Schon die ersten Takte der "Festlichen Ouvertüre" von Dmitri Schostakowitsch sorgten für den sprichwörtlichen Gänsehauteffekt. Im Publikum viele postiv-überraschte Gesichter. Und auch Michael Sanderling, der Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, sprach danach von einem "beglückenden Moment":
"Der erste Eindruck war, dass der Klang so rund, so warm, so erdig, aber eben auch transparent ist – und dass damit alle akustischen Vorgaben, die wir gegeben haben, erfüllt wurden."
Einstiger DDR-Vorzeigebau mit schlechter Akustik
Rückblende. Die Eröffnung des Dresdner Kulturpalastes im Jahr 1969 war ein Ereignis von nationalem Rang in der DDR. Für die Musiker der städtischen Philharmonie ging damals eine lange Zeit der Heimatlosigkeit zu Ende. Seit 1945 konnten sie nämlich nur in diversen provisorischen Spielstätten auftreten. Doch die anfängliche Freude über das neue Haus wich bald der Ernüchterung. 1984, zum 15-jährigen Jubiläum des Kulturpalastes, äußerte Dieter Härtwig, der damalige Chefdramaturg der Philharmonie im DDR-Rundfunk, seine Enttäuschung über die schlechte Akustik.
"Wir hatten ja Gelegenheit, mitreden zu dürfen, Empfehlungen auszusprechen, Hinweise zu geben. Wobei wir uns heute, vom heutigen Stand wünschen, wir hätten das viel mehr getan."
Der alte Saal war ein klassischer Mehrzweckbau und damit für differenziertes Hören wenig geeignet.
"Er war sehr breit wirklich gestaltet, wie ein Kongresssaal. Das war so weit weg von dem, was man sich für einen Konzertsaal wünscht, dass wir gleich die Entscheidung getroffen haben: Das wird neu".
Sagt die Niederländerin Margriet Lautenbach, die als Chefakustikerin den Klang des neuen Saales entscheidend konzipiert hat. In den vorderen Reihen des alten Saales wirkte die Musik sehr laut und kaum transparent, in den hinteren war sie dagegen oft schlecht wahrnehmbar. So entschieden sich Stadtrat und Stadtregierung für einen Teilneubau: Die äußere Gestalt des Bauwerks und sämtliche Räumlichkeiten außerhalb des Konzertsaales sollten – so verlangte es auch der Denkmalschutz - originalgetreu restauriert werden. Denn, so betont Architekt Stephan Schütz, der Kulturpalast sei eine "Ikone der Ost-Moderne" und "gebauter Paradigmenwechsel".
"Der Umbruch nämlich vom stalinistischen "Zuckerbäckerstil", wie wir ihn aus Warschau und Moskau kennen und die Hinwendung zum Bauen der Moderne, zum internationalen Stil, zum industriellen Bauen."
Das Hauptfoyer zum Altmarkt hin ist voll verglast. Durch die bronzenen Eingangstüren, geschmückt mit Reliefs glücklicher sozialistischer Menschen, zwischen denen Friedenstauben in die Höhe steigen, gelangt man hinein. Blickfang in der Hauptetage ist ein langgezogener Fries, der idealisiert einen Querschnitt durch die Bevölkerung der DDR darstellt: Ein lesender Arbeiter, eine Chemikerin, aber auch eine Geigerin sind da unter anderem zu sehen. Anklänge an diese "sozialistische Ästhetik" finden sich auch innen - im völlig neu gestalteten Konzertsaal. Die Polsterbezüge der Sitze nehmen den Farbton des großen Läufers im Foyer auf, "Koralle", ein dunkles Orange. Der Raum ist nicht, wie in der Hamburger Elbphilharmonie rund, sondern leicht oval. Die Ränge steigen weinbergartig auf, ein Konzept, wie es Hans Scharoun bereits 1963 in der Berliner Philharmonie verwirklicht hat. Die Bühne ist allerdings nicht im Zentrum, sondern nach hinten gerückt. Hierbei scheint u.a. das Leipziger Gewandhaus Pate gestanden zu haben. Über dem Orchester wird sich ab September die neue Orgel erheben, die im Moment von der Firma Hermann Eule aus dem sächsischen Bautzen gebaut wird.
Neubau sorgt für Glücksmomente im Orchester
Dass die Konzepte mehrerer Konzertsäle der klassischen Moderne in den Neubau eingeflossen sind, ist kein Zufall. Architekt Stephan Schütz und Akustikerin Margriet Lautenbach hatten die Mitglieder der Dresdner Philharmonie auf mehreren Konzertreisen in zahlreiche Säle in aller Welt begleitet und sie dann nach ihren Wünschen und Eindrücken befragt. Chefdirigent Michael Sanderling ist auch über das optische Resultat mehr als erfreut: Die Musiker stehen, betont er, jetzt tatsächlich im Zentrum.
