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Kontrolle ist besser

EM.TV, Flowtex, Enron, Parmalat. Dies sind nur einige Namen auf der langen Liste der Unternehmen, die in den letzten Jahren oft mit einer gehörigen Portion krimineller Energie ihre Bilanzen geschönt und gefälscht und Millionen von Aktionären, aber auch viele Banken geschädigt haben.

Von Klaus P. Weinert |
    Noch in Erinnerung sind die fabelhaften Prognosen, mit denen viele Unternehmen in den 90er Jahren an den Neuen Markt strebten. Unternehmen aus der Computer- und Medienbranche wurden außergewöhnlich gute Zukunftschancen vorhergesagt. Bald schwand jedoch die Zuversicht und Skepsis machte sich breit, insbesondere als bei manchen Unternehmen festgestellt wurde, dass nicht nur die Prognosen viel zu optimistisch waren, sondern in einigen Fällen auch die Bilanzen frisiert wurden.

    Einer der größten Skandale am Neuen Markt war der Fall des Medienhändlers EM.TV. Die Gebrüder Haffa hatten als Firmengründer im Geschäftsbericht die Zukunftsaussichten zu positiv dargestellt und so viele Aktionäre vorsätzlich getäuscht.

    Ebenso staunte man über den Erfolg der Firma Flowtex aus dem badischen Ettlingen. Diese Firma verkaufte Horizontalbohrgeräte zur Verlegung von Versorgungsleitungen. Die Umsatzzuwächse waren ungewöhnlich hoch. Dennoch schöpfte auch bei den kreditgebenden Banken lange niemand Verdacht, dass die Zahlen manipuliert sein könnten.

    Der weltweit größte Skandal war der Zusammenbruch des großen amerikanischen Handelskonzerns ENRON im Jahr 2001, der vor allem mit dem Handel von Strom bekannt geworden war. Mit illegalen aber auch legalen Bilanztricks hatte der ENRON-Vorstand die zunehmend schlechter werdende Entwicklung des Unternehmens lange verschleiert.

    Allein in den Jahren von 1998 bis 2003 haben die Bilanzmanipulationen die Anleger 200 Milliarden Dollar gekostet. Schätzungen für Deutschland kommen auf bis zu 50 Milliarden Euro.

    Die Bilanzskandale waren ein entscheidender Grund, darüber nachzudenken, wie die Zuverlässigkeit und Richtigkeit der veröffentlichten Bilanzen der Konzerne und Unternehmen garantiert werden können. Die Konsequenz dieser Überlegungen ist das Bilanzkontrollgesetz, das seit dem 1. Januar in Deutschland die Überwachung der Rechnungslegung von Unternehmen verbessern soll.
    Diese Aufgabe übernimmt die Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen in Berlin, die unabhängig von Aufsichtsräten und Wirtschaftsprüfern ebenfalls Bilanzen prüfen wird und damit das Vertrauen in die Unternehmensabschlüsse wieder herstellen soll. Mitglieder der Deutschen Prüfstelle für Rechnungswesen sind unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Die Mitglieder wählen den Vorstand sowie einen Ausschuss, der dann die Prüfer wählt, die die Bilanzen von Unternehmen kontrollieren. Die Wahl der Prüfer findet in den nächsten Monaten statt. Finanziert wird die Prüfstelle durch die Umlage der Kosten auf alle Unternehmen, deren Wertpapiere zum inländischen Handel an den Börsen zugelassen sind. Der Wirtschaftsplan der Prüfstelle muss durch das Bundesjustizministerium und das Bundesfinanzministerium genehmigt werden. Die Prüfstelle wird regelmäßig eine repräsentative Auswahl der Bilanzen börsennotierten Unternehmen prüfen sowie bei begründetem Verdacht tätig werden.

    Eine Vorbildfunktion für das deutsche Gesetz hatte das "Financial Reporting Review Panel" aus Großbritannien, das die Entwicklung von Grundsätzen der Rechnungslegung überprüft und die Einhaltung dieser Grundsätze überwacht. Welche Erfahrungen Großbritannien mit dieser Einrichtung gemacht hat, beschreibt die Direktorin Carol Page:

    Wir glauben, dass wir in der Vergangenheit Erfolg hatten, da wir nie vor Gericht gehen mussten, um ein Unternehmen zu zwingen, seine Rechnungslegung zu ändern. Wir haben immer in einem Geist von Kooperation mit den Unternehmen gearbeitet, sie überzeugt, dass sie unseren Vorschlägen folgen sollten, so dass sie freiwillig Änderungen vornahmen, wo das notwendig war.

