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Kontaminierte Kunstschätze

Umwelt. - Die oft jahrhundertealten Sammlungen in europäischen Museen stellen nicht nur ein kunsthistorisches und ethnographisches Erbe dar. Insbesondere alte Textilien, oder Exponate aus Fellen oder Federn sind auch noch belastet mit einer inzwischen unüberschaubaren Mischung von Chemikalien. Aufgebracht, um die Stücke vor Verfall und Schädlingen zu bewahren, ist der Substanzencocktail inzwischen sogar für die Mitarbeiter ein Problem. Seit mehreren Jahren beschäftigen Forscher mit Verfahren, um die kontaminierten Kulturgüter zumindest teilweise zu entgiften.

Von Philipp Graf | 20.05.2010
    Atemmaske, Gummihandschuhe und Schutzanzug: Wenn Restauratoren des Ethnologischen Museums in Berlin einen Pelzmantel aus einer Vitrine hervorholen, sind sie ausstaffiert wie in einem Hochsicherheitslabor. Das Problem ist quasi hausgemacht: Die Objekte wurden über Generationen hinweg mit immer neuen Schädlingsbekämpfungsmitteln konserviert. Lagen im 19. Jahrhundert Arsen- und Quecksilberverbindungen im Trend, wurden später chlororganische Biozide wie DDT, Lindan oder Pentachlorphenol eingesetzt:

    "Viele Objekte wurden schon da, wo sie verschickt worden sind im 19. Jahrhundert, erst einmal prophylaktisch behandelt, wieder als sie in Berlin angekommen sind, dann gab es Auslagerungen im Zweiten Weltkrieg, dann hat es wieder geschimmelt, dann hat man wieder etwas aufgebracht mit dem Resultat: in den wenigsten Fällen ist es gut dokumentiert, so dass sie heute an vielen organischen Objekten tatsächlich einen ganzen Cocktail an Giften finden."

    Stefan Simon leitet das Rathgen-Forschungslabor, das konservierungswissenschaftliche Institut der Staatlichen Museen zu Berlin. Der Chemiker hat in den letzten Jahren versucht, sich ein genaueres Bild von der Kontamination zu verschaffen. Geschätzt 300.000 Objekte, gut zwei Drittel der Sammlung, sind im Ethnologischen Museum mit dem Chemikalien-Mix verseucht. In vielen völkerkundlichen Sammlungen bundesweit sieht es ähnlich aus. Was die Objekte so robust vor Zerstörung schützt, ist vor allem ein Gesundheitsrisiko für die Restauratoren. Seit 2003 ist Arbeitsschutzkleidung in Berlin Pflicht. Doch die hohe Belastung der Objekte hat sich über Staubteilchen in den Lagerräumen ausgebreitet. Diese Kontamination konnte jedoch eingedämmt werden, sagt Siegmar Nahser, Leiter der Abteilung Restaurierung am Ethnologischen Museum:

    "Wir haben die Stäube in den Räumlichkeiten minimiert, indem wir durch eine Spezialfirma diese Stäube haben von Decken, Installationen, Wänden, Fußböden, Schränken und Vitrinen beseitigen lassen. Das ist für unser Haus abgeschlossen."

    Doch was bleibt sind die giftigen Objekte in den Schränken selbst. Seit längerem wird an Verfahren geforscht, mit denen sich zumindest ein Teil der Belastung reduzieren lässt. Ein Hoffnungsträger ist das Gas Kohlendioxid. Die Berliner Forscher setzen auf seine besondere Waschkraft: Zu einer Flüssigkeit komprimiert kann das CO2 eine Reihe an Substanzen aus Pelzen oder Hölzern herauslösen. Ein Verfahren, so Stefan Simon, das in der Industrie zum Entkoffeinieren von Kaffeebohnen eingesetzt wird.

    "Das sind wie Waschmaschinen, da kommen Objekte rein auf ein Gitterrost und dann wird das geflutet, dann zieht man irgendwann das CO2 wieder ab, destilliert das CO2, sammelt die Rückstände und hat diese Giftstoffe dann entfernt."

    Mit flüssigem CO2 haben die Forscher an belasteten Proben aus der Sammlung bereits viel versprechende Ergebnisse erzielt, die Werte für Gifte wie DDT wurden bis zu 90 Prozent gesenkt. Noch gründlicher reinigte superkritisches Kohlendioxid, also CO2, das unter hohem Druck in einen Zustand zwischen gasförmig und flüssig versetzt wird. Doch auch dieses CO2 löst nicht alle toxischen Rückstände. Viele Objekte bestehen zudem aus empfindlichen Misch-Materialien. In vielen Fällen sei deshalb nicht klar, ob die Kunstschätze die Kohlendioxid-Wäsche unbeschadet überstehen, betont Stefan Simon:

    "Ich denke einmal, wir sind da noch nicht soweit, wir haben da noch Forschungsbedarf, solange wir das nicht haben, sollten wir weiterarbeiten mit dem superkritischen CO2 und mit dem flüssigen CO2, auch mit thermischen Verfahren, aber keines dieser Verfahren ist meiner Überzeugung nach heute soweit entwickelt, dass wir das direkt und ohne Probleme in eine industrielle Anwendung übersetzen könnten."

    Doch bislang scheiterten solch groß angelegte Projekte mangels Finanzierung. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt erörtert derzeit eine neue Förderinitiative, um die Entgiftungs-Forschung an Kulturschätzen voranzutreiben. Für das Ethnologische Museum in Berlin wird die Giftproblematik in wenigen Jahren wieder eine besondere Herausforderung: Dann soll ein Großteil der Sammlung aus Dahlem in ein neues Depot nach Berlin-Friedrichshagen verlagert werden.