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Kooperationsverbot in Schulfragen
SPD-Fraktionsvize fordert Lockerung aufgrund der Flüchtlingskrise

Der stellvertretende Fraktionschef der SPD, Hubertus Heil, hat das Kooperationsverbot im Bildungsbereich einen "in Verfassungsrecht gegossenen Irrtum" genannt. Angesichts der Flüchtlingskrise fordert Bund und Länder auf, gemeinsam zu arbeiten. Der Problemdruck durch die zusätzlichen Kinder in Schulen und Kitas sei "riesig groß", sagte er im DLF.

Hubertus Heil im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Flüchtlingskinder lernen Deutsch (26.08.2015).
    Wenn es darum ginge, 325.000 schulpflichtige Kinder zusätzlich zu integrieren, müssten Bund und Ländern gemeinsam arbeiten, betonte der SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil im Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Benedikt Schulz: Neu ist diese Forderung nicht: Das Kooperationsverbot soll gelockert werden. Das ist ja eigentlich schon mal geschehen, vor einem knappen Jahr nämlich, damals wurde es dem Bund erlaubt, sich dauerhaft für den Bildungsbereich zu engagieren, aber eben nur im Hochschulbereich. Ansonsten bleibt Bildung Ländersache, mit allen föderalen Vor- und Nachteilen.
    Jetzt soll aber auch diese Schranke fallen, fordert die SPD im Bundestag. Neu daran ist das Argument: In der aktuellen Flüchtlingslage schadet das Kooperationsverbot noch mehr. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil hat dazu ein Positionspapier "Nationale Bildungsallianz" veröffentlicht und er ist jetzt in der Leitung. Ich grüße Sie!
    Hubertus Heil: Schönen guten Tag, grüße Sie!
    "Qualität unserer Schulen darf nicht leiden"
    Schulz: Sie kritisieren ja, dass der Bund zum Beispiel in der Grundschulbildung keine Impulse setzen kann. Wie kann denn so ein Bundesimpuls für Bildung ausschauen?
    Heil: Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich, vor allen Dingen im schulischen Bereich war aus unserer Sicht immer schon ein in Verfassungsrecht gegossener Irrtum, Sie haben das erwähnt. Aber in dieser Phase, in der wir damit zu rechnen haben, dass es darum geht, 325.000 schulpflichtige Kinder nach den Zahlen der Kultusministerkonferenz zusätzlich zu integrieren, und wir im Kita-Bereich mit ungefähr 100.000 geflüchteten Kindern zu tun haben, muss es möglich sein, dass Bund und Länder gemeinsam arbeiten.
    Da geht es nicht darum, dass der Bund die Inhalte in Grundschulen bestimmt, die Länderhoheit bleibt unangetastet. Aber wir müssen in dieser Kraftanstrengung miteinander dafür sorgen, dass die Qualität unserer Schulen nicht leidet, sondern verbessert wird. Da geht es nicht nur um die Schicksale und die Integration von Flüchtlingskindern, da geht es um Sprache, Bildung, Zugang zu Ausbildung und Arbeit, sondern es geht auch um Kinder, die schon in unserem Bildungssystem sind und die nicht darunter leiden dürfen, dass die Qualität sich verschlechtert, weil die Möglichkeiten nicht mehr ausreichen.
    Und wenn ich mir angucke, dass die Länder in den nächsten Jahren mit dieser Riesenaufgabe, die sie zu schultern haben im Bildungsbereich, deshalb alleine dastehen, weil sie auch Restriktionen haben, weil es eine Schuldenbremse gibt, die wirkt, müssen wir sagen, wir müssen alle mit anpacken können, damit Bildung in dieser Phase zur Chance wird für Integration, damit sie nicht unter die Räder kommt.
    "Bund muss in der Lage sein, die Länder zu unterstützen"
    Schulz: Aber es geht ja auch ums Geld. Wird die Bildungszusammenarbeit in Zukunft so aussehen, der Bund bezahlt, die Länder entscheiden?
    Heil: Wir müssen an einem Strang ziehen. Das heißt, der Bund muss erst mal in der Lage sein, Länder überhaupt unterstützen zu können. Wir haben ja im Wissenschaftsbereich – Sie haben es erwähnt in der Anmoderation – das Grundgesetz geändert, Bund und Länder können zusammenwirken, wenn sie sich einig sind. Es geht also nicht um Bevormundung.
    Und jetzt geht es auch in diesem Bereich, im schulischen Bereich darum, zum Beispiel Ganztagsschulen auszubauen, das ist unser Vorschlag. 30 Prozent der Grundschulen in Deutschland sind Ganztagsschulen, wir müssten das Ziel haben, das auf 50 Prozent zu brauchen. Wir brauchen Schulsozialarbeit. Und damit Bund und Länder gemeinsam anfassen, müssen wir diesen verfassungsmäßigen Weg erst mal ebnen. Im Moment darf der Bund nicht einmal einen Cent in die Schulen geben und das ist eine ziemlich verrückte Sache.
    Schulz: Aber einen Aspekt, den Sie gerade angesprochen haben, finde ich auch gerade im Hinblick auf die Integration von Flüchtlingen interessant, und zwar die Schulsozialarbeit. Ist ja auch keine neue Forderung. Da hätte der Bund aber doch schon längst loslegen können. Denn das ist ja eigentlich durch das Kooperationsverbot nicht verhindert worden, oder?
