Donnerstag, 28. März 2024

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Konstruktion der Liebe, des Begehrens und der Fürsorge

Würden Sie ein Buch kaufen, dessen Titel beispielsweise lautet: "Feministische Kritik des Liberalismus” oder auch "Plädoyer für einen liberalen Feminismus”? Eher schon ein Buch, in dessen Titel Liebe und Begehren vorkommen, und das auch noch von einer Frau geschrieben wurde.

Hans-Martin Schönherr-Mann | 30.10.2002
    Nicht bloß, dass der Buchtitel Konstruktion der Lie-be, des Begehrens und der Fürsorge identisch ist mit dem dritten und letzten Aufsatz des Bandes, während der pro-grammatische erste Aufsatz überschrieben ist mit "Die femi-nistische Kritik des Liberalismus”. Grundsätzlich geht es Martha Nussbaum, Professorin für Recht und Ethik an der U-niversität von Chicago, um einen Feminismus, der sich auf zentrale liberale Ideen der Selbstbestimmung, der Gleich-heit und der Freiheit beruft, und der die Gefühle der Lie-be, der Begierde und der Fürsorge hochrational just dahin-gehend befragt, inwieweit mit ihnen Frauen derart manipu-liert werden, so dass sie ihre eigenen Ziele und Zwecke de-nen von Männern unterordnen:

    Sehen Sie, es ist ein sehr grundsätzlicher Teil der historischen Tradition des Liberalismus vor allem in den Schriften von John Stuart Mill herauszubekommen, dass das Mitleid, das Mitgefühl, der Ärger, die Furcht, alle diese Gefühle, die sowohl Männer als auch Frauen haben, und in der Tat ihre sexuellen Begierden, weitgehend durch soziale Machtbeziehungen geformt werden. Wenn dann Frauen sagen, wir möchten ein Leben, das liebt und für andere sorgt, nun da mag mancher sagen, das ist die Natur der Frauen. Aber ich sage lieber, das zu denken, dazu hat man Frauen ge-bracht. Daher müssen wir genau hinschauen und das beurtei-len und bestimmen, welcher Teil davon wirklich gut ist, und welcher Teil nur eine Technik ist, um Unterordnung zu ler-nen.

    Man sollte Gefühle - so Martha Nussbaum - also keines-wegs als natürlich gegeben hinnehmen. Ihr Feminismus lehnt es auch ab, vermeintlich weibliche Gefühle einer angeblich männlichen Vernunft entgegenzustellen. Nicht allein eine patriarchalisch instrumentalisierte Vernunft, auch gesell-schaftlich beförderte Gefühle haben Frauen dazu gebracht, ihre eigenen Ziele anderen unterzuordnen. Anstatt auf Ge-fühle beruft sich Martha Nussbaums Feminismus eher auf die Vernunft. Dabei weist sie allerdings auch jenen Gegensatz von Vernunft und Rationalität zurück, den die Philosophie gerne unterstellt, beispielsweise bei Kant, und die dabei regelmäßig die Vernunft gegenüber dem Gefühl bevorzugt.

    Was ich glaube, das ist folgendes: Die einfache Anti-these zwischen Vernunft und Gefühl ist ein schlichter Feh-ler. Gefühle sind voll von Gedanken. Wenn wir - sagen wir - trauern über den Tod einer geliebten Person, ist das nicht ein einfacher Schmerz im Magen. Das ist voll von Gedanken über die Bedeutung der verstorbenen Person und es enthält die Idee, dass eine sehr wichtige Person für immer aus dem Leben geschieden ist. Und das gilt für alle wichtigen Ge-fühle.

    Martha Nussbaums Feminismus beruft sich gleichzeitig auf den Rationalismus der Aufklärung wie auf die Gefühlswelt: Es gilt den Menschen mitfühlend zu verstehen - eine der zentralen Bestimmungen eines liberalen Feminismus. Denn die Maßstäbe einer Gesellschaft, in der sich Frauen frei ent-falten können, entnimmt Martha Nussbaum nicht sozialisti-schen, katholischen oder anderen primär gemeinschaftsorien-tierten Konzeptionen, sondern der liberalen Tradition. Sie kritisiert aber auch den Liberalismus: Er hätte zumeist die Emanzipation der Frauen schlicht vernachlässigt. Oder er nehme implizit deren soziale Unterordnung weitgehend wider-standslos in Kauf. Natürlich distanziert sie sich gleich-falls vom primär an der Wirtschaft orientierten Neolibera-lismus:

    Zunächst zum Wort Liberalismus: Ich denke, dass der Begriff in Europa häufig benutzt wird, um eine Art indivi-dualistischer Politik des freien Marktes zu bezeichnen. Das, worüber ich spreche, hat damit nichts zu tun. Es ist vielmehr die Tradition der politischen Philosophie, zu der solche Gestalten wie Kant und Mill gehören. Und das sind die zwei, auf die ich mich in dem Buch besonders beziehe, Gestalten, die sich auf die Idee des gleichen Wertes der Menschen berufen, so dass allen die gleiche Chance zu sol-cher Freiheit gegeben wird.

