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Konzert gegen Gewalt

Unter der Leitung des Dirigenten Rolf Reuter spielte die Staatskapelle Berlin am 5. November 1989 in der Gethsemanekirche Beethovens 3. Sinfonie. Bei diesem Konzert forderte Reuter öffentlich: "Die Mauer muss weg". Jetzt dirigierte Daniel Barenboim das Gedenkkonzert.

Von Jacqueline Boysen | 03.11.2009
    "s ist für mich eine ganz große Ehre, das Konzert hier mit der Kapelle dirigieren zu dürfen."

    Daniel Barenboim blickt in die überfüllte Gethsemanekirche – hinter sich, vor dem Altar, die Musiker der Staatskapelle.

    "Der wichtigste Grund, warum es für mich eine große Ehre ist, ist, dass mit diesem Konzert vom 5. November 1989 die Mitglieder der Staatskapelle gezeigt haben, dass sie nicht in einem Elfenbeinturm leben, dass sie nicht die Musik gesehen haben als etwas, um von der Welt wegzukommen, sondern dass wir mit der Musik versuchen können, die Welt und den Menschen zu verstehen."

    Die Staatskapelle intonierte damals wie am gestrigen Abend auch Beethovens Eroica. Nicht allein dass der Komponist mit diesem Werk ein Zeichen wider die Tyrannei setzten wollte. Auch die Staatskapelle lud am 5. November 1989 nicht allein zur Erbauung. Sie hatte eine Erklärung an die Reformwilligen in der DDR präpariert, einen Aufruf, sich nicht provozieren zu lassen und friedlich die verkrusteten Machtstrukturen aufzubrechen.

    "Freiheit, die Freiheit der Andersdenkenden meint, und so müssen wir uns darüber klar sein, dass nicht nur wir die Andersdenkenden sind. Oder anders gesagt: Nur der Tolerante kann Toleranz fordern."

    Verlesen hatte die Erklärung damals Horst Krause, bis heute Cellist der Berliner Staatskapelle.

    "Ich konnte mich gar nicht mehr besinnen, was ich damals gesagt habe. Aber das Gefühl der Angst, dass wir damals hatten, das ist plötzlich wieder vorhanden. Denn es gab ja am Tag vorher die große Demonstration am Alexanderplatz, aber die Macht war nach wie vor bei der Partei. Und wie der Abend enden würde, wusste niemand von uns."
    Krause erinnert sich an die Spannung in der Kirche, als vor mehr als 2000 Besuchern der damalige Generalmusikdirektor der Komischen Oper, Rolf Reuter, der an diesem Abend das Orchester dirigierte, das Wort ergriff.

    "Als dann Herr Reuter in seinem wunderbaren Sächsisch sagte: 'Als Erstes: Die Mauer muss weg!', da ist uns die Luft weggeblieben. Uns stockte der Atem."

    Reuter beschwor offen die kulturelle Einheit Deutschlands - sie zu vollenden, das sei auch ihm bis heute Verpflichtung, so Daniel Barenboim, seit 16 Jahren Chef der Staatskapelle.

    "Nicht nur politisch, kulturell, gastronomisch – sondern mental!"
    Vor sich hat Barenboim ein Publikum, in dem Menschen sitzen, die vor zwanzig Jahren am selben Ort die Staatskapelle in ihrer Kirche erlebt haben – so wie Pfarrer Bernd Albani:

    "Daran zu denken, dass ein Machtwechsel erzwungen wurde, ohne dass von denen, die ihn erzwangen, Gewalt ausgegangen ist, das ist ein Grund, sich zu erinnern, sich zu freuen und Mut zu schöpfen, dass es geht, Veränderungen zu erreichen, ohne Gewalt auszuüben."

    Daniel Barenboim wendet sich den Kirchenbänken zu: in der ersten Reihe jemand, dem der Dirigent größte moralische Autorität zuspricht – und dessen Geschichte sich gleichfalls mit der Gethsemanekirche in den revolutionären Herbsttagen verbindet: Richard von Weizsäcker:

    "Später sind wir einmal von der Gethsemanekirche aus in einer Zeit, da Gewalt verboten, aber noch nicht verschwunden war aus dem Geist vieler, da ist er an der Spitze eines großen Demonstrationszuges marschiert und ich mit ihm. Das war nicht seine Aufgabe, aber seine Natur. Und diese Natur hat er uns immer vorgemacht."

    Bevor der solchermaßen geehrte Daniel Barenboim den Taktstock hebt, zollt ihm auch das Orchester Respekt.

    "Wir wissen, es ging gut aus, zum Glück. Und für die Staatskapelle ging es besonders gut aus, denn wir haben das große Los gezogen, wir haben Daniel Barenboim bekommen – ein großes Glück!"