Samstag, 20. April 2024

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Konzerte und Sinfonien von Mysliveček
Ideenreichtum eines göttlichen Böhmen

Die Geigerin Leila Schayegh und das Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks widmen sich in ihrer jüngsten Zusammenarbeit dem Böhmen Josef Mysliveček, der zwar als Opernkomponist Karriere machte, aber auch spritzige Konzerte und Sinfonien komponiert hat.

Am Mikrofon: Helga Heyder-Späth | 01.05.2018
    Die Geigerin Leila Schayegh im Profil steht vor einer Steinwand und hält ihren Bogen und ihre Violine aufrecht vor sich
    Die Geigerin Leila Schayegh (Marco Borggreve)
    Italienische Musik eines böhmischen Komponisten steht im Mittelpunkt einer neuen CD-Produktion, die gerade beim Label Accent erschienen ist. Zusammen mit der Geigerin Leila Schayegh haben Václav Luks und sein Collegium 1704 Violinkonzerte und Orchesterwerke von Josef Mysliveček aufgenommen, zum Teil in Weltersteinspielung.
    Musik: Josef Mysliveček, Allegro aus: Ouvertüre Nr. 2 A-Dur
    Seine Ouvertüre in A-Dur komponierte Josef Mysliveček vermutlich um 1770 in Florenz. Italien war die Wahlheimat dieses böhmischen Komponisten, dessen Werdegang einigermaßen erstaunlich ist. Man kann nicht gerade sagen, dass ihm die Musik in die Wiege gelegt wurde. 1737 kam er in Prag als Sohn eines Müllers zur Welt und erlernte zunächst selbst dieses Handwerk. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder studierte er aber auch Philosophie an der Prager Karls-Universität. Mit Mitte zwanzig verdiente Mysliveček seinen Lebensunterhalt dann mit ersten Kompositionen und vor allem mit seinem Violinspiel.
    Vom Müller zum Berufsmusiker
    Dass er Berufsmusiker werden konnte, ist wohl seinem Mäzen, dem Grafen Vinzenz von Waldstein, zu danken. Er schickte den jungen Komponisten nach Venedig in die musikalische Lehre. In Italien machte Mysliveček als Opernkomponist Karriere. Seine Werke wurden unter anderem in Neapel, Venedig, Bologna, aber auch in Prag, München und Wien gespielt. Das Publikum feierte ihn als "Il divino Boemo" – als "göttlichen Böhmen".
    Die Opernbühne scheint Mysliveček ziemlich in Anspruch genommen zu haben. Obwohl die Geige sein Instrument war, schrieb er – soweit wir wissen – erst relativ spät Violinkonzerte. Neun sind von ihm überliefert. Sie alle entstanden in den späten 1760er und frühen 1770er Jahren. Vermutlich gab die Begegnung mit Giuseppe Tartini, einen der berühmtesten italienischen Geiger seiner Zeit, den Anstoß dazu.
    Virtuos und reizvoll
    Leila Schayegh hat für ihre Einspielung drei Konzerte ausgesucht. Sie sind in einem Manuskript in Wien überliefert. Es könnte also gut sein, dass Mysliveček sich dort bei einem Besuch 1772 als Orchesterkomponist und Violinvirtuose präsentieren wollte. Ob er damals allerdings wirklich Gelegenheit dazu fand, lässt sich heute nicht mehr sagen. Aber sicher wären die Wiener von seinem virtuosen und reizvollen Konzert in E-Dur beeindruckt gewesen.
    Musik: Josef Mysliveček, Presto aus: Concerto E-Dur
    Leila Schayegh schreibt im CD-Booklet, dass sie der überbordende Ideenreichtum der Violinkonzerte Myslivečeks fasziniert. Ihre gerade erschienene Einspielung ist nicht die erste Zusammenarbeit mit dem Prager Dirigenten Václav Luks und seinem Collegium 1704.
    Liebe zur historisch informierten Aufführungspraxis
    Schayegh und Luks verbindet die Liebe zur historisch informierten Aufführungspraxis. Die aus der Schweiz stammende Geigerin entdeckte sie während ihres Studiums für sich. Nach ihrem Examen auf der modernen Violine schloss sie ein Zweitstudium für Violine in alter Mensur an der Schola Cantorum Basilienis an. Inzwischen ist Leila Schayegh dort selbst Dozentin. Darüber hinaus kann man sie als Solistin und Kammermusikerin auf vielen renommierten Konzertbühnen und in zum Teil preisgekrönten CD-Einspielungen hören.
    In Myslivečeks Violinkonzerten glänzt sie nicht nur durch technische Versiertheit und eine fast spielerisch wirkende Geläufigkeit, sondern auch durch eine weiche, transparente Tongebung und viele gestalterische Nuancen. Vor allem bestechen ihre langsamen Sätze durch ein filigranes und doch inniges Kantabile, das mit reizvollen Verzierungen gewürzt ist; zum Beispiel im Mittelsatz des Concerto in A-Dur.
