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Raus aus der Schuldenfalle

2010 haben bundesweit fast 112.000 Menschen beim Amtsgericht Insolvenz angemeldet. Gegenüber 2009 ist das ein Plus von über zehn Prozent. Das merkt auch einer der wenigen Vereine, der sich explizit um Insolvenzler kümmert.

Von Henning Hübert | 13.01.2011
    Wer in dem Hinterhof im Kölner Kunibertviertel zu den "Anonymen Insolvenlzern" will, der steckt in einer ähnlichen Situation wie die Gründer des Gesprächskreises. Attila von Unruh, einst Eventmanager aus Ruppichteroth, ist seit 2005 in Privatinsolvenz:

    "Oft herrscht ja dieses Bild in der Gesellschaft vor, dass diese Menschen nicht mit Geld umgehen können. In meinem Fall war es ja so: Ich habe sehr ordentlich gewirtschaftet, aber ein großer Kunde hat mich nicht bezahlt. Und oft ist es nicht leichtsinniger Umgang mit Geld, sondern die Umstände: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung, Tod des Ehepartners sind mögliche Ursachen einer Insolvenz.

    Ein Verbraucherinsolvenzverfahren dauert sechs Jahre und kann dann ein ratsamer Schritt sein, wenn der aufgehäufte Schuldenberg auf keinem anderen Weg abgebaut werden kann. Im bundesweiten Durchschnitt geht es pro Insolvenz um einen Schaden von 785 000 Euro, so der aktuelle Durchschnittswert für 2010.

    40 Prozent der Ratsuchenden bei den "Anonymen Insolvenzlern" stehen vor so einem Verfahren, 60 Prozent sind bereits drin. Eberhard Morawa, einst Betreiber eines Reformhauses, wurde schon 1998 insolvent und kennt die Stimmungen innerhalb der Gruppe:

    "Es geht um das Thema Angst. Öffne ich die Briefe noch, die reinfliegen? Was mache ich mit Mahnbescheiden? Wie gehe ich überhaupt mit einem Gerichtsvollzieher um? Das sind ja dann unterschiedliche. Wenn jemand vom Zollamt kommt: Was mach ich mit dem? Wie gehe ich mit Forderungen vom Finanzamt um? Das heißt: Da ist eine große Bandbreite. Da müssen sich die Leute erstmal beruhigen. Und da ist eine Beratung durch Betroffene optimal."

    Eberhard Morawa bemerkt unter den Ratsuchenden bei den "Anonymen Insolvenzlern" eine Verschiebung: Weg von den einst Wohlhabenderen wie dem Apotheker, die sich bei Immobiliengeschäften verkalkuliert hat. Hin zu immer mehr kleinen Leuten wie zum Beispiel freien Versicherungsberatern oder Spediteuren in der Sprinter-Klasse.

    "10,5 Prozent Anstieg der Privatinsolvenzen bedeutet zu allererst: Kleine Selbständige, Subunternehmer von Speditions- und Logistikfirmen, jede Art von Freiberuflern, Mini-Unternehmen bis zu fünf Angestellten. Mini-Jobber, die nicht mehr über die Runden kommen. Alleinerziehende Mütter, die ausgegrenzt werden, das sind diejenigen, die am stärksten ins Risiko kommen durch die Wirtschaftskrise, die man offiziell ja nicht sieht, weil die großen Unternehmen laufen. Das sind Kerngebiete, in denen der höchste Beratungsanstieg meiner Erfahrung nach da ist."

    Insolvenz-Betrüger hätten sie noch keine erlebt, sagen beide Vertreter des Vereins "Menschen in Insolvenz". Jeder, der will, kann hier Rat suchen: Entweder per Mail, am Telefon, im Kölner Beratungsbüro oder in einem der neun Gesprächskreise - in Köln, Düsseldorf, Dortmund, Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, München oder Wien – stets kostenlos. Drei Mal mehr Anfragen als zu Beginn der Wirtschaftskrise vor gut zwei Jahren verzeichnet Gründer Attila von Unruh. In einem Jahr hat er es persönlich geschafft: Dann ist er aus dem Insolvenzverfahren raus, ohne dabei den Kontakt zur Berufswelt verloren zu haben. Er kann dann wieder mehr behalten von seinen Einnahmen als Coach als jene 980 Euro im Monat, die ihm die offizielle Zumutbarkeits-Tabelle im Augenblick zugesteht. Dann ist er seinen alten 300.000 Euro-Schuldenberg los, dank Privatinsolvenz.