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Konzerthaus Berlin
Neue Musik von Iranern

Vor knapp zwei Jahren hätte das Ensemble United Berlin bei einer Teheran-Ausstellung spielen sollen. Die Ausstellung platzte, weil Iran Ausfuhrgenehmigungen verweigerte. Das musikalische Begleitprogramm wurde erweitert und nun in Berlin nachgeholt - ohne jegliche persische Folklore.

Von Matthias Nöther | 22.10.2018
    Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Berlin
    Im Konzerthaus Berlin konnte man Eindrücke der vielfältigen iranischen Szene Neuer Musik bekommen (picture alliance/dpa/imageBROKER)
    Der kulturpolitische Affront der iranischen Regierung gegenüber der Bundesregierung ist nun knapp zwei Jahre her. Ursprünglich wollte das Ensemble United Berlin bei der Teheran-Ausstellung nur zwei Werke iranischer Komponistinnen und Komponisten aufführen – nun hat United insgesamt sogar sieben Stücke ausgewählt – und präsentiert damit ein ausgewachsenes Neue-Musik-Programm, das rein iranisch ist. Alle Künstler sind in Iran geboren, sind Mitte oder Ende 30 und leben außerhalb ihres Heimatlandes.
    Auffällig ist die Verschiedenartigkeit der musikalischen Ansätze. Nur eins gibt es nicht: Musik, die man als persische Folklore verstehen oder missverstehen könnte. Selbst der seit zehn Jahren in Russland lebende Mehdi Hosseini, der sich in seinem Werdegang offenbar besonders akribisch mit musikethnologischen Studien beschäftigt hat, pflegt in seinem Stück Sarukhani vor allem die kompromisslos extrovertierte Geste der westlichen musikalischen Avantgarde und lässt es krachen.
    Dann gibt es handwerklich ausdifferenzierte Kompositionen wie das Stück "diesbezüglich" von Ehsan Khatibi. Dieser sollte bereits 2017 bei der gescheiterten Teheran-Ausstellung ein Stück präsentieren. Khatibi, der zurzeit Musiktheorie an der Musikhochschule in Düsseldorf lehrt, hat nun dem Ensemble United mit seinem weltweiten iranischen Netzwerk geholfen, iranische Komponistinnen und Komponisten der ganz jungen Generation ausfindig zu machen. Khatibis Musik zeigt meisterhaft und klangschön Gleichzeitigkeit von Starre und Bewegung.
    Musik wird im Iran skeptisch beäugt
    Es ist nicht so, dass solche Musik im Iran grundsätzlich verboten wäre. Aber Musik insgesamt wird vom dortigen Regime skeptisch beäugt und beurteilt, im Gegensatz zu anderen Kunstrichtungen, sagt der 35-jährige Amen Feizabadi, der nach seinem Kompositionsstudium an der Essener Folkwang Hochschule in Berlin lebt. Feizabadi organisiert oft Musiktheater-Projekte in seiner iranischen Heimat.
    Feizabadi: "Für Events, man braucht bestimmte Genehmigungen. Und Sensibilität für Musik ist mehr als für Theater. Warum? Pfff. Wahrscheinlich kommt das daher, weil Musik kann die Leute mehr emotional beeinflussen. Und da gibt es auch zum Beispiel für Rock, Pop, Klassische Musik, Ernste Musik unterschiedliche Kommissionen. Und ich weiß auch, wenn die Kollegen zum Beispiel ein Festival organisieren, müssen sie schon sehr viel dafür rennen, damit diese Genehmigung da ist. Das ist natürlich schade, denn es zieht sehr viel Energie. Aber ich bin grundsätzlich keine Person, die auf solche Sachen fokussiert ist. Ich versuche genau in dieser Situation, meine Kontakte, meine Austauschprojekte, durchzusetzen. Dieses Jahr habe ich eine Kooperation mit dem Goethe-Institut, Koproduktionsfonds. Wir haben in diesem Jahr ein Musiktheaterprojekt gemacht, zusammen mit Lux:NM-Ensemble."
