Koldehoff: Vor allen Dingen viel schöne Fotografie, denn man sollte eigentlich meinen, eine Messe, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Kunst des 21. Jahrhunderts zu repräsentieren, würde vor allen Dingen Videokunst oder, noch neuer, Computerkunst zeigen. Das ist aber gar nicht so sehr der Fall. Man sieht auf diesem siebten Artforum hier in Berlin vor allen Dingen Malerei und Fotografie, ein bisschen Kultur und sehr wenig neue Medien. Wenn Sie nach konkreten Entdeckungen gefragt haben, dann will ich zwei Namen nennen: Alfred Seiland, ein Fotograf, der in Österreich fotografiert hat, und zwar vor 20, 30 Jahren schon auf eine Weise fotografiert ist, wie sie eigentlich erst im letzten Jahrzehnt modern geworden ist, sehr ruhig, sehr still, sehr konzentriert, Landschaften, Häuser, amerikanische Sujets, und zum anderen ein Japaner, Cha Bin heißt er, und er hat etwas ganz Banales getan, er hat Pornophotos aus den entsprechenden Magazinen ausgeschnitten, also Damen in überwiegend gynäkologischen Haltungen, und hat diesen Damen Kleider aufgemalt, das heißt sie sitzen nach wie vor in diesen merkwürdig verzerrten Posen, und man sieht aber nichts als geblümte Kleider über ihren Beinen. Das finde ich eine sehr schöne ironische Brechung eines ansonsten ziemlich bekannten Themas.
Schmitz: Zeigen sich in der Vielfalt - Sie haben gerade zwei Künstler ein bisschen beschrieben - der Arbeiten ästhetische oder inhaltliche Schnittmengen? Gibt es Tendenzen?
Koldehoff: Es scheint tatsächlich so zu sein, dass zum einen der Mensch und zum anderen seine unmittelbare Umgebung, sprich die Stadt, die Landschaft wieder stark in den Mittelpunkt gelangen. Es gab ja eine Zeit in den 90er Jahren, wo die heftige, fast abstrakte, jedenfalls abstrahierende Malerei wieder starken Auftrieb hatte. Das ist gar nicht mehr der Fall. Es wird jetzt sehr präzise wieder gearbeitet, fast fotorealistisch gemalt, in den Fotografien selbst ähnliche Sujets, sehr viele Porträts und zum Teil etwas banale Themen wie Großstadtbilder, Fassaden von Mietshäusern usw. Also eigentlich eine sehr unspektakuläre Themenwahl, die da stattfindet, und damit einher geht so etwas wie eine Entpolitisierung. Man hätte ja erwarten können, zum Beispiel nach der Documenta, dass sehr starke politische Inhalte transportiert werden. Das ist im Moment offensichtlich gar nicht der Fall.
Schmitz: Das heißt also die Dokumentation sozialer Bedingungen, wie es ja die Documenta vorangetrieben hat, wodurch sie den Kunstbegriff erweitert oder gar gesprengt hat, da zeigt sich hier ein ganz anderes Gesicht der Gegenwartskunst?
Koldehoff: Das findet so gut wie überhaupt nicht statt in Berlin. Es gibt sehr wenig sozialkritische Kunst. Auf der Documenta sind ja diese globalen Lebensbedingungen nicht nur gezeigt worden, sie sind ja durchaus gewertet worden. Davon ist in Berlin keine Spur. Das mag daran liegen, dass im Gegensatz zur Documenta dieses Artforum ja eine Verkaufsveranstaltung, eine kommerzielle Veranstaltung ist. Die Galeristen, die dort sind, müssen pro Quadratmeter 150 Euro Standgebühr zahlen, das heißt ein mittlerer Stand kostet dort für diese Messe 13.000 bis 14.000 Euro. Das Geld muss wieder reinkommen, und vielleicht zeigt man deswegen eher die gefälligeren Sachen, denn der aktuelle künstlerische Diskurs findet inzwischen sicherlich in Berlin statt, die Sammler aber sitzen nach wie vor im Rheinland, in Süddeutschland, da muss man in Berlin noch einiges an Terrain aufarbeiten.
Schmitz: Das heißt künstlerisch halten Sie vom Artforum nicht besonders viel?`
Koldehoff: Doch, es gibt schon einen guten Überblick über das, was im Moment in der aktuellen Kunst angesagt ist. Man sollte das nicht gering schätzen, auch nicht zu niedrig bewerten. So ist einfach im Moment die Kunstszene. Man darf den Künstlern seine eigenen politischen Ansichten oder Bedürfnisse ja nicht aufzwingen. Künstler sind autonome Menschen, und wenn sie eben der Meinung sind, wir leben im Moment in einer eher unpolitischen Zeit, dann muss man ihnen das wohl lassen.
Schmitz: Aber taugt denn das unpolitische Kunstwerk ästhetisch etwas?
Koldehoff: Da fragen Sie mich nach meiner privaten Meinung. Ich finde, es taugt nicht ausschließlich. Es gibt Kunstwerke, die sehr schön sind, nur weil sie erst ästhetisch sind, die nur in ihrer Ästhetik funktionieren. Ich habe heute morgen auf diesem ersten Rundgang aber auch einiges gesehen, was einfach nur dekorativ und flach war, und da sind dann, glaube ich, 148 Euro pro Quadratmeter Standfläche verschenkt.
Schmitz: Ein Schwerpunktthema sind die osteuropäischen Länder mit ihrer Kunst. Welche Schwerpunkte gibt es hier? Was haben Sie hier gesehen?
Koldehoff: Glücklicherweise sind diese osteuropäischen Galerien integriert worden. Es gibt also kein Sonderkordon, in dem sie zusammen gepfercht worden wären. Sie sind ganz selbstverständlich im Rundgang integriert, und die Kunstwerke, die man dort sieht, unterscheiden eigentlich kaum von denen der westlichen Galerien.
Schmitz: Vielen Dank für das Gespräch.
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