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Konzernschelte
Adidas in der Kritik

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist schlagartig berühmt geworden, weil er - zumindest indirekt - zum Boykott von Adidas aufgerufen hat. Während einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer soll er die Produktionsbedingungen und die mit 15 Cent pro Stunde ausbeuterisch-miese Bezahlung für Näherinnen des Adidas Weltmeistertrikots kritisiert haben.

Von Anja Nehls | 15.09.2014
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unterhält sich am 11.06.2014 mit Bauern bei Abeokuta, Nigeria.
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unterhält sich während seiner Nigeria-Reise mit Bauern. (dpa picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Wenn der Run auf die neuen Fußballweltmeistertrikots demnächst zurückgeht, könnte das an Entwicklungsminister Gerd Müller liegen. In der vergangenen Woche hatte er die Arbeitsbedingungen in der globalen Textilindustrie kritisiert. Gerade einmal 15 Cent verdiene eine Näherin in Bangladesch an einem solchen Kleidungsstück, das reiche nicht zum Leben, Arbeitsschutz gebe es auch nicht und wer wolle schon solche Kleidungsstücke tragen.
    Als Aufruf zum Boykott von Adidas Weltmeistertrikots wollte der Minister das aber nicht verstanden wissen, lässt das Ministerium wissen. Zu einem Interview war er - aus Termingründen wie es hieß - allerdings nicht bereit. Trikothersteller Adidas reagiert auf die Vorwürfe des Ministers unterdessen verschnupft. Keineswegs würden die Weltmeistertrikots in Bangladesch hergestellt, sondern bei langjährigen Partnern in China, betont das Unternehmen uns gegenüber schriftlich.
    Bernd Hinzmann von Inkota, eine entwicklungspolitischen Organisation, die sich für saubere Kleidung einsetzt, sieht darin allerdings nur einen geringen Vorteil. Zwar bekämen die Arbeiterinnen in China mehr als den Mindestlohn, aber auch das reiche nicht zum Leben:
    "Ein anderes Problem ist ein Kernproblem, dass die meisten Produktionsstätten natürlich mit einem Mischlohn operieren. Es sind hohe Stückzahlen zu liefern, es sind Überstunden, die anfallen und das hat Adidas keinesfalls im Griff."
    Aufruf zum Boykott wenig hilfreich
    Dass Minister Müller die Arbeitsbedingungen in der internationalen Textilindustrie verbessern möchte, findet Berndt Hinzmann gut. Ein Aufruf zum Boykott helfe dabei allerdings wenig:
    "Wir als Kampagne rufen nicht zum Boykott auf, weil unsere Partner und vor allem die Arbeiterinnen selbst sagen, mit einem Boykott ist uns nicht geholfen. Macht Druck auf die Unternehmen. Wen will man boykottieren. Am Schluss läuft man vielleicht nackig rum, weil keiner die richtige Alternative bietet."
    Bereits im April hatte deshalb Minister Gerd Müller ein einheitliches Textilsiegel für Firmen gefordert, dass soziale und ökologische Standards in der gesamten Lieferkette der Herstellung garantiert. Vom Baumwollanbau bis zum Kleiderbügel.
    "Wir sind im Bekleidungs- und Textilbereich in der Kette dort, wo wir im Lebensmittelbereich vielleicht vor zehn oder 20 Jahren waren."
    Textile Kette transparent machen
    Für Kleidung gibt es bereits eine unübersichtliche Anzahl verschiedener Labels und Kennzeichnungen, die alle etwas anderes bedeuten. Manche Siegel sind international, manche national, manche bewerten den ökologischen Anbau des Grundstoffes, den Pestizideinsatz oder Gentechnikfreiheit, manche die Arbeitsstandards bei der Herstellung, Gesundheitsaspekte, den fairen Handel oder die Schadstoffbelastung des Endprodukts. Dass es sehr bald einheitlich verbindliche Standards geben wird, bezweifelt Magdalena Schaffrin. Sie ist Mitorganisatorin der Ethical Fashion Show in Berlin und setzt sich für nachhaltig produzierte Kleidung ein:
    "Je mehr Transparenz in die textile Kette hineinkommt, desto schwieriger wird es natürlich, die Arbeitsbedingungen zu vertuschen und desto teurer werden am Ende wahrscheinlich auch die Produktionsschritte, dass am Ende auch die Margen für die Firma kleiner werden und das tut natürlich weh und das möchten die Leute natürlich nicht."
    Minister Gerd Müller will jetzt von Deutschland aus ein Textilbündnis ins Leben rufen. Über 70 Mitstreiter aus der Textilwirtschaft und den Gewerkschaften hat er schon gefunden. Wer dabei ist, ist bis jetzt streng geheim, sagt Berndt Hinzmann von Inkota. Er hofft, dass sich die Situation mit dem Bündnis für die Näherinnen deutlich verbessert:
    "Dass eben Dinge wie Rana Plaza nicht mehr passieren können, dass irgendwo Gebäude einstürzen und Menschen zu Tode kommen, dass Fabriken abbrennen. Es kann nicht mehr an der Tagesordnung sein, dass Menschen, die ihre Rechte durchsetzen wollen, also Gewerkschaften gründen, auf schwarzen Listen landen. Und es kann nicht sein, dass Menschen über Stunden und Stunden arbeiten, einfach umfallen, weil sie sich nicht vernünftig ernähren können. Das hängt damit zusammen, dass sie einen Lohn bekommen, von dem man nicht leben kann."
    Die Schneiderin, die das Adidas Trikot in China herstellt, verdient nicht 15 sondern 50 Cent pro Shirt, Adidas kalkuliert für Stoff, Verarbeitung und Transport 8,23 Euro pro Trikot, hat der Spiegel recherchiert. Verkauft wird es in Deutschland für knapp 85 Euro.