es immer noch sehr starke nationale Interessen gibt. Das sieht auf NGO-Ebene ganz anders aus, da ist es natürlich einfacher, weil wir keine nationalen Interessen vertreten, sondern uns zumindest vornehmen, uns an den Interessen der Leute in den Entwicklungsländern zu orientieren."
    Die Konkurrenz unter den Gebern wächst also weiter. Internationale Zusammenarbeit entwickelt sich immer mehr zu einem ganz normalen Geschäft. "Almosen, nein danke!", könnte das Motto für diesen Paradigmenwechsel lauten. Danach werden arme Länder nicht mehr als Hilfsempfänger, sondern als potenzielle Handelspartner betrachtet.
    Die veränderten Machtverhältnisse werden auch die bevorstehende Frühjahrstagung von Weltbank und Weltwährungsfonds an diesem Wochenende in Washington prägen. Viele Nehmerländer sind selbstbewusster gegenüber ihren Gebern geworden. Indien, Eritrea und auch Vietnam suchen sich mittlerweile ihre Partner genau aus, und erteilen zuweilen auch Absagen.
    Die nordafrikanischen Länder Ägypten und Tunesien drängen auf einen Neuanfang. Die bisherige Vermischung von staatlicher Entwicklungszusammenarbeit und politischen Zwecken ist nach der historischen Wende dort nicht mehr erwünscht. Gefragt sind vielmehr Konzepte für den demokratischen Umbau von Staat und Justiz sowie mehr Unterstützung Europas bei der Aufnahme von Flüchtlingen.
    Doch die alten Geber wollen ihren internationalen Einfluss nicht verlieren und auf künftigen Märkten weiterhin präsent sein. Sie versuchen deshalb, sich aus ihrer Konkurrenzsituation durch gemeinsame Projekte zu retten. Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz gehört zu den ausdrücklichen Befürwortern solcher Dreieckskooperationen, etwa auch mit China:

    "Ich kann mit das sehr gut vorstellen. Wir haben uns sogar dazu verpflichtet. Ich selbst habe letztes Jahr in Peking mit Angela Merkel einen Vertrag unterschrieben, wo wir ausdrücklich mit der VR China vereinbart haben, trilaterale Kooperation zu betreiben. Wir haben China eingeladen, mit uns in Afrika das eine oder andere Projekt zu realisieren."
    Eine "Einladung" sagt der Staatssekretär. Wie auch immer. Die Kooperation findet aus deutscher Sicht nicht ohne Hintergedanken statt:

    "Dabei haben wir natürlich im Hinterkopf, dass wir damit gerne natürlich auch soziale und ökologische Standards heben möchten. Denn manches von dem, was die Chinesen im Bereich infrastrukturelle EZ in Afrika machen, ist auch unserer Sicht zu sehr Interessen- und zu wenig werteorientiert."
    Kritik an China! – Dabei ist auch für die Bundesregierung Entwicklungszusammenarbeit mit handfesten wirtschaftlichen Interessen verbunden. Es ist erklärtes Ziel von Entwicklungsminister Dirk Niebel, die Privatwirtschaft verstärkt in die internationale Zusammenarbeit einzubeziehen. Dazu gehören die Verbesserung der Exportchancen deutscher Unternehmen, der Zugang zu für die deutsche Wirtschaft wichtigen Rohstoffen und die Beteiligung einheimischer Firmen an internationalen Ausschreibungen.
    Jüngstes Beispiel für diese Ausrichtung ist die Einweihung einer Fotovoltaikanlage am Hauptsitz des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi im Februar dieses Jahres. Die Anlage, die das UN-Gebäude mit Strom versorgt, wurde von der Kölner Firma "Energiebau Solarstromsysteme GmbH" gebaut. Für Staatssekretär Beerfeltz ist dies der beste Beweis dafür, dass internationale Zusammenarbeit in gegenseitigem Nutzen stattfindet:

