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Konvent zur Reform der Europäischen Union

Zagatta: Darf man den Akteuren glauben, dann steht heute Großes an in Brüssel. Das ehrgeizigste Reformprojekt, so nennt die Bundesregierung den EU-Konvent, der am Vormittag seine Arbeit aufnimmt. Frankreichs Präsident Chirac spricht von der historischen Bedeutung des Konvents. Die Mehrheit der Bevölkerung allerdings dürfte das eher mit weniger großen Erwartungen sehen. Da haben die europäischen Institutionen einen weniger guten Ruf und entsprechend halten sich die Erwartungen auch in Grenzen. - Daniel Cohn-Bendit ist am Telefon, grüner Europaabgeordneter im Europäischen Parlament. Guten Morgen Herr Cohn-Bendit!

    Cohn-Bendit: Guten Morgen.

    Zagatta: Herr Cohn-Bendit, in welchem Lager stehen Sie heute, in dem, das jetzt auch von einem historischen Projekt spricht, oder in dem, das nicht allzu viel erwartet von dieser Veranstaltung?

    Cohn-Bendit: Ich begrüße nicht nur, sondern finde, dass es sich in der Tat um ein historisches Projekt handelt. Es ist alles sehr witzig. Nach der Regierungskonferenz von Nizza haben ja wenige Abgeordnete gesagt, so geht es nicht weiter mit diesen Regierungskonferenzen, sie sind nicht handlungsfähig, man braucht eine neue Methode, die Methode des Konvents. In Nizza haben das die Regierungschefs, die dies heute so historisch verkünden, abgelehnt und es war ein zäher Kampf des Europäischen Parlaments, damit dieser Konvent überhaupt möglich wird. Wissen Sie, Ihre Einleitung über die Bürgerinnen und Bürger: 1949, als der parlamentarische Rat heran ging, das Grundgesetz zu formulieren, haben auch nicht viele Erwartungen daran gehabt und es ist trotzdem historische Großes herausgekommen.

    Zagatta: Aber wenn man mit den Leuten spricht, dann hört man doch bei Opa immer wieder den alten Spruch: "hast du einen Opa, schick ihn nach Europa". Ist das jetzt nicht bei dem Konvent genau das gleiche?

    Cohn-Bendit: Wissen Sie, das ist ein Mitläufer der Journalisten. Ich bin kein Opa und ich habe es satt, einfach immer Sprüche, die vor 20 Jahren mal gesagt wurden, nur aus Bequemlichkeit immer zu hören. Im Europaparlament wird vieles entschieden.

    Zagatta: Herr Cohn-Bendit, wir sprechen doch jetzt über den Konvent und da ist ein Vorsitzender, Giscard d'Estaing, 76 Jahre alt.

    Cohn-Bendit: Ja und! Der Vorsitzende des amerikanischen Konvents, der die amerikanische Verfassung formuliert hat, war 81 Jahre. Wissen Sie, das Alter ist nicht maßgebend für eine Verfassung, weil Sie brauchen eine gehörige Portion von Erfahrung, um dieses komplizierte institutionelle System Europas in einem Grundsatzvertrag zusammenzufassen. Es geht ja nicht darum, dass wir jetzt eine Politik für die Jugend formulieren, sondern all die historische Erfahrung, die seit der Schaffung Europas in den 50er Jahren gesammelt wurde, so zu bündeln, dass es eben zu einer Verfassung kommt, dass es also transparent wird für die Bürgerinnen und Bürger. Da finde ich das Problem des Alters eher zweitrangig. Es gibt alte Leute, die noch jung im Kopf sind, und es gibt junge Menschen, die schon alt im Kopf sind. So gibt es auch alte Leute, die alt sind, und junge, die jung sind.

    Zagatta: Die laut gewordene Kritik an der Besetzung nicht nur der Spitze, sondern auch beispielsweise der deutschen Delegation, die man in diesen EU-Konvent schickt, teilen Sie nicht?

