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Kopernikus gesucht!

Astronomie. - Das Universum besteht nur zu ein paar Prozent aus der wahrnehmbaren Materie, den Rest macht die so genannte Dunkle Materie und Energie aus. Vor allem letztere treibt die Astronomen in die Verzweiflung, denn sie entzieht sich hartnäckