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Konzepte, Konkurrenten und Kandidatenkarussell

Die Grünen haben den Bundestagswahlkampf mit dem Motto "Aufbruch 2013" schon eingeläutet. Inhalte sollen im Vordergrund stehen, doch momentan werden per Urwahl die Spitzenkandidaten bestimmt. Die SPD nimmt sich hingegen Zeit: Das Thema Rente wird im November beackert, der Kanzlerkandidat erst im Januar bestimmt.

Von Christel Blanke und Frank Capellan | 04.09.2012
    "Sie werden mich jetzt hier nicht zu einer Position bewegen, weil wir das ja noch miteinander entscheiden wollen!"

    Gestern Vormittag in der SPD-Parteizentrale. Es trifft Hannelore Kraft. Ausgerechnet heute muss die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen den Hauptstadtjournalisten Rede und Antwort stehen. Ausgerechnet zum Beginn einer Woche, in der die Republik über zu niedrige Renten diskutiert. Ausgerechnet drei Tage, nachdem ihr eigener Arbeitsminister gefordert hat, das Rentenniveau nicht - wie einst unter Gerhard Schröder beschlossen - auf 43 Prozent des durchschnittlichen Jahreslohns abzusenken. Wie sehr die Sozialdemokraten um ein schlüssiges Rentenkonzept ringen, ist manchem Fragesteller exemplarisch dafür, wie wenig die Genossen ein Jahr vor der Bundestagswahl in der Lage sind, der Kanzlerin ernsthaft Paroli zu bieten. Ein Journalist:

    "Wenn Sie jetzt sagen, ich kann Ihnen den SPD-Rentenvorschlag nicht präsentieren, dann hat das doch nur was mit der inneren Zerrissenheit der SPD zu tun, dass der eine Kanzlerkandidat vielleicht so sagt, und Herr Steinbrück so, und Sie trauen sich gar nix. Wie können und wollen Sie regieren, wenn Sie sich so präsentieren?"

    Hannelore Kraft:

    "Herr Wonka, das ist alles - mit Verlaub - Blödsinn! Sie wissen, dass wir auf dem Konvent im November über die Rentenfrage diskutieren und entscheiden werden!"

    Die Partei nimmt sich Zeit. Viel Zeit. Rente im November. Kanzlerkandidat im Januar. Es gibt viele Zeitpläne im Willy-Brandt-Haus. Die stellvertretende Parteivorsitzende muss sie an diesem Montag verteidigen. Der Chef ist noch im Vaterurlaub, die Generalsekretärin gerade in den USA, um sich ein wenig davon abzugucken, wie Obamas Demokraten Wahlkampf machen. An Rhein und Ruhr hat Hannelore Kraft vorgemacht, wie es gehen könnte. Im Grunde ist sie die natürliche Merkel-Herausforderin. Aber sie hat sich für NRW entschieden und muss nun wieder einmal dementieren, dass sie Frank-Walter Steinmeier, den Fraktionsvorsitzenden, als Kanzlerkandidaten favorisieren würde. So ist es in einem "Spiegel"-Bericht zu lesen. Hannelore Kraft:

    "Der Inhalt stimmt zu null Prozent. Null!"

    Doch die Ungeduld in der Partei wächst. Im Frühjahr wirft ein Niedersachse den ersten Stein. Garrelt Duin, als Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD ein bekennender Steinbrück-Fan. Duin, inzwischen als Wirtschaftsminister auch ein Mitglied des Düsseldorfer Kraft-Kabinetts, hält es für falsch, die Entscheidung weiter aufzuschieben. Garrelt Duin, NRW-Wirtschaftsminister:

    "Es geht ja nicht zuletzt auch darum, dass man die Strategie eines Wahlkampfes rechtzeitig festlegen muss. Da geht es ja nicht nur um die Frage auf den Plakaten, sondern: Mit welchen inhaltlichen Hauptbotschaften gehe ich in eine solche Wahl-Auseinandersetzung? - Bisher ist ganz klar, es gibt eine gute Abstimmung zwischen den Dreien, Steinbrück, Steinmeier, Gabriel, die dafür infrage kommen. Aber eine solche Kampagne wird sicherlich noch einmal zugespitzter sein müssen und dann auch auf denjenigen ausgerichtet sein müssen, der dann an der Spitze steht. Insofern kann man darüber nachdenken, ob dieser Zeitplan eigentlich noch der optimale ist!"