"Das ist für ein Orchester, was gewohnt war, sehr weit weg vom Publikum zu sein und sich noch weiter weg zu fühlen von dem Publikum ein Glücksmoment, wie man ihn wahrscheinlich nur selten im Leben erleben wird."
In klanglicher Hinsicht orientierte man sich bei der Konzeption des Saales an der örtlichen Tradition. Ähnlich wie in Prag oder Wien ist nämlich auch in Dresden nicht die totale Transparenz das Kennzeichen des Orchesterklangs. Es besteht vielmehr immer eine minimale Einschwingphase bei den Streichern, die eine leichte "Verwischung" bringt und für die Verschmelzung der Orchesterstimmen sorgt, sagt Maestro Michael Sanderling.
"Das ist ein warmer dunkler, erdiger Klang, der aber ein Verschmelzungspotenzial hat. D.h., daß die einzelnen Stimmen ineinander gehen und nicht alles so transparentiert ist, daß Sie lauter kleine Kügelchen hören."
Gegenentwurf zur Hamburger Elbphilharmonie?
Der Klang in der Hamburger Elbphilharmonie ist erheblich transparenter, aber auch obertonreicher. Wollte man in Dresden also einen bewussten Gegenentwurf schaffen?
"Das kann ich nicht beurteilen, weil ich die Elbphilharmonie noch nicht das Vergnügen hatte, selber zu beurteilen."
Der Unterschied zu Hamburg macht sich auch in der Wahrnehmung der Geräusche im Raum jenseits der Musik bemerkbar. Hört man in der Elbphilharmonie zum Beispiel das Rascheln eines Bonbonpapiers von zehn Plätze tiefer absolut deutlich, ist das im Kulturpalast nicht der Fall. Akustik-Expertin Margriet Lautenbach erläutert, was für sie und ihre Mitarbeiter der Maßstab war, um dieses Ziel einer leichten Dämpfung der Geräuschkulisse zu erreichen.
"Für uns ist es eigentlich immer wichtig, wie der Applaus sich anhört! Wenn das sich anhört, als ob es überall regnet, dann ist der Saal gut. Das muss überall herkommen!"
Während in der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Nationalen Forum der Musik im polnischen Breslau, die beide innerhalb der letzten Monate eröffnet wurden, die Wände zahlreiche kuhlenförmige Einkerbungen haben, ist das im Dresdner Kulturpalast nicht der Fall. Ganz normale Paneelen aus Rotbuchenholz bilden die Wandverkleidung, betont Margriet Lautenbach.
"Die glatten Wände, die reflektieren. Ohne diese Reflexion hat man nicht die frühe Reflexion, die die Musiker brauchen, umeinander hören zu können!"
Letzte Bauarbeiten bis kurz vor Eröffnungskonzert
Seinen Lackmustext bestand der neue Saal am vergangenen Freitag durch die Aufführung des vierten Satzes aus Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie mit Solisten, den Philharmonischen Chören Dresden, dem MDR Rundfunkchor und der Dresdner Philharmonie unter Michael Sanderling. Während das Publikum auf den Rängen vom Klang beeindruckt war, gab es aus dem Parkett auch Stimmen, die eine gewisse Brillanz in den Höhen vermissten. Hier kann jedoch mit Hilfe eines Mobiles von Segeln an der Decke noch nachjustiert werden. Für Bauleiter Axel Walther sind das nur kleine Herausforderungen angesichts der Schwierigkeiten, die sein Team bis kurz vor der Wiedereröffnung des Hauses zu bewältigen hatte.
"Wir haben eine Sprinkleranalage, wo das Wasser rausgelaufen ist, wo wir nochmal Parkett machen mussten, wir hatten umgekippte Farbeimer auf Teppichböden, wir hatten plötzlich Lampen, die nicht gereicht haben. Aber die Hoffnung gibt man bis zuletzt nicht auf und deswegen ist man umso glücklicher, wenn‘s dann geschafft ist."
Finanziell ist man übrigens ziemlich gut im angepeilten Rahmen von rund 100 Millionen Euro geblieben. Das lobte auch Bundesfinanzminister Schäuble, der die ziemlich launige Eröffnungsrede hielt. Wenn der Bau viermal so teuer geworden wäre als geplant, meinte Schäuble, dann wäre wahrscheinlich auch der Bundespräsident gekommen.