    Auch in Deutschland soll die Prüfstelle ähnlich wie in Großbritannien eher zurückhaltend handeln, wie auf einer Tagung des Deutschen Aktieninstituts in Frankfurt am Main betont wurde. Das "Enforcement", mit dem auch zwangsweise die Korrektur von Bilanzen durchgesetzt werden soll, ist nur das letzte Mittel. Professor Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland:

    Ich finde zwei Dinge gut, erstens, dass man jetzt in Deutschland ein solches Enforcement-System schafft, damit man die Möglichkeit hat, auch außerhalb der Gerichtsbarkeit zu überprüfen, ob Abschlüsse fehlerhaft sind, das stärkt das Vertrauen von Adressaten von Finanzinformationen, insbesondere von Kapitalmarktteilnehmern. Was ich auch begrüße, dass man es geschafft hat, eine privatwirtschaftliche Lösung zu entwickeln, die in Verbindung mit einem Tätigwerden der Bafin auf der zweiten Stufe, dann auch die erforderliche Durchschlagskraft erhält. Aber dass man zunächst einmal versucht, solche Dinge privatwirtschaftlich zu lösen, scheint mir im Sinne der anzustrebenden Deregulierung ein vernünftiger Weg zu sein.

    Tatsächlich ist das neue Bilanzprüfsystem in Deutschland zweistufig aufgebaut: Zunächst versucht die neue Prüfstelle, die Ungereimtheiten in einer Unternehmensbilanz zu bereinigen. Ist ein Unternehmen jedoch nicht bereit zu kooperieren und sind die Verdachtsmomente groß, dann kann die Bafin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Bonn, eingeschaltet werden. Sie veröffentlicht dann auch die Korrektur der Bilanz. Allerdings gibt es im Gesetz Ausnahmen, zum Beispiel wenn kein Interesse an der Veröffentlichung besteht oder wenn den berechtigten Interessen des Unternehmens durch die Bekanntmachung Schaden zugefügt wird.

    Die Vorbehalte im Gesetz sollen ähnlich wie in Großbritannien darauf hinwirken, dass die Verletzung von Standards bei der Bilanzierung möglichst zwischen der Prüfstelle und dem Unternehmen einvernehmlich bereinigt werden. Auch sieht das Gesetz vor, dass Vermutungen nicht zu schnell als Tatsachen verbreitet werden, weshalb die Prüfstelle grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Professor Jörg Baetge, emeritierter Professor an der Universität Münster und einer der renommiertesten Bilanzexperten:

    Sie müssen einfach sehen, dass die Prüfstelle natürlich auch Anlaufpunkt ist für Unzufriedene, und im Amerikanischen nennt man das die Whistleblower. Und das Ministerium hat mir berichtet, dass jetzt schon im Monat 14 Schreiben im Schnitt kommen, wo sich Leute über Dinge beschweren, und jetzt gibt es eine richtige Anlaufstelle; und natürlich wird durch den Vorprüfungsausschuss eine Mäkelei, die man wegtun sollte, ausgeschlossen. Aber hier gibt es die Möglichkeit, dass man mit Insiderwissen die Sache vorangetrieben wird und insofern ist eine verbesserte Prüfung gegenüber der Abschlussprüfung und die Prüfung durch den Aufsichtsrat zu erwarten.

    Insiderwissen ermöglicht es, die oft nur schwer erkennbaren Betrügereien in der Rechnungslegung besser zu entdecken. Denn bei den häufig tausenden von Buchungen pro Tag bei großen Konzernen ist es auch für Wirtschaftsprüfer nicht immer einfach, Bilanzmanipulationen aufzudecken.

    Für die Prüfung der Bilanzen sind in Zukunft auch die neuen Bilanzierungsregeln "IFRS", die internationalen Vorschriften für die Bilanzierung, von großer Bedeutung. Sie wurden für Konzerne in Deutschland ebenfalls am 1. Januar verbindlich und sollen dem Anleger ein besseres Bild über die Lage des Unternehmens geben als eine Bilanz, die - wie bisher vorgeschrieben - nach dem deutschen Handelsgesetzbuch, dem HGB, erstellt wurde.