    An klaren Bekenntnissen für den Chef der SPD-Abgeordneten im Bundestag mangelt es nicht. Frank-Walter Steinmeier ist beliebt. Dass er die Partei 2009 in das größte Debakel der Nachkriegsgeschichte führte, wird nicht ihm persönlich angelastet. Dass sich mit Thorsten Albig, dem früheren Sprecher von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, nun aber auch der dienstjüngste Ministerpräsident der Sozialdemokraten öffentlich für Steinmeier ausgesprochen hat, geht der Parteiführung entschieden zu weit. Andrea Nahles hatte Albigs Vorstoß sofort verurteilt. Nun rechnet die SPD-Generalsekretärin damit, dass erst mal wieder Ruhe herrscht:

    "Ich glaube, es hat jetzt jeder auch kapiert, dass das nicht besonders clever ist, die Debatte frühzeitig zu beginnen, und ich bin eigentlich mit der Disziplin, mit der Geschlossenheit sehr zufrieden, die SPD ist so geschlossen wie seit Langem nicht."

    Geschlossenheit demonstrieren auch die drei potenziellen Kandidaten. Bisher hat sich die Troika nur selten vergaloppiert. Unstimmigkeiten zwischen Gabriel und Steinmeier über die Rente mit 67 traten nur kurz zutage. In der alles dominierenden Euro-Politik ziehen die Drei weitgehend an einem Strang. Allerdings: Mit seinem Vorstoß zu einer europäischen Schuldenunion hat sich Sigmar Gabriel unter den Genossen nicht nur Freunde gemacht. Eine Vergemeinschaftung von Schulden lässt sich dem Wahlvolk nur schwer verkaufen. Ohnehin war in den letzten Wochen auffällig, wie sehr der SPD-Chef in der Sommerpause nach Profilierung über Provokation suchte. Erst die Bankenschelte, dann die Volksabstimmung zu Europa, schließlich der Vorwurf an Schweizer Banken, im Stile der Organisierten Kriminalität Steuerhinterziehung zu betreiben - Gabriel macht von sich reden. Ein Zeichen dafür, dass er sich trotz schlechter Umfragewerte im Kandidatenrennen noch nicht geschlagen gibt? - Der Parteivorsitzende weist das von sich, die Abstimmung mit Steinmeier und Steinbrück über das öffentliche Auftreten läuft rund, versichert Gabriel:

    "Was wir dort machen, sprechen wir immer ab. Und ich bin Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten, und das ist eine Aufgabe, wo sie nicht einfach erklären können, sie werden jetzt mal einfach zum stummen Fisch oder so."

    Den Medien hält Gabriel wie auch Steinmeier und Steinbrück stets vor, sich allzu sehr auf das Personal der SPD zu konzentrieren. Bisher allerdings haben die Drei es sichtlich genossen, mit der K-Frage im Gespräch zu sein. Am Abend, bevor sie gemeinsam mit Gabriel zum französischen Präsidenten fliegen, spielen die Stones regelrecht mit der Kandidatenfrage. Ob es denn eine gute Idee sei, gemeinsam in ein Flugzeug zu steigen, in dem es nur einen Fallschirm gibt, sei er gefragt worden, scherzt Steinmeier.

    "Ich weiß nicht, was da durchschimmerte durch diese Frage. Ich hoffe, es war nicht die Hoffnung, dass sich die Troika-Frage auf diese Art und Weise erledigt, liebe Genossinnen und Genossen."

    Peer Steinbrück:

    "Na gut, dann werden wir das noch ein bisschen auskegeln, Frank! Der Punkt ist, dass du für diesen Fallschirm schwerer bist, als ich geschweige denn Sigmar damit hat sich die Frage ja geklärt für alle Journalisten."

    Dass der 65-jährige Peer Steinbrück gern Kanzler werden würde, steht außer Frage. Als Juniorpartner in einer Neuauflage der Großen Koalition steht er jedoch nicht zur Verfügung, mit den Grünen hatte er als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen ständig seine Probleme, für eine Ampel-Koalition unter Einbeziehung der FDP wäre er wohl der Richtige, vorausgesetzt, die Liberalen bekämen einen neuen Vorsitzenden. Steinbrück zaudert also, was nicht unbedingt seinem Naturell entspricht und begründet das Festhalten am Troika-Fahrplan öffentlich so:

    "Wenn Sie zu früh nominiert werden, egal ob Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück oder noch jemand, der sich berufen fühlen sollte, dann werden Sie an der Wand entlang gezogen, zwölf, 15 Monate, müssen in jede Hose reinspringen, die mir hingehalten wird, in Form von Mikrofonen."

    Bürger:"Herr Steinmeier, wann entscheidet sich denn die Spitzenkandidatur bei der SPD?"
    Steinmeier: "Ende Januar!"
    Bürger: "Ende Januar?"

