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Konservierte Zeitzeugen

Geologie.- Um die Bewegungen des indischen Subkontinentes besser verstehen zu können, haben Forscher in Bernstein eingeschlossene Insekten untersucht. Jes Rust von der Universität Bonn berichtet im Interview mit Monika Seynsche über die Forschungsmethode der Gruppe.

26.10.2010
    Monika Seynsche: Das Folgende klingt ein bisschen nach Jurassic Park: Bonner Forscher haben nämlich in Indien ein riesiges Bernsteinvorkommen entdeckt und die Insekten darin untersucht. Allerdings nicht, um Dinosaurier zu klonen, sondern um die Bewegungen des indischen Subkontinents nachzuvollziehen. Die Ergebnisse beschreiben sie heute in den "Proceedings of the National Academy of Sciences". Der Hauptautor ist Jes Rust von der Universität Bonn. Mit ihm bin ich jetzt am Telefon verbunden. Guten Tag Herr Rust.

    Jes Rust: Guten Tag.

    Seynsche: Herr Rust, was erzählen Ihnen denn Ihre Insekten darüber, wie sich Indien im Laufe der Jahrmillionen bewegt hat?

    Rust: Die Insekten erzählen uns vor allen Dingen, dass Indien nicht so isoliert gewesen ist, wie man das immer angenommen hat. Es gibt die Idee, dass Indien wie so eine Art Insel über fast 100 Millionen Jahre gedriftet ist, bevor es dann mit Asien kollidierte. Und in dem Fall wäre zu erwarten, dass dort viele neue Formen entstanden sind, die es nur dort gegeben hat. Und wir haben aber Insekten gefunden, die vor allen Dingen auch Verbindungen nach Europa, nach Asien, sogar in jüngere Ablagerungen Mittelamerikas und Australiens zeigen.

    Seynsche: Das heißt, diese ganzen Kontinente waren damals viel näher beieinander als man gedacht hat?

    Rust: Zumindest hat sich Indien schon viel früher an Asien angenähert. Und eine ist, dass vielleicht Inselbrücken existiert haben, Inselbogensysteme, über die also ein Austausch nicht nur von Insekten, sondern auch von Säugetieren zum Beispiel schon viel früher möglich gewesen ist.

    Seynsche: Und diese Inseln sind dann quasi wieder verschwunden? Denn jetzt gibt es sie ja nicht mehr.

    Rust: Ja, die sind unter Umständen - zum Teil mindestens oder zum allergrößten Teil - mit eingegangen in die Gebirgsbildung des Himalaja.

    Seynsche: Haben Sie denn schon Reaktionen von Plattentektonikern auf ihre Ergebnisse, die sagen, das ist interessant oder das glauben wir doch eher nicht?

    Rust: Ich denke, das ist für die sicher interessant. Reaktionen haben wir noch nicht, aber es ist immerhin so, dass es innerhalb der Plattentektoniker und Geophysiker selbst durchaus widersprüchliche Theorien zu dieser Kollision gibt. Also es gibt eine Gruppe, die favorisiert ein Kollisionsalter von 35 Millionen Jahren, während also die meisten doch so bei 50 Millionen Jahren sind. Also unsere Ergebnisse widersprechen eindeutig dieser 35-Millionen-Jahre-Theroie.

    Seynsche: Das heißt, der Himalaja ist im Zweifelsfall auch älter als bislang angenommen?

    Rust: Älter nicht unbedingt, da kann man also schon den Datierungen der Kollegen vertrauen. Aber man darf ja nicht vergessen: Organismen haben andere Bewegungsmöglichkeiten als Kontinentalplatten. Und solche kleinen Inseln wie gesagt, sind durchaus Korridore gewesen, über die sie sich hinwegbewegen konnten.

    Seynsche: Diese Bernsteinvorkommen, die Sie Entdeckt haben: Was sind das denn für Bernsteinvorkommen? Sie sagen ja, es sind große, es sind wahrscheinlich sogar die größten, die bislang entdeckt worden sind. Wo sind die gefunden worden?

    Rust: Das Gebiet liegt in Nordwest-Indien. Das sind riesige Braunkohlentagebaue. Also so wie man das bei uns aus der Gegend von Köln kennt oder auch aus dem Osten. Also da könnte man ganz Dörfer hineinpacken. Und es geht da natürlich um Energiegewinnung. Der Bernstein ist nur ein Abfallprodukt und fällt im Grunde gar nicht weiter auf. Gleichwohl ist das Volumen an Bernstein, wenn man sich das Ausmaß dieser Ablagerung ansieht, wirklich gigantisch und vergleichbar mit den größten Vorkommen zum Beispiel im Baltikum.

    Seynsche: Und aus diesem Bernstein kann man ganz einfach diese Insekten herauslösen? Wie funktioniert das?

    Rust: Das ist eine große Überraschung gewesen. Der Bernstein ist sehr dunkel. Also er hat eine Farbe von Malzbonbons. Und das hat uns nun zu der Überlegung gebracht, doch eben auch mal zu versuchen, wenigstens den Bernstein aufzulösen und das hat sehr gut geklappt. Mit anderen Bernsteinen geht das nicht so ohne Weiteres. Und in dem Fall konnten wir also komplette Insekten aus diesem gelösten Bernstein herausholen und die zum Beispiel unter ein Rasterelektronenmikroskop legen und sehr detailliert studieren.

    Seynsche: Und wie geht es jetzt weiter? Haben Sie jetzt schon alle Insekten gefunden?

    Rust: Oh, ganz sicher nicht. Die Vorkommen können einen also ein Leben lang beschäftigen, wenn man so will. Wir werden also auch in den nächsten Jahren weiter sammeln. Und natürlich geht jetzt auch dann die systematische Arbeit los, also einzelne Gruppen werden näher untersucht. Und das ist aber eine Arbeit, die, ich sage mal, mit einem internationalen Netzwerk von verschiedenen Spezialisten stattfindet.

    Seynsche: Herzlichen Dank Herr Rust. Das war Professor Jes Rust von der Universität Bonn.