    Musik: Josef Mysliveček, Larghetto aus: Concerto A-Dur
    Im vergangenen Sommer haben Leila Schayegh und das Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks Konzerte und Orchesterwerke von Josef Mysliveček in der Prager Sankt-Annen-Kirche aufgenommen. Sie bietet eine weiche, aber vielleicht nicht immer ganz klar zeichnende Akustik.
    Voller Feuer, Geist und Leben
    In seinen Violinkonzerten greift der Haydn-Zeitgenosse Mysliveček die dreiteilige italienische Konzertform mit zwei schnellen Rahmensätzen und einem langsameren Mittelsatz auf, wie sie vor allem Antonio Vivaldi prägte. Musikalisch spricht Mysliveček aber die Sprache der Frühklassik, ohne sich in ein enges thematisches Form-Korsett zwingen zu lassen. Noch deutlicher zeigt sich der "Klassiker" in den beiden ebenfalls eingespielten Sinfonien. Auch sie sind nach italienischen Vorbild dreisätzig. Auf die Zugabe eines Menuettes, das die Sinfoniker nördlich der Alpen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Standard machen, verzichtet Mysliveček. Dennoch zeigt er sich in seinen Sinfonien als ein origineller Komponist mit Witz und Esprit. Wolfgang Amadeus Mozart attestierte seinem Freund und Kollegen, er sei "voller Feuer, Geist und Leben". Gleiches gilt für Myslivečeks Musik – und ganz in diesem Sinne interpretiert Václav Luks unter anderem den ersten Satz "Spirituoso" aus der Sinfonie in Es-Dur. Sie ist in seiner Aufnahme als Weltersteinspielung zu hören. Das Collegium 1704 kann darin seiner musikalischen Spielfreude freien Lauf lassen.
    Musik: Josef Mysliveček, Spirituoso aus: Sinfonia Es-Dur
    Zusammen mit fünf weiteren Werken von Mysliveček ist die Sinfonie in Es-Dur im bayerischen Kloster Weyarn überliefert. Möglicherweise entstand das Manuskript um 1778, als sich Mysliveček in München aufhielt, um dort eines seiner Oratorien aufzuführen. Denkbar wäre, dass die Sinfonie außerdem zu jenen Werken gehörte, mit denen er sich von München aus um die Kapellmeisterstelle am fürsterzbischöflichen Hof in Salzburg bewarb, wenn auch vergeblich. Damals war er schon von der Syphilis gezeichnet und hatte schmerzhafte und entstellende medizinische Eingriffe hinter sich. Einige Jahre später, 1781, starb Mysliveček einsam und verarmt in Rom. Seiner durchweg positiven Musik merkt man diesen Leidensweg nicht an, schon gar nicht in der spritzigen Interpretation von Václav Luks. Die schwungvolle Verve, mit der sein Collegium 1704 spielt, ist bestechend. Das lässt einen gerne über die seltenen kleinen Ungenauigkeiten im Zusammenspiel hinwegsehen.
    Leila Schayegh spielt beherzt und mit erstaunlicher Leichtigkeit
    2005 hat Luks sein auf historischen Instrumenten spielendes Ensembles in Prag gegründet, zunächst als eine Hommage an Jan Dismas Zelenka, der dort 1704 seine ersten Erfolge feierte. Das Repertoire aus dem böhmisch-tschechischen Kulturkreis ist bis heute ein Schwerpunkt des Ensembles, das inzwischen europaweit ein gerne gesehener Gast ist.
    Die Musik von Mysliveček gestaltet Luks mal zupackend, mal sensibel. Da zeigt sich ein origineller Komponist, der italienischen Esprit mit einem reizvollen "böhmischen" Idiom würzt. Die Musikwissenschaft weist gelegentlich darauf hin, dass selbst Wolfgang Amadeus Mozart durch Myslivečeks Werke inspiriert wurde. Auch Leila Schayegh erwähnt im Booklet zur Einspielung musikalische Parallelen zwischen beiden Komponisten und betont zugleich, dass sie Myslivečeks Violinkonzerte für technisch anspruchsvoller hält als die von Mozart. Sie bewältigt diese technischen Ansprüche scheinbar mühelos. Doppelgriff-Passagen, virtuose Läufe und Wendungen bis in höchste Lagen geht sie beherzt und doch mit erstaunlicher Leichtigkeit an. Das Collegium 1704 steht ihr da als idealer Partner zu Seite.
    Musik: Josef Mysliveček, Presto aus: Concerto A-Dur
    Im vergangenen Sommer haben Leila Schayegh und das Collegium 1704 unter der Leitung von Václav Luks die Orchesterwerke und Violinkonzerte von Josef Mysliveček eingespielt. Die CD ist gerade beim Label Accent erschienen und in Deutschland unter anderem über den Vertrieb Note 1 zu erhalten.
    Josef Mysliveček
    Violin Concertos. Violinkonzerte, Sinfonie und Ouvertüre
    Leila Schayegh, Violine
    Collegium 1704
    Václav Luks
    ACCENT ACC 24336
    LC 06618
    EAN 40150232433461