    Dass die Frage nach dem Kanzlerkandidaten keinesfalls nur eine ist, die allein die Medien interessiert - wie von der Parteiführung gern behauptet - erfahren die Drei immer wieder. Frank-Walter Steinmeier etwa sieht sich vor einigen Wochen in seinem brandenburgischen Wahlkreis einem zweifelnden Bürger gegenüber:

    "Also, da muss man doch mal Butter bei die Fische tun. Warum macht man es nicht kurz und knapp und sagt: Sie sind es? Oder Herr Gabriel? - Weil wir das klüger so finden. Wir haben im Januar noch eine Landtagswahl, und wir haben gesagt, wir machen den Spitzenkandidaten nach der letzten Landtagswahl vor der Bundestagswahl also Ende Januar!"

    Das Kalkül dabei: Nach der Wahl in Niedersachsen am 20. Januar hoffen die Spitzengenossen klarer zu sehen, was geht, und was nicht. Rot-Grün ist zwar ihre Wunschkonstellation, wahrscheinlich ist ein solches Bündnis derzeit allerdings nicht. Sollte FDP-Chef Philipp Rösler in seiner Heimat Niedersachsen deutlich verlieren, dann könnte das neue Turbulenzen an der Spitze der Liberalen auslösen - vielleicht einen Parteivorsitzenden bringen, mit dem eine Ampel zu machen wäre. Doch es geht am Ende auch darum, einen Kandidaten zu finden, der zum Programm passt. Mehr Steuergerechtigkeit, ein höherer Spitzensteuersatz, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer - all das steht auf der programmatischen Liste, ebenso die Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn und die nach einer Bürgerversicherung im Gesundheits- und Pflegebereich oder der Ruf nach Korrekturen bei Zeit- und Leiharbeit. Andrea Nahles:

    "Damit sind wir auch deswegen wieder glaubwürdig, weil wir uns damit ehrlich auseinandergesetzt haben, auch Hartz IV auf den Prüfstand gestellt und auch an einigen Punkten unsere Position korrigiert haben. Das ist auch die Arbeit der letzten Jahre, die das jetzt möglich macht, hier in die Offensive zu gehen."

    Ob dieses Kalkül der Generalsekretärin aufgeht, hängt allerdings ganz wesentlich vom Kandidaten ab. Dass er die Linken in der Partei einst als Heulsusen beschimpfte, ist Peer Steinbrück von vielen bis heute nicht verziehen worden. Und er ist nach wie vor derjenige, der am lautesten davor warnt, allzu sehr mit der Schröder-Agenda zu brechen.

    Peer Steinbrück:
    "Meiner eigenen Partei sage ich gelegentlich, etwas mehr Stolz über das, was gelungen ist, in der Zeit von Gerhard Schröder, das wäre auch nicht so schlecht."

    Andrea Nahles setzt da ganz andere Prioritäten.

    "Von testosterongesteuerter Basta-Politik haben wir genug gehabt."

    Hat die SPD-Generalsekretärin gern betont. Und das endgültige Regierungsprogramm der SPD, versichert Nahles, soll ganz wesentlich von interessierten Bürgern mitgestaltet werden:

    "Man kann auch etwas zugespitzt sagen: Bürgerdialog statt Basta! Wir werden am 24. September jede zweite Woche eine Themenwoche definieren, wir fangen mit Familie/Jugend an, da kommt aber auch Wirtschaft/Energie/Arbeit, da kommt auch das Thema Europa und unsere Überschrift ist erst einmal: Zuhören! Und dann, in diesen Gesprächen mit den Bürgern eben diese Projekte fürs Regierungsprogramm entwickeln. Der Kanzlerkandidat wird dann sogar noch einmal alle zu einem großen Bürgerkonvent einladen."

    Wer dieser Kandidat sein wird, das wird nach alter sozialdemokratischer Tradition vom Chef persönlich bestimmt. Dass es aber auch ganz anders kommen kann, hat der September 2008 bewiesen - als Kurt Beck die Kandidatensuche völlig aus der Hand glitt und der damalige SPD-Vorsitzende überraschend und verärgert zurücktrat. Ähnliches soll sich diesmal nicht wiederholen.

    "Es wird der mit den besten Chancen."