    Das deutsche HGB ist vor allem am Vorsichtsprinzip orientiert. Ein Ertrag darf zum Beispiel am 31. Dezember nicht bilanziert werden, wenn er noch nicht verbucht ist. Das kann vorkommen, etwa wenn ein Unternehmen Forderungen an einen Kunden hat, der Kunde aber erst im Folgejahr zahlt. Bei den internationalen IFRS-Regeln dürfte dieser Betrag bilanziert werden, da IFRS auch zukünftige Werte verbuchen darf wie Mieteingänge oder auch Patenterlöse. Dadurch sollen nicht der vorsichtige Wert angegeben werden, sondern die zukünftigen Chancen, die ein Unternehmen hat. Anlegern soll dies eine bessere Entscheidungsgrundlage geben, ob sich beispielsweise der Kauf von Aktien dieses Unternehmens lohnt.

    Das deutsche HGB hingegen richtet sich auch an die Gläubiger und nicht nur den Kapitalmarkt. Deshalb werden Erträge erst dann verbucht, wenn sie auch tatsächlich realisiert sind. Darüber hinaus dient das HGB – anders als IFRS – auch als Grundlage für die Steuerbilanz. Professor Klaus-Peter Naumann vom Institut der Wirtschaftsprüfer:

    Man kann also sagen, dass die Rechnungslegung nach HGB einem Mix von Aufgaben genügt, wohingegen die Rechnungslegung nach den IFRS eindeutig dominiert wird durch einen Hauptzweck, und das ist die Information über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Dieses Ziel ist primär ausgerichtet an den Zielen, die Kapitalmarktteilnehmer haben... Dass diese Informationsfunktion der IFRS-Rechnungslegung im Vordergrund steht, sieht man daran, dass man viel stärker als in der HGB-Rechnungslegung, sich bemüht, entscheidungsrelevante Informationen zur Verfügung zu stellen.

    Das sind vor allem Informationen für Aktionäre und andere Kapitalgeber. Sie sollen ein möglichst genaues Bild bekommen, wie ein Unternehmen heute dasteht und wie seine zukünftige Entwicklung einzuschätzen ist. Während nach dem deutschen HGB vorsichtig bilanziert wird und nur die Werte aufgenommen werden, die man gewissermaßen als Einzelposten verkaufen könnte, einen Lastwagen zum Beispiel, erlauben die IFRS-Regeln auch, dass etwa eigene Softwareentwicklungen als Wert bilanziert werden dürfen, obwohl deren genauer Wert noch gar nicht feststeht.

    Und da liegt das Problem. Denn diese Werte sind in der Regel Zukunftswerte und keine Barwerte. Die Folge: Der Wert eines Unternehmens kann so auch überschätzt werden, indem solche immateriellen Zukunftswerte einfach zu hoch angesetzt werden: Wie wertvoll sind beispielsweise eine patentierte Erfindung oder ein neuer Wirkstoff für ein Arzneimittel wirklich? Mit anderen Worten: Auch nach den IFRS-Regeln sind Bilanzmanipulationen und damit die bewusste Täuschung von Anlegern möglich.

    Insgesamt wird aber die Vergleichbarkeit der Konzernabschlüsse für den Anleger besser und natürlich auch für die Prüfer von Bilanzen, wenn europäische und internationale Unternehmen einheitlich nach den gleichen IFRS-Regeln bilanzieren. Nur die USA haben noch ein eigenes Rechnungssystem, das aber in vielen Bereichen den IFRS-Regeln gleicht.

    Durch Branchenvergleiche kann so auch der private Investor eher Ungereimtheiten feststellen, als wenn nach unterschiedlichen Standards bilanziert wird. Ein einheitlicher Standard erleichtert auch die Arbeit der Prüfstelle für Rechnungslegung, zumal die die IFRS-Regeln in ganz Europa vorgeschrieben sind. Dennoch sind damit nicht alle Probleme beseitigt, erläutert Burkhard Keese, im Allianz-Konzern Leiter der Finanzberichterstattung:

    Der wesentliche Grund ist, dass IFRS als europäische Rechnungslegungsnorm enforced wird und deswegen ein einheitlicher Ansatz gewählt werden muss, wie Rechnungslegungsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Punkt zwei ist, dass wir an mehreren europäischen Börsen gelistet sind und mehreren europäischen Enforcement-Institutionen unterliegen und dass wir natürlich unsere Bilanzierung nicht danach abstellen können, welche Enforcement-Institutionen jetzt wie den Standard auslegt. Und das Dritte ist einfach: Ziel ist es höhere Vergleichbarkeit der Marktteilnehmer zu schaffen, und dieses Ziel kann nur dann geschaffen werden, wenn das Enforcement in den Mitgliedstaaten einheitlich ausgeübt wird.

    Auf europäischer Ebene gibt es also noch Probleme, die durch andere Gesetze bestehen und in Sondervorschriften für einzelne Branchen. Die IFRS-Regeln ermöglichen dann andere Auslegungen. Dadurch wird natürlich auch das Enforcement erschwert, also die Prüfung, ob es möglicherweise Bilanzmanipulationen gegeben hat.

    Hinzu kommt, dass der internationale Standard von einem Komitee beschlossen wird, in dem mehrheitlich angelsächsisch orientierte Länder vertreten sind. In den USA, Großbritannien oder Kanada gibt es aber eine andere Rechtstradition als beispielsweise in Kontinental-Europa. Und das wirkt sich auch auf die Standards aus. Welche Probleme sich hier in der Zukunft stellen können, erläutert Prof. Klaus-Dieter Naumann von Institut für Wirtschaftsprüfer:

    Die IFRS sind ja ein relativ neues Rechnungslegungs-Instrumentarium und sie werden laufend fortentwickelt. Die IFRS unterliegen heute einer hohen Änderungsdynamik, und je häufiger sich Rechnungslegungsregeln ändern, um so schwieriger sind sie anzuwenden, einmal für die Aufsteller, natürlich auch für die Prüfer, aber auch für die Adressanten der Abschlüsse, die diese Regeln auch verstehen müssen. Die IFRS werden in letzter Zeit immer detaillierter. Hier spiegelt sich wieder ein grundsätzlich anderes Rechtsverständnis der angelsächsischen Welt gegenüber deutschen bzw. kontinentaleuropäischen Rechtswelt, die ja viel stärker durch ein prinzipienorientiertes Recht geprägt ist, wohingegen in der angelsächsischen Welt so ein "case law"... vorherrscht, und natürlich werden durch solche Einzelregelungen bestimmte Einzelfälle konkreter in den Rechnungsregeln erfasst, gleichzeitig erkauft man sich aber die Gefahr, dass in Bereichen, in denen keine Sonderregelungen existieren, eine große Unsicherheit besteht, wie man jetzt diese Dinge im Abschluss abzubilden hat.

    Das hat zur Folge, dass der Manipulation auch dadurch ein Tor geöffnet wird, wenn keine Vorschriften für einen bestimmten Fall existieren, dieser Fall aber in der Praxis vorkommt. Solche Schwierigkeiten taten sich bei dem schon erwähnten Zusammenbruch des ENRON-Konzerns auf. Er war langfristige Kontrakte über Gaslieferungen eingegangen. Die Schwierigkeit war, wie diese zu bewerten waren, da die Rückflüsse aus den Kontrakten erst in Jahren fällig wurden und niemand wusste, wie hoch die dann fließenden Beträge sein würden. Durch die Unsicherheit, ob ein heute mit einem Wert von 100.000 Dollar bezifferter Kontrakt in zwei Jahren vielleicht nur 90.000 Dollar bringen würde, war die Enron-Bilanz nicht belastbar.

    ENRON entwarf offenbar ein Computerprogramm, um diese Preise genauer zu bestimmen, weil es für diese Art von Geschäften im Energiebereich keine genaue Regel gab. Als jedoch der Konzern in Schwierigkeiten geriet, manipulierte er das System und veröffentlichte falsche Zahlen über den tatsächlichen Zustand des Unternehmens. So etwas könnte sich auch bei den IFRS-Regeln wiederholen, wenn in der Praxis Fälle auftreten, für die keine Vorschriften existieren.

    Die Möglichkeiten durch das neue deutsche Bilanzkontrollgesetz "Schwarze Schafe" aufzudecken, hängen damit auch von klaren und verlässlichen Rechnungslegungsstandards ab. Da die IFRS-Regeln laufend ergänzt und geändert werden, ist eine Prüfung der Bilanzen durch das "Enforcement" erschwert, obwohl das "Enforcement" grundsätzlich positiv zu bewerten ist, wie Burkhard Keese von der Allianz meint. Er weist auf ein weiteres Problem hin: Um Bilanzmanipulationen aufdecken zu können braucht die neue Prüfstelle geeignetes Personal – und das bleibt in Deutschland traditionell eher in der Privatwirtschaft