    "Gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium machen wir weltweit Programme, die natürlich auch dazu führen, und das sehen wir nicht als Nachteil an, dass damit auch deutsche Technologie und Standards exportiert werden. Und dass wir damit auch einer mittelständisch geprägten Industrie in Deutschland zusätzliche Chancen geben."
    Die Investitionen rechnen sich. Nach Angaben des BMZ fließt für jeden Euro, der in der technischen Zusammenarbeit der Entwicklungshilfe eingesetzt wird, 1,8 Euro an die deutsche Exportwirtschaft zurück. Wohl auch deshalb soll der Haushalt des BMZ von Sparmaßnahmen verschont werden. Staatssekretär Beerfeltz sagte dem Deutschlandfunk, dass sein Ressort im kommenden Jahr 2012 über einen Etat von 6,3 Milliarden Euro verfügen werde. Gegenüber dem laufenden Jahr entspricht dies einer Steigerungsrate von 1,3 Prozent.
    Nach den jüngsten Zahlen der OECD stiegen auch die Gesamtausgaben für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands. Zwischen 2009 und 2010 erhöhten sich die Mittel von 8,67 Milliarden auf 9,6 Milliarden Euro. Dennoch: Deutschland hat damit die selbst gesteckten Ziele zur Steigerung der Entwicklungshilfe verfehlt. Jetzt lautet die Devise daher: Aufholen!
    VENRO-Vorsitzender Ulrich Post ist mittlerweile überzeugt, dass die Bundesregierung dieses Ziel noch erreichen wird – allerdings nur mit kreativer Buchführung. Die magische Zahl lautet 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Bis 2015 will Deutschland diesen Anteil erreichen. An Ideen aus dem Umfeld des Ministeriums mangelt es nicht. Angedacht ist zum Beispiel die Umwandlung von bis jetzt kostenlosen Zuschüssen in zinsgünstige Darlehen mit langer Laufzeit. Als weiterer Vorschlag kursiert die Anrechnung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Spenden. Sie könnten die Entwicklungsleistungen Deutschlands um jährlich 300 Millionen Euro steigern. Neueste Initiative ist die Einführung eines sogenannten Entwicklungsschatzbriefes. Mit dem Wertpapier könnten Anleger durch den Verzicht auf Zinsen einen Beitrag zur Finanzierung von Projekten in ärmeren Ländern leisten.
    Wie immer die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit berechnet werden – eine Grundfrage bleibt: Wie groß ist die Schnittmenge zwischen deutschen Wirtschaftsinteressen und internationaler Armutsbekämpfung wirklich? Ulrich Post überkommt manchmal das Gefühl, dass die ureigene Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit, nämlich Hunger und Armut zu bekämpfen, im Strudel der Modernisierung untergeht. Kleinbauern, Kindersoldaten und Kaffeekooperativen scheinen es schwer zu haben, sich in der Welt von Zinssubventionen, Exportschlagern und Krediten zu behaupten.

    Post: "Wir sollten uns bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht nur von unseren Interessen leiten lassen, sondern auch von den etwas altmodisch klingenden Gefühlen wie Solidarität mit den Schwächeren. Es ist mit unserem Menschenbild nicht vereinbar, dass eine Milliarde Menschen unter der Armutsgrenze lebt und morgens nicht weiß, was auf den Teller kommt."
    Der erfahrene Entwicklungsexperte warnt davor, die sozialen Ziele der Entwicklungshilfe zurückzudrängen. Statt entwicklungspolitischen Moden hinterher zu laufen, sollte man sich von all zu hochgesteckten Zielen verabschieden. Auch, um nicht hinterher alle Entwicklungshilfe als erfolglos zu verurteilen. In diese Falle seien schon viele Politiker getappt, die geglaubt hätten, alle Probleme der Welt ließen sich mit Entwicklungshilfe lösen.
    Mehr als ein Jahr nach dem Amtsantritt des neuen Ressortchefs Dirk Niebel hat sich die hitzige Debatte über Sinn und Unsinn von Entwicklungspolitik nun abgekühlt. Der FDP-Politiker Niebel, der im Wahlkampf verkündet hatte, er wolle das Entwicklungsministerium abschaffen, setzt mittlerweile auf Reformen und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Doch auch Reformen lassen sich nicht per Knopfdruck umsetzen, und der Wunsch, die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu steigern, kann zuweilen an der Wirklichkeit scheitern. DEG-Geschäftsführer Bruno Wenn fordert deshalb gerade im Umgang mit Krisenländern mehr Geduld:

    "Ich warne davor, immer mit dem großen entwicklungspolitischen Anspruch an Nachhaltigkeit in Länder reinzugehen, bei denen letztendlich die Voraussetzungen noch gar nicht gegeben sind. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, in diesen Ländern brauchen wir einen langen Atem. Und diesen langen Atem brauchen wir auch in der Politik. Wir neigen in der Entwicklungszusammenarbeit manchmal zu sehr kurzfristigen Erwartungshorizonten und das wird der Problemlage in keinster Weise gerecht. Mehr Realismus!"