    Betont Sigmar Gabriel heute gern. Dass er aber die Größe haben könnte, freiwillig zurückzustehen, trauen ihm viele nicht zu. So schlecht seine Beliebtheitswerte in der Bevölkerung auch sein mögen, in der Partei hat sich Gabriel einigen Respekt dadurch verschaffen können, dass er die SPD nach der katastrophalen 23-Prozent-Niederlage bei der letzten Bundestagswahl vor dem Auseinanderfallen bewahrte. Denkbar, dass Gabriel die SPD-Mitglieder in einer Urabstimmung über den Kandidaten abstimmen lässt. Da allerdings hat die mächtige Stellvertreterin im Hintergrund wohl noch ein gehöriges Wort mitzureden. Hannelore Kraft:

    "Urabstimmung macht nur dann Sinn, wenn mehrere Kandidaten gegeneinander antreten, und das wird abzuwarten sein, ob das am Ende so sein wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es am Ende gelingt, sich am Ende auf einen Kandidaten zu einigen!"

    Bei aller Liebe zu den Grünen, mit denen sie in Düsseldorf erfolgreich regiert - allzu viel grüne Basisdemokratie bei der Suche nach dem richtigen Spitzenkandidaten ist Hannelore Kraft dann wohl doch nicht geheuer.

    Berlin Mitte, Platz vor dem Neuen Tor. Gleich neben der Bundesgeschäftsstelle haben die Grünen Räume für ihre Wahlkampfzentrale angemietet.

    "So, dann schließ ich Ihnen mal auf. Das hier ist unsere Wahlkampfzentrale. Noch nicht fertig eingerichtet. Aber das wird dann Herz und Hirn der Wahlkampagne sein. Und Bauch auch noch."

    Kahl ist der hohe, offene Raum, der sich über zwei Etagen erstreckt. Jede Menge Gerümpel in der Ecke, ein großer weißer Konferenztisch in der Mitte, giftgrüne Kunststoffstühle. Die Wände, an denen wohl bald grüne Wahlkampfplakate hängen werden, sind weiß. In dieser Woche zieht Steffi Lemke, die politische Bundesgeschäftsführerin, mit ihren Leuten ein:

    Steffi Lemke:

    "Da oben sitzen dann der Wahlkampfmanager und ich als Wahlkampfleiterin und mein engeres Team. Und dann wird der Schalter, auch was die Räumlichkeiten anbetrifft, richtig umgelegt."

    Für Personen und Inhalte haben die Grünen den Schalter schon am vergangenen Wochenende umgelegt. Bei ihrem Länderrat gibt die Partei den Startschuss für das kommende Wahljahr - "Aufbruch 2013" heißt das Motto. Auf die Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Bayern wollen sich die Grünen vorbereiten. Und - natürlich - auf die Bundestagswahl im Herbst. Für die Grünen stehen die Inhalte im Vordergrund, betonen sie immer wieder. Doch im Moment dreht sich alles um die Frage: Wer gibt dem grünen Wahlkampf ein Gesicht? Als erste Partei überhaupt lassen die Grünen ihre Spitzenkandidaten per Urwahl bestimmen. Die Basis hat das Wort, weil sich das Führungspersonal lediglich darauf einigen kann, dass zwei Kandidaten antreten sollen, aber nicht darauf, wer ins Rennen geschickt wird. Monatelang wird gestritten. Die Basis, erzählt der bayerische Bundestagsabgeordnete Toni Hofreiter auf dem Länderrat, ist froh, nun selbst entscheiden zu können:

    "Die sind ziemlich angenervt gewesen von dem, was so Anfang dieses Jahres zum Teil an Personaldebatten wir uns geleistet haben."

    Doch nicht alle sind glücklich über die Urwahl. Katrin Göring-Eckhardt, Vizepräsidentin des Bundestages und eine der Bewerberinnen um die Kandidatur, hatte ein Wahlkampfteam vorgeschlagen. Unterstützt wurde die 46-jährige Realpolitikerin dabei von Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Gegner der Urwahl. Palmer unterstützt Göring-Eckhardt, glaubt aber, dass die Konkurrenz die besseren Aussichten hat:

    "Ich glaube aber auch, dass das letzte Mal ist, dass die Gründergeneration die Macht für sich fast alleine beanspruchen kann."

    Die Konkurrenz, das sind Parteichefin Claudia Roth, 57, und die beiden Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin, 58, und Renate Künast, 56. Außerdem haben zwei Kommunalpolitiker ihren Hut in den Ring geworfen. Der Bayer Franz Spitzenberger und Werner Winkler aus Baden-Württemberg. Ihre Chancen tendieren gen Null. Alle sechs haben bis Ende Oktober nun Zeit, für sich zu werben. Leicht wird die Entscheidung nicht für die Basis. Zumindest nicht, wenn es um Inhalte geht. Auch wenn Jürgen Trittin sagt:

    "Ich glaube, dass es inhaltliche Alternativen gibt. Das werden Sie in den nächsten Wochen bei der Kandidatenlage erleben. Es wird diskutiert werden. Ich glaube nicht, dass jemand bezweifelt, dass ich jemand bin, der zum Beispiel dafür steht, dass er Energiewende kann."

