Archiv


Konvergenz und Kultur

Vier Jahre - das scheint die magische Zahl auf diesem Medienforum zu sein. Jeder raunt etwas von "in vier Jahren". Dann werde die Szene sowieso ganz anders aussehen. Und je nachdem, wer gerade spricht, ist es eine Szene entweder ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder ohne Zeitungen auf Papier oder ohne Fernsehen im herkömmlichen Sinn, weil sowieso alles im Computer stattfindet.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Auch ZDF-Intendant Markus Schaechter spart nicht mit Superlativen, wenn er aus mediengeschichtlicher Perspektive auf das Heute zoomt.

    " Wir sind im Moment an einer Weichenstellung, an einer fundamentalen Weichenstellung zu einem Epochenwandel. Noch nie gab es so wichtige Veränderungen, fundamentale Veränderungen wie jetzt, "

    Dass die Medien im Umbruch sind, ist eine Binsenweisheit, aber sie war noch nie so wahr wie heute. Die klassischen Abgrenzungen lösen sich rapide auf; heute weiß man nicht mehr, wo Rundfunk aufhört und wo Internet beginnt, wo Werbung endet und Journalismus anfängt; Zeitungen machen Fernsehen, Kabelnetzbetreiber machen Programme, von Telefongesellschaften ganz abgesehen. Konvergenz heißt das im Fachjargon: Alles fließt zusammen in einer digitalen Wertschöpfungskette.

    Doch während die Technik konvergiert, tun die Verwalter und Veranstalter das Gegenteil: sie streiten sich um jeden Zentimeter Marktmacht. Der Ton ist scharf und manchmal schrill zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern, zwischen Sendern und Verlagen, zwischen deutschen Politikern und Brüsseler Behörden, zwischen Medienrechtlern und Medienpraktikern, und zuschlechterletzt läuft es auf den alten Kampf zwischen Kultur und Kommerz hinaus was natürlich Unsinn ist, denn seit der Erfindung des Buchdrucks gehören diese beiden zusammen.

    Die morgen anstehenden Verhandlungen der deutschen Ministerpräsidenten über Änderungen am Rundfunkstaatsvertrag sorgen in den Kulissen und auf den Podien des Medienforums für zusätzliche Spannung. Jeder will den Politikern klarmachen, wie der richtige rechtliche Rahmen unserer Medienzukunft auszusehen habe. Doch unter dem Horizont der Konvergenz verschwimmen alle hergebrachten Rechtsbegriffe, so dass es fast unmöglich ist, sinnvolle Vorschriften zu formulieren.

    Was ist denn beispielsweise Rundfunk? Das Bundesverfassungsgericht definiert Rundfunk nicht allein über den Verbreitungsweg, sondern vor allem über die Relevanz der Inhalte für die öffentliche Meinungsbildung. Die EU hingegen differenziert zwischen linearen Angeboten, das heißt solchen mit einer kontinuierlichen Sendefolge, und nonlinearen Mediendiensten wie zum Beispiel Video-on-Demand. Die Wirklichkeit des Internets, der Kabel-Rückkanäle und der kosmischen digitalen Vielfalt lässt sich mit diesen Rastern kaum noch fassen.

    " Es gibt digitale Angebote, die von vorne aussehen wie Rundfunk, von der Seite wie Presse, von hinten wie ein Blog, von oben wie ein Netzwerk und von unten ganz einfach wie eine neue Medienmacht. "

    sagte der Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien Norbert Schneider in seinem Eröffnungsvortrag.

    Klar ist: das Internet verändert alles. Und nun wird das Internet auch noch mobil. Schon jetzt franst der juristische Rundfunk-Rahmen aus, weil es YouTube gibt, wo sich im Zweifelsfall - und unter völliger Missachtung des Urheberrechts - längst alles findet, während in Deutschland über Dürfen und Nicht-Dürfen noch diskutiert wird.

    Diese Diskussionen bestimmen das 20. Medienforum NRW von vorn bis hinten; es geht um Regeln und Gesetze und nur am Rand um Inhalte. Selbst eine so praktische Frage wie die, wer eigentlich die auf eine Viertelmilliarde Euro geschätzten Kosten für die Digitalisierung der deutschen Kinosäle tragen soll, hängt mit einem Gesetzesvorhaben zusammen - in diesem Fall der Novellierung des Filmförderungsgesetzes, die im nächsten Jahr ansteht.

    Der deutsche Medienmarkt ist der größte in Europa und einer der größten auf der Welt. Und er ist doch aufgrund der starken öffentlich-rechtlichen Komponente äußerst atypisch. Deswegen bereitet die angestrebte europäische Harmonisierung solche Schwierigkeiten. Was immer aber die Regulierer regulieren - in Berlin, in Brüssel oder anderswo -, über die weitere Entwicklung entscheiden werden weder Politiker noch Bürokraten, sondern die Einwohner im Reich der Medienzukunft - die sogenannten User.