    Die Strategie des Enforcements ist richtig, ich glaube, die getroffenen Maßnahmen sind richtig und auch das Konzept ist richtig. Nichtsdestotrotz muss man mit viel Fokussierung versuchen, die wirklichen Toptalente in Deutschland wirklich dafür gewinnen zu können für eine zeitlang solche Aufgaben zu übernehmen, weil ansonsten ist es schwierig, diese Ziele vom Enforcement wirklich umzusetzen, wirklich eine schlagkräftige Umsetzung der Rechnungslegungsstandards zu bekommen. Und ganz offen gesprochen: In Deutschland gibt es nicht so viele Berufstätige, die diese Qualifikationen erfüllen, die werden in anderen Bereichen der Wirtschaft auch genutzt und da ist einfach die Frage: Was ist der persönliche business case, die einzelnen Mitarbeiter, die sich entscheiden im Rahmen ihrer Karriere eine zeitlang für die Prüfstelle zu arbeiten.

    Und das kann man so elegant lösen, wie die USA das gemacht hat, die SEC das macht, indem man unter gewissen Vorgaben, sehr strengen Regeln, die Türen öffnet, dass eigentlich eine Private Partnership entsteht, wo Leute reinrotieren und auch wieder rausrotieren, und adäquate oder sogar bessere Karrierechancen in der freien Wirtschaft haben.


    Die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC – Securities and Exchange Commission - , die auch Rechnungslegungsvorschriften erlässt, erlaubt, dass Fachleute aus der Wirtschaft auch zeitweise bei ihr arbeiten können, und zwar zu finanziell guten Bedingungen. Das hat Tradition in den angelsächsischen Ländern, wo ein Austausch zwischen der Privatwirtschaft und staatlichen Institutionen häufiger vorkommt als in Deutschland. Hierzulande hingegen existieren Berufsfelder für gut bezahlte und fachlich versierte Manager in staatlichen Institutionen oft gar nicht. Und wenn die Bezahlung bei den staatlichen und halbstaatlichen Aufsichtsbehörden in Deutschland nicht stimmt, dann findet das Rein- und Rausrotieren eben nicht statt. Die Qualität der Bilanzkontrolle kann dann schnell zu wünschen übrig lassen.

    Für die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung könnte sich daher das Problem ergeben, dass sie nicht genügend gute Mitarbeiter findet, die sich der schwierigen Aufgabe widmen, Bilanzen und Unternehmen auf Richtigkeit zu prüfen. Viel wird auch davon abhängen, inwiefern sich die deutsche Prüfstelle Ansehen verschaffen kann. Wird sie in Zukunft ähnlich wie in den USA und Großbritannien der Ausweis sein für seriöse und gute Arbeit, dann könnte sie schon eine Karriereleiter sein und auch Fachleute aus der Wirtschaft anziehen. Auch in Großbritannien ist darauf geachtet worden, Mitarbeiter möglichst aus dem Umfeld der Wirtschaft zu finden, schon um Vertrauen bei den Unternehmen zu schaffen, wie Carol Page, Direktorin der englischen Aufsichtsbehörde unterstreicht:

    Für uns war es in der Vergangenheit kein Problem, Informationen über Unternehmen zu erhalten. Das liegt auch an dem Geist, mit dem unser System arbeitet. Wir holen Mitglieder aus den Wirtschaftsbranchen, die wir überprüfen müssen. Eine Anzahl der Rechnungslegung von Unternehmen wird von diesen geprüft und beurteilt. Wir haben keine rechtliche Grundlage, Unternehmen zu zwingen, unsere Anfragen zu beantworten. Aber sie werden beantwortet! Sie geben uns die Informationen, die wir benötigen, um sicher zu sein, ihre Ansicht des Sachverhalts zu verstehen. Ein wichtiger Grund ist, dass sich die Unternehmen darauf verlassen können, dass wir kompetent sind und wir keine Informationen zu der Presse geben, bis wir genau wissen, ob ein Fehler existiert, der wirklich korrigiert werden muss. Gibt es keinen Fehler, dann ist für uns die Sacher erledigt und niemand erfährt darüber etwas.