    Amen Feizabadi weiß genau, weshalb er seine Werke im Iran nicht in der Sparte Musik, sondern in der Sparte Theater anmeldet – wegen der Zensur. Allerdings hat er ohnehin eine Affinität zur szenischen Aktion. Beim Ensemble United zeigt er ein Stück, in dem Menschen in eine emotional vielschichtige und mehrdeutige Beziehung zu Schweinen treten.
    Das Kunstsparten-Übergreifende der iranischen Neuen Musik könnte mit der Geschichte nach der Revolution zu tun haben. Kunst und Kultur aus der Zeit des Schahs überlebte vor allem dann, wenn sie unauffällig in den Wohnzimmern gepflegt werden konnte. Das sagt Elnaz Seyedi, 1982 in Teheran geboren und somit während des iranischen Kriegs mit dem Irak und in den ersten Jahren der islamischen Herrschaft im Iran aufgewachsen.
    Seyedi: "Es gab so gut wie keine Konzerte, vielleicht zweimal pro Jahr. Aber, was sehr interessant war, es gab sehr viele Bücher, die vor der Revolution da waren, und die waren einfach zuhause. Ich habe mit Fazir, die hier auch eine Aufführung hat, wir haben irgendwann sehr darüber nachgedacht, warum eigentlich unsere Generation so inspiriert ist von der Literatur: Wir hatten eigentlich am Anfang nur Literatur, und durch Literatur konnten wir einfach auch ein bisschen von dem Land rausschauen."
    Alireza Mashayekhi hat viele junge Musiker unterrichtet
    Älteren Komponisten wie dem 1940 geborenen Alireza Mashayekhi allerdings fiel die Diskrepanz auf, die zwischen der Entwicklung der geretteten Literatur und jener der kaum stattfindenden Musik bestand.
    Seyedi: "Er hat in Wien studiert, und dann war er glaube ich in Utrecht, hat im elektronischen Studio viel gemacht. Dann war er lange in den USA, und dann kam er irgendwann zurück in den Iran. Er hat viel nachgedacht: Okay, unsere Literatur war damals schon modern. Es gab ziemlich viele Richtungen, die neue Wege gezeigt haben. Und er hat nachgedacht, was ist in der Musik passiert? Warum haben wir gar nichts? Und seine Antwort ist: Bildung. Also wir haben nicht gute Ausbildung für Musik, und er hat sich engagiert. Er hat gesagt: Okay, ich gehe in den Iran. Ich erziehe tausende Komponisten. Und er hat wirklich damit angefangen, also sehr viel unterrichtet. Ich glaube, ich war 70 Prozent einfach bei ihm zuhause, das war unsere Universität, das war unser Konzerthaus. Ja, er hat es wirklich geändert. Es gibt wirklich mindestens zehn junge iranische Menschen, die jetzt hauptberuflich Komponist sind. Und die kommen von ihm."
    Andreas Bräutigam, Geiger und Geschäftsführer des Ensemble United, plant im kommenden April bereits neue Treffen mit iranischen Komponisten in Berlin.
    Bräutigam: "Wo wir an zwei Tagen auch andere Komponisten, auch Komponisten, die jetzt im Iran leben, auch aus der anderen Generation, nämlich der älteren Generation, die diese jungen Leute hier auch ausgebildet hat, die werden auch anwesend sein. Es werden auch Schriftsteller anwesend sein, die sich dazu äußern. Also dieser Sache werden wir dort auf jeden Fall nachgehen, wie weit die Grenzen sind. Wie weit es möglich ist, frei zu arbeiten und so weiter."
    Man muss kein ausgewiesener Kenner iranischer Musik sein, um den Generationenbruch zu erahnen, der besteht zwischen den jungen Komponisten, die musikalisch mit allen Wassern der westlichen Avantgarde gewaschen sind, und ihren einstigen Lehrern, die noch zur Zeit des Schahs von Persien ihren Beruf ergriffen. In Berlin ergibt sich mehrmals die Gelegenheit, diese gespaltene und doch vielfältige iranische Szene Neuer Musik kennenzulernen.