    Cohn-Bendit: Ich teile alle Kritiken. Es ist immer alles nicht so. Der Deutschlandfunk ist nicht so, wie er sein sollte. Der Konvent ist nicht so, wie er sein soll. Das sind Kräfteverhältnisse. Das sind komplizierte Entscheidungen. Warum die Bundesregierung sich für Herrn Glotz entschieden hat weiß ich nicht. Warum die CDU sich für Herrn Teufel entschieden hat weiß ich auch nicht. Das sind nicht die aktivsten Mitglieder der europäischen Politik gewesen. Ich hätte mir da andere Personen ausgedacht. Es ist so! Was soll ich machen? Dieser Konvent wird als Institution ein Jahr lang nur eins reflektieren: wie kann ich Europa fit machen für die Zukunft. Das ist das einmalig Neue, dass es nicht ein paar Regierungschefs sind, die sich mal an einem Wochenende treffen, und Diplomaten, die das vorbereiten, sondern das sind politische Subjekte, 105 Menschen, die sich in einen Raum setzen werden und die dann etwas entwickeln müssen. Das ist die neue Methode und deswegen bin ich zuversichtlich, dass dort ein Fortschritt herauskommen wird.

    Zagatta: Was müsste aus Ihrer Sicht herauskommen, weil es gibt ja jetzt, wenn man im Vorfeld die Erwartungen hört, die allerunterschiedlichsten Erwartungen? Was wäre aus Ihrer sicht das wichtigste?

    Cohn-Bendit: Das wichtigste wäre, dass Europa einen Ansatz von Verfassung kriegt, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, das ist das Europa, dafür ist Europa zuständig, das sind die Institutionen in Europa, die entscheiden. Es wird klar definiert, was die europäische Souveränität ist, was die nationalen Souveränitäten dagegen sind, und es wird klar definiert, was ist die Rolle der Kommissionen, was ist die Rolle des Parlaments. Das heißt eine Parlamentarisierung der europäischen Entscheidung. Das heißt, dass die Bürgerinnen und Bürger durch ihre Wahlen auch was zu Entscheidungen beitragen können, dass der Präsident der Kommission zum Beispiel durchs Parlament gewählt wird, dass er legitimiert wird durch die europäischen Wahlen. Das sind für mich die entscheidenden Demokratisierungsschritte, die der Konvent vollbringen muss.

    Zagatta: In welche Richtung muss es dann Ihrer Meinung nach gehen, was die Schlagkraft von Europa angeht? Die einen sagen ja, da muss man europäische Institutionen wie die Kommission stärken. Aus Deutschland kommt jetzt ein Brief von Gerhard Schröder, gemeinsam mit Tony Blair, wo es wieder heißt, der Rat sei zu stärken. In welche Richtung soll es gehen?

    Cohn-Bendit: Ich glaube Regierungen wollen den Rat stärken und Parlamentarier, also Politiker, die in europäischen Institutionen arbeiten, wollen die europäischen Institutionen stärken. Es wird ein neues Kräfteverhältnis geben. Die Kommission muss gestärkt werden. Die Entscheidungen im Rat müssen vereinfacht werden. Das heißt weg mit dem Einstimmigkeitsprinzip, hin zu klaren Mehrheitsentscheidungen, doppelte Mehrheiten. Das heißt es muss transparenter werden. Die Sitzungen des Rates müssen öffentlich sein wie der Bundesrat. Die Öffentlichkeit, die vierte Gewalt, muss den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln können, wie die Wege und Irrwege europäischer Entscheidungen sich einfach vollziehen. Deswegen glaube ich, dass eine Transparenz nötig ist. Das ist das entscheidende. Es wird eine Stärkung der Kommission, eine klarere Definition der Exekutivfunktion der Kommission geben und auch eine klare Definition der Funktion des Rates, also der Regierungen. Europa wird immer aus diesem institutionellen Kampf bestehen zwischen Rat, Kommission, Parlament und darüber steht der Europäische Gerichtshof.

    Zagatta: Der EU-Konvent nimmt heute seine Arbeit auf. Das war ein Gespräch mit dem Europaabgeordneten der Grünen, mit Daniel Cohn-Bendit. - Herr Cohn-Bendit, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio