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Kontrollen in den Aufzuchtgebieten

Die Kutter in Nordeuropa sind bereits in See gestochen, um die blauschwarzen Miesmuscheln zu ernten. Denn in einer Woche beginnt traditionell die Hochsaison für Muscheln, die bis zum April geht - also alle Monate mit dem Buchstaben "r" umfasst. Wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung heute Vormittag mitteilte, wird diese Tradition immer noch hoch gehalten, weil in den heißen Monaten, also in denen ohne den Buchstaben "r" im Namen, die Algen blühen und dabei Toxine bilden, Gifte, die sich in den Muscheln anreichern können. Außerdem waren früher natürlich gerade in der heißen Jahreszeit die Lager- und Transportbedingungen schlecht, was oft zum Verderb führte. Daher die überlieferte Empfehlung. Heute allerdings sei eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Algentoxine und durch schädliche Bakterien in den Muscheln weitgehend ausgeschlossen - und zwar ganzjährig, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Der Grund seien Frühwarnsysteme und Kontrollen sowie eine umfassende EU-Gesetzgebung.

Von Annette Eversberg | 24.08.2004
    Zum Beginn der Muschelsaison machte die dänische Lebensmittelbehörde, das Foedevaredirektorat, mit der Nachricht auf, dass einige der Muschelfanggebiete im Limfjord geschlossen sind. Der Grund: In Wasserproben wurden Algen gefunden, bei denen die Gefahr besteht, dass sie giftig sein können. Für Jens Erik Christiansen von Royal Frysk in Emmelsbüll-Horsbüll unweit von Sylt, wo zu 90 Prozent dänische Muscheln verarbeitet werden, ist das ein ganz selbstverständlicher Vorgang:

    Wenn da viele Zellen im Wasser sind, dann ist das ein Risiko für giftige Algen im Muschelfleisch. Dann klingelt der Alarm, und dann wird das Gebiet unter schärfere Überwachung gestellt. Das bedeutet, jede Ladung muss dann untersucht werden. Und da hat die Industrie gesagt, das machen wir nicht, dann stoppen wir sofort.

    Dänemark richtet sich bei seinen Kontrollen nach der EU-Richtlinie für die Erzeugung und Vermarktung von Muscheln. Giftige Algen sind deshalb ein Problem, weil sie beim Menschen unangenehme oder schwerwiegende Erkrankungen auslösen können, erläutert Dr. Ernst Jütting von der Lebensmittelüberwachung des Kreises Nordfriesland, die in den Muschelgebieten des dortigen Wattenmeers für die erforderlichen Wasserproben sorgt:

    Das hängt von der Art der Toxine ab. In unseren Gebieten können vorkommen so genanntes DSP-Toxin, und dieses DSP ist eine Abkürzung für Diarrhetic Shellfish Poison, zu Deutsch in etwa: Durchfallmachendes Muschelgift. Das stammt von Algen, die zur Gruppe der Dinophysis Algen gehören und macht Übelkeit und Erbrechen. Die rechtliche Grundlage schreibt auch noch weitere Untersuchungen vor auf das so genannte PSP, ein Nervengift und das ASP. Diese Gifte sind hier noch niemals nachgewiesen worden, werden aber regelmäßig mit untersucht.

    Die Untersuchungsprogramme werden auch in Niedersachsen und in den Niederlanden lückenlos durchgeführt. In Dänemark geht man über die EU-Richtlinie hinaus, indem man Grenzwerte für die Algenmenge pro Liter Wasser festgesetzt hat. Bei der Analyse wendet man einen Test mit Mäusen an, bei dem Toxine aus den Muscheln der Maus injiziert werden. Wird die Maus krank oder stirbt gar, wird das Gebiet gesperrt. Weil die Untersuchungsmethode jedoch aufwändig und teuer ist, werden in Dänemark Gebiete eben vorsorglich gesperrt, sobald potentiell giftige Algen nachgewiesen werden. In Deutschland wird dieses Verfahren nicht angewandt. Hier bedient man sich zum Ärger der EU eines chemischen Verfahrens, das für Ernst Jütting jedoch erhebliche Vorteile hat:

    Man muss dazu wissen, dass sich das Toxin nicht von einem Tag auf den anderen in einem sehr hohen Wert bewegt, sondern dass es ein über viele Tage dauernder Anstieg ist, der nicht mit dem Mausetest bemerkt werden kann. Solange es der Maus gut geht, ist man sicher als untersuchende Behörde und als Fischer. Und plötzlich ist der Maustest positiv. Und dann weiß man, dass Toxin schon in großen Mengen im Muschelfleisch enthalten ist. Kurz gesagt, es ist nicht möglich, ein solches Ereignis
    vorherzusehen, wenn ich nicht Aussagen über die Quantität habe.


    Deutschland wird sich da noch auf eine Auseinandersetzung mit der EU einstellen müssen. Wie hart die EU bei den Muschelkontrollen vorgeht, zeigt das Beispiel Irland. Dort sind 14 Fanggebiete durch ungeklärte Abwässer bedroht, die Colibakterien enthalten. Irland wurde vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, ein Klärwerksprogramm aufzulegen. Andernfalls wird der Status der Fanggebiete als A-Gebiete für die Vermarktung von frischem Muschelfleisch aberkannt. Andre de Leeuw, niederländischer Geschäftsführer von Royal Frysk, steht hinter den scharfen europäischen Muschelkontrollen, die in gleicher Weise auch für Italien, Portugal und Spanien gelten. Er weiß, dass Erkrankungen durch verseuchte Muscheln der ganzen Branche schaden können:


    Das geht als Feuer und Flamme natürlich über das ganze Business. Und dann hört das nicht mit der einen schlechten Probe auf. Die Menschen kriegen Angst dann, Muscheln und Schalentiere zu essen. Und das ist die Gefahr.