    Doch die Energiewende vorantreiben wollen sie alle. Vermögende stärker zur Kasse bitten auch. Am Ende wird es wohl doch entscheidend sein, wie beliebt die eine oder der andere in der Partei ist. Für Claudia Roth, Renate Künast und Jürgen Trittin ist es die letzte Chance. Wenn die Grünen tatsächlich Teil der nächsten Bundesregierung werden, wären die Spitzenkandidaten wahrscheinlich für einen Ministerposten gesetzt. Auch wenn die Parteivorsitzende versucht, die Bedeutung herunterzuspielen:

    "Die Funktion ist eine Funktion, dem grünen Wahlkampf ein Gesicht zu geben. Diese Funktion ist ab Wahlabend 18 Uhr beendet."

    Mitte November will Roth sich erneut auf dem Bundesparteitag um den Posten als Parteichefin bewerben. Und zwar unabhängig davon, ob sie Spitzenkandidatin wird oder nicht. Auch wenn sie gleichzeitig sagt:

    "Die Mitglieder werden entscheiden, ob sie sagen: ja, genau die Person, die können wir brauchen für den Wahlkampf, und wenn die Partei sagt: nein, dann ist es ein Signal zum Loslassen."

    Zwei Spitzenkandidaten werden die Grünen bestimmen. Mindestens eine Frau, vielleicht auch zwei. In keinem Fall aber zwei Männer. Ob wie bisher auch beide Flügel in diesem Duo vertreten sein werden, ist offen. Durch die Urwahl könnten auch zwei Vertreter des linken Flügels - Trittin und Roth - oder zwei Realpolitikerinnen - Künast und Göring-Eckardt - antreten. Das wäre ein Novum für die Partei. Am zehnten November sollen die Kandidaten feststehen, und danach wollen sich die Grünen dann ganz auf die Inhalte für den Wahlkampf konzentrieren. Die anderen Parteien werden neidisch sein, meint Bundesgeschäftsführerin Lemke:

    "Die Konkurrenz wird sich fragen, warum sie es nicht auch gemacht hat. Zumindest die Konkurrenz, wo noch mehrere Leute vorhanden sind, die solche Ämter ausfüllen können."

    Von Umfragewerten um 25 Prozent wie im vergangenen Jahr sind die Grünen heute weit entfernt. Trotzdem spürt die Partei Rückenwind. Sie ist in allen 16 Landesparlamenten vertreten, in fünf Ländern Teil der Regierung, in Baden-Württemberg stellt sie den Ministerpräsidenten. Doch wofür stehen die Grünen? Warum sollten sie gewählt werden? Die Partei tut sich schwer, mit Themen durchzudringen, nachdem der Atomausstieg beschlossene Sache ist. Ein Papier zur Energiewende wurde auf dem Länderrat beschlossen. Ein weiteres zur Sicherheitsarchitektur. Den Verfassungsschutz wollen die Grünen auf den Prüfstand stellen. Der Energiewende neuen Schwung verleihen. Wie sie das tun wollen, die Antwort bleiben sie allerdings weitgehend schuldig. Doch bis zur Bundestagswahl ist ja noch viel Zeit. Bis zum Wahlparteitag Ende April wird der Vorstand einen Programmentwurf ausarbeiten. Danach entscheiden noch einmal die Mitglieder:

    "Das heißt, aus dem Programm herauskönnen dann alle Mitglieder in diesem Mitgliederentscheid sagen, was die zehn wichtigsten Dinge sind, mit denen wir den Wahlkampf im nächsten Jahr bestreiten werden."

    Schwarz-Gelb ablösen. Das ist das oberste Wahlkampfziel der Grünen. Und zwar mit der SPD. Nach der Wahlschlappe in Berlin, die viele auch darauf zurückführen, dass Renate Künast als Spitzenkandidatin offen mit Schwarz-Grün liebäugelte, will von einem Bündnis mit der CDU offiziell niemand mehr etwas wissen. Und auch für eine Koalition mit der Linkspartei gibt es keine Sympathien. Ob es allerdings für Rot-Grün reichen wird, erscheint fraglich. Vor allem, wenn die Piraten den Sprung in den Bundestag schaffen. Möglich, dass den Grünen dann doch wieder andere Optionen attraktiv erscheinen.