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Konsumieren, aber in Maßen

Immer mehr jungen Menschen fällt es schwer, einen bewussten Umgang mit Finanzen zu entwickeln und häufen schon früh Schulden an. Ein Projekt der Diakonie Hamburg versucht nun gezielt, Jugendliche auf die Gefahren von zu viel Konsum hinzuweisen.

Von Maike Strietholt | 14.10.2013
    "Wofür gebe ich eigentlich mein Geld aus und wie viel, wie möchte ich eigentlich mit meinen Finanzen umgehen? Einfach mal zehn Minuten drüber nachdenken, aufschreiben."

    20 Köpfe beugen sich im Unterrichtsraum der zehnten Klasse der Stadtteilschule Hamburg-Harburg über eine Auflistung mit alltäglichen Konsuminvestitionen – 400 Euro Budget sollen sinnvoll auf einen Monat verteilt werden. Tolga Güven und Markus Stromberger diskutieren drauflos:

    "Sagen wir: Haare schneiden zehn Euro und Pflegemittel 15 Euro. Freizeitgestaltung – hey, morgen kommt ein Computerspiel raus, das kostet 70 Euro!"

    Bei Joanna Obeng sieht's etwas anders aus:

    "Ich hab aufgeschrieben, dass ich für Essen unterwegs ungefähr zehn Euro ausgeben werde, für Kleidung 100. Ich mag es, shoppen zu gehen. Und für Geschenke auch ungefähr zehn Euro."

    Als Dozentin Stefanie Leich zum Thema Pfändung kommt, hören die Jugendlichen besonders aufmerksam zu.

    "Also, der darf auch unangemeldet vor der Tür stehen." - "Sagen wir, ich habe einen hochwertigen Computer und sage: Der gehört mir gar nicht?" - "Das musst du belegen!"

    Es gibt noch viele weitere Fragen. Dass Verschuldung für die 15- und 16-Jährigen bereits ein Thema ist, wundert Stefanie Leich wenig – rund ein Drittel dieser Klasse stammt aus Hartz IV-Familien. Doch es ist nicht nur das.

    "Jugendliche können mit ihrem Geld nicht mehr haushalten – das ist diese Schufa-Statistik, die immer herauskommt, von daher ist das ein Thema – junge Menschen und Geld."

    Stefanie Leich ist Schuldnerberaterin bei der Diakonie Hamburg und im Rahmen des Projekts 'Schüler ohne Schulden' mehrmals pro Woche in Hamburger Schulen unterwegs. Während es sich in der siebten Klasse noch ums Thema Taschengeld dreht, geht es bei den Älteren um den Umgang mit sogenannten 'Schuldenfallen'. Hierbei wird das Thema 'Verträge' am Häufigsten nachgefragt.

    "Sowohl im Internet, also die unwirksamen Verträge, aber auch wirksame Verträge, also Handyvertrag und Ratenvertrag. Und das ganze Thema Konsum – was ist ein Wunsch, was ein Bedürfnis."

    Solche Themen knüpfen direkt an die Erfahrungswelt der Schüler und Schülerinnen an – sogenannte 'Türöffner', sagt Berend Loges, vom Institut für Lehrerbildung in Hamburg. 'Ökonomische Bildung' müsse allerdings noch mehr bieten:

    "Auf der anderen Seite gehört zu ökonomischer Bildung das Verstehen von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Wirtschaft ist ja heutzutage ein nicht wegzudenkender Bestandteil unserer Gesellschaft, der wechselseitig natürlich auch von Politik beeinflusst wird, und daher gehört zu einem mündigen Bürger auch die Kompetenz, das bewerten zu können und Einflussnahmemöglichkeiten kennen zu lernen."

    Und solche Fähigkeiten ließen sich am Besten in Form von Projekten erlernen, weil.

    "Hier die Erwachsenenwelt simuliert werden kann. Anders als in anderen Projekten müssen wir hier Erfahrung ja erst einmal initiieren."

    Insbesondere Schülerfirmen sind dabei eine beliebte Projektform, doch auch Kooperationen mit Unternehmen der freien Wirtschaft sind keine Seltenheit. Die Schulen würden wortwörtlich überschwemmt mit Angeboten, vor allem von Versicherungen und Banken, so Loges. Das sei grundsätzlich nicht verwerflich, aber.

    "Oftmals sind sie natürlich tendenziös, das ist ein großes Problem – vor allem dann, wenn sie von Kolleginnen und Kollegen eingesetzt werden, die fachfremd sind und selber keine Urteilskompetenz haben zu sagen: Was fehlt da eigentlich, welche Position wird vertreten und welche Position wird einfach ausgeblendet."

    Besser sei der direkte Kontakt zwischen Schulklassen und Unternehmen – so wie es in einer Kooperation im Hamburger Süden der Fall ist: Oberstufenschüler lernen hierbei die Strukturen einer Lackfabrik kennen und erarbeiten auf dieser Grundlage eine Bewertung des Wirtschaftsstandorts. Die Ergebnisse werden dann direkt der Konzernleitung vorgestellt. Von solchen Projekten ist Berend Loges vom Lehrerinstitut begeistert – sie förderten nämlich noch ganz andere Kompetenzen:

    "Es geht um die Fähigkeit, sich selber in der Erwachsenenwelt zu behaupten, darum, Präsentationsfähigkeiten zu erproben und einen sehr komplexen Sachverhalt einfach zu formulieren und klar zu transportieren."
    Auf einem Schulhof machen Schüler "Große Pause"
    Ein neues Smartphone oder Markenklamotten: Immer mehr Jugendliche leben über ihre finanziellen Verhältnisse. (AP)