    Martha Nussbaum schließt den Feminismus also nicht nur allgemein an den Rationalismus der Aufklärung an, sondern vor allem auch an die humanistische Tradition des Libera-lismus. Gerechtigkeit, Menschenwürde und Gleichheit der Menschen stellen für sie höchste Werte dar, die universelle Geltung beanspruchen dürfen. Solch ein Feminismus sieht sich leicht mit dem Vorwurf konfrontiert, er übernehme mit diesem humanistischen Universalismus westlich geprägte, patriarchalische Strukturen. Gerade im Zeitalter der Globa-lisierung gilt es natürlich unterschiedliche Lebensanschau-ungen zu schützen. Doch auch in feministischer Perspektive sind dazu universelle ethische Orientierungen nötig, die der humanistischen wie liberalen Tradition entspringen:

    Ich denke, dass die Art des Feminismus, die ich ver-teidigen möchte, eng verknüpft ist mit gleichem Respekt ge-genüber allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, unabhängig von ihrer Rasse, ihrer ethischen Zugehörigkeit und unabhängig von ihrer sozialen Klasse. Ich denke, es ist für den Feminismus sehr wichtig, sich mit den Kämpfen gegen rassistische Hierarchien, gegen Hierarchien von Klassen und anderen Kämpfen zu verbinden. Es scheint mir falsch zu sein für den Feminismus, sich von diesen Kämpfen abzugrenzen. Aber was wir betonen sollten, ist eine Gesellschaft, in der alle Menschen den vollen und gleichen Respekt und anständi-ge Lebenschancen haben unabhängig von diesen besonderen Merkmalen ihrer Geburt.

    Obgleich der Feminismus also universelle humanistische Ansprüche entfaltet, geht es Martha Nussbaum nicht um den Menschen im Allgemeinen, sondern um die realen Individuen. Sie beruft sich dabei auch ausdrücklich auf die individua-listische Tradition des Liberalismus. Denn solch Individua-lismus bedeutet keineswegs schieren Egoismus. Gerade Kant und Mill betonten die sozialen Pflichten des Individuums gegenüber anderen Menschen. Für maßgebliche Vordenker des Liberalismus lebt der Mensch kein einsames Leben. Vielmehr lebt auch das liberale Individuum in der Gemeinschaft, die es prägt. Doch es ordnet sich ihr nicht unter, sondern bleibt Selbstzweck:

    Ich möchte sagen, wenn es etwas bedeutet in der Tra-dition, die ich verteidige, bedeutet es, dass jede Person nur ein Leben zu leben hat, und dass wir deshalb ein ge-meinsames Gut suchen sollten, dass absolut jeder Person ei-ne anständige Chance gibt, ein gutes Leben zu haben. Wir sollten nicht die Ziele von einigen Leuten den Zielen von anderen Leuten unterordnen. Wir sollten kein Gemeinschafts- oder Gruppengut in der Weise suchen, dass einige Leute an-deren Leuten in dieser Gruppe untergeordnet werden. So ist es für Kant zum Beispiel ein besonderes zentrales Anliegen, dass absolut jede Person ein Zweck und nicht nur ein Mittel für die Zwecke anderer ist.

    Gerade diesen Aspekt muss ein Liberalismus betonen, der sich vom Feminismus neu beseelt sieht. Bei vielen libe-ralen Denkern, auch bei John Rawls, der den politischen Li-beralismus im 20. Jahrhundert neu begründete, endet der politisch öffentliche Bereich vor den Toren der Familie als Privatsphäre. Gerade Frauen mussten sich häufig der Logik der Familie unterordnen und ihre eigenen Interessen zurück-stellen oder wurden gar Opfer innerfamiliärer Gewalt, ohne dass der Staat juristisch eingegriffen hätte. Der Feminis-mus empfiehlt daher dem Liberalismus, die Familie nicht mehr länger als Privatsphäre zu betrachten:

    Wenn man es in dieser Weise sieht, möchte ich sagen, Individualismus ist ein extrem wichtiges Ziel, das Frauen übernehmen müssen, das der Feminismus übernehmen muß; denn Frauen wurden zu oft als bloße Mittel und Unterstützer für die Ziele von anderen betrachtet. Sie versorgen das Haus, was dem Mann erlaubt, hinaus in die Welt zu gehen und sein eigenes Leben zu leben. Und in diesem Sinne versorgen sie auch im Hintergrund die Gesellschaft. Aber was ist mit ih-ren Zielen? Was ist mit ihren Zwecken? So möchte ich mit John Stuart Mill beispielsweise sagen, dass wir in die Fa-milien schauen müssen und diese nicht bloß als eine Gruppe betrachten, die einen Gruppenzweck verfolgt. Doch wir fin-den gehörige Machtunterschiede und ungleiche Chancen in der Familie. Dabei möchten wir eine Gesellschaft, in der abso-lut jede Person als Ziel und nicht als bloßes Mittel behan-delt wird.

    John Rawls hat sich zwischenzeitlich überzeugen las-sen, dass bei der Begründung des politischen Liberalismus die Familie nicht mehr als Privatsphäre behandelt werden darf. In der Tat, wenn der Liberalismus seine Prinzipien ernst nimmt, dann muss er die feministische Kritik berück-sichtigen. Und wenn der Feminismus kein Matriarchat einfüh-ren will, dann muss er sich auf die rationale, universelle, und humanistische Tradition des Liberalismus berufen.