    Heil: Das stimmt, es gab auch entsprechende Ansätze. Aber wir haben auch erlebt, dass in diesem Bereich sozusagen man angesichts finanzieller Zwänge sich die Kartoffeln hin- und hergeschoben hat. Da ging es ja auch um benachteiligte Jugendliche, die wir schon auch in Deutschland haben, da geht es darum, dass nicht im Unterricht, sondern am Lernort Schule Ansprechpartner sind, die sich um begleitende soziale Probleme auch kümmern können, also sprich Schulsozialarbeit möglich ist. Also, das ist eine Möglichkeit, die besteht auch zugegebenermaßen, ohne dass wir das Kooperationsverbot lockern.
    Aber ich sage mal so: Wenn wir es lockern, dann ist sozusagen die Gelegenheit zur Zusammenarbeit für eine Bildungsstrategie im Sinne einer Gesamtallianz eher möglich, als wenn das nicht ist. Denn was wir uns nicht erlauben dürfen, ist, dass die staatlichen Ebenen bei dieser Frage sich einfach nur den schwarzen Peter hin- und herschieben oder sagen, wer zuständig ist, ist jetzt erst mal die wichtigste Frage. Alle müssen ihren Beitrag leisten und dafür muss Zusammenarbeit möglich sein.
    "Ich plädiere einfach für Pragmatismus in dieser Zeit"
    Schulz: Und Ihr Koalitionspartner hat Ihren Vorstoß ja schon bereits postwendend abgelehnt. Wie wahrscheinlich ist das denn, dass Sie, ich sage jetzt mal, noch in dieser Legislaturperiode eine Grundgesetzänderung hinkriegen können?
    Heil: Ich glaube, dass wir gute Argumente haben, auch die Grundgesetzänderung für den Wissenschaftsbereich stand nicht im Koalitionsvertrag, aber wir haben uns verständigt, weil es vernünftig ist. Und warum sollte eigentlich was für Schulen nicht möglich sein, was für Hochschulen möglich ist? Zum Zweiten: Wir haben gute Argumente und der Problemdruck ist einfach riesig groß. Er wird uns aus den Schulen, aus den Ländern erreichen und das führt auch zu anderen Sichten in den Köpfen von Politikerinnen und Politikern. Ich plädiere einfach für Pragmatismus in dieser Zeit.
    Das Dritte ist, ich höre in der Union sehr genau hin und stelle fest, dass die schroffe Ablehnung, die es früher gegeben hat, inzwischen eher sich so anhört nach dem Motto, na ja, steht jetzt nicht ganz im Vordergrund oder wäre ja vielleicht ganz denkenswert, aber es fehlen die Mehrheiten. Da gilt der alte Satz von Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Und das betrifft auch die Schulpolitik.
    Wir wollen Überzeugungsarbeit leisten, wir haben insgesamt Vorschläge vorgelegt, die SPD-Fraktion wird der Ministerin Wanka und dem Koalitionspartner vorschlagen, dass wir zum Thema nationale Bildungsallianz, zu den Maßnahmen – insgesamt 14, die wir vorgeschlagen haben – wir in der Koalition jetzt zügig eine Arbeitsgruppe einsetzen, die guckt, was geht. Dann geht es darum, zwischen Bund und Ländern die Gespräche zu führen, um zu Lösungen zu kommen. Unsere Hand ist ausgestreckt und wir erwarten da einfach auch Pragmatismus von unseren Partnern.
    "Wir müssen einige Länder und auf Bundesebene unseren Koalitionspartner überzeugen"
    Schulz: Die letzte Grundgesetzänderung hat der Bund den Ländern ja ein bisschen versüßt mit einer kleinen Geldspritze, und zwar indem der Bund seit diesem Jahr die BAföG-Kosten übernommen hat. Gibt es denn irgendwas Ähnliches, was Sie den Ländern jetzt anbieten können in Ihrer ausgestreckten Hand?
    Heil: Ja, in der ausgestreckten Hand steht die Möglichkeit, dass der Bund den Ländern mithilft, auch finanziell mithilft, über diesen Weg einer Kooperation die Aufgaben zu leisten, die notwendig sind, damit unser Bildungssystem da besser wird und auf gar keinen Fall schlechter wird. Man kann ja zum Beispiel überlegen, ob man wie bei der Wissenschaft auch – im Artikel 91b steht das – Zusammenarbeit dann macht, wenn alle sich einig sind, also wenn die Länder und der Bund sich einig sind, das heißt, kein Zwang, keine – wenn Sie so wollen – goldene Möhre, die man vor die Nase hängt, sondern wirklich ein partnerschaftliches Angebot.
    Übrigens, in Ihrer Frage steckt ja, ob die Länder alle dagegen sind. Ganz viele Länder sind dafür, dass wir das Kooperationsverbot ändern, zum Beispiel der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der das im Sommer sehr deutlich gemacht hat. Wir müssen einige Länder überzeugen, gerade auch im Süden der Republik, das ist gar keine Frage, und wir müssen wie gesagt auf Bundesebene unseren Koalitionspartner überzeugen. Wir meinen es sehr ernst, man muss sich die Situation angucken, um zu Verbesserung kommen zu können.
    Schulz: Sagt Hubertus Heil, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, zum Thema Kooperationsverbot. Ich danke Ihnen ganz herzlich!
    Heil: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.