    Das englische System basiert auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Teilnehmer der Finanzmärkte und der Unternehmen. Auch das deutsche Bilanzkontrollgesetz strebt zunächst eine kooperative Zusammenarbeit der neuen Prüfstelle mit den Unternehmen an. Doch sie kann auch Bußgelder in Höhe bis zu 50.000 Euro verhängen, wenn Informationen verweigert werden. Erst wenn das Unternehmen hartnäckig angeforderte Informationen verweigert, übernimmt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht den Fall. Die Bafin kann dann mit hoheitlichen Mitteln auf die Herausgabe von Informationen drängen .
    Dass viele Unternehmen sich Prüfungen grundsätzlich verweigern, ist aus heutiger Sicht aber nicht zu erwarten. Da die Kapitalmärkte in Zukunft für die Unternehmen eher noch wichtiger werden, sind sie selbst daran interessiert, das Vertrauen der Investoren zu gewinnen. Dennoch ist noch mehr zu tun, um das Vertrauen besonders in große Konzerne dauerhaft herzustellen. Burkhard Keese von der Allianz:

    Der Kapitalmarkt muss sich darauf verlassen können, dass das vorgelegte Zahlenwerk richtig ist. Die Analysten, die Fondsmanager, die Privatanleger müssen einfach sagen: Jawohl, das Ergebnis von 100 ist das richtige Ergebnis, ohne Wenn und Aber. Ist das Vertrauen zurzeit da? Ich persönlich glaube das nicht. Es gibt immer wieder unter der Hand Diskussionen, ob das Rechenwerk richtig ist, wenn man auf die Hauptversammlung geht, wird Falschbilanzierung vorgeworfen, es werden Nichtigkeitseinsprüche gestellt. Und wenn die Marktteilnehmer sehen werden, jawohl, da ist eine sehr gute Institution, etabliert, die überprüft noch mal stichprobenmäßig und bei Anlass die Richtigkeit der Rechnungslegung, dann würde ich das als sehr positiv, auch als Privatanleger sehen.

    Dazu soll auch die regelmäßige Prüfung von Unternehmen beitragen. Geprüft werden soll nicht nur bei einem konkreten Verdacht . Dazu hat man den Prime Standard zur Grundlage genommen, also die Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex gelistet sind, und zwar vom DAX der 30 größten Unternehmen bis hin zu den Technologiewerten vom Tec-DAX. Sie gehören zur so genannten "Risikogruppe 1". Darüber hinaus sollen die Emittenten von Schuldtiteln, Unternehmen der Regionalbörsen und andere Standardwerte zu einer "Risikogruppe 2" zusammengefasst werden. Bundesweit sollen so insgesamt 677 Unternehmen einer regelmäßigen Stichprobe unterzogen werden. Professor Jörg Baetge, emeritierter Bilanzexperte von der Universität Münster:

    Wenn deutsche Prüfstelle vielleicht Fälle nicht entdeckt hat, weil die Prüfungsdichte nicht groß genug war, dann kann ich mir vorstellen, dass ein Weg gefunden wird, die Finanzierung der Prüfstelle auf eine breitere Basis zu stellen und dann Prüfungszeiträume zu haben, dass man alle drei bis vier Jahre jedes der betreffenden Unternehmen einmal geprüft hat. Ich glaube, dass am Anfang, diese Idee mit den fünf bis acht Jahren eine gute Idee ist und dass das schon eine Menge Präventivwirkung erzeugen wird.

    Die Deutsche Prüfstelle für das Rechnungswesen wird somit ab diesem Jahr die beiden vorhandenen traditionellen Kontrollorgane großer Aktiengesellschaften ergänzen.

    Zunächst die Aufsichtsräte, die in der Vergangenheit immer wieder kritisiert wurden, da sie Vorstände zu nachlässig geprüft hätten. Auch wurde die Kompetenz der Aufsichtsräte immer wieder in Zweifel gezogen. Kritisiert wurden ebenso die Mehrfachmandate, die es manchen Aufsichtsratsmitglieder unmöglich machen würden, Manipulationen zu entdecken.

    Darüber hinaus ergänzt die Prüfstelle auch die Arbeit der Wirtschaftsprüfer, die ebenso in der öffentlichen Kritik standen, wenn in testierten Bilanzen im Nachhinein Manipulationen aufgedeckt wurden. Es bleibt nun aber abzuwarten, ob die Deutsche Prüfstelle für Rechnungswesen Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer wirksam unterstützen und Fehler entdecken kann, die den beiden Organen verborgen geblieben sind. Ob die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung jedoch Erfolg haben wird und die "wirklich "Schwarzen Schafe" gezielter und nachhaltiger aufspüren wird, als das bisher der Fall gewesen ist, das kann erst die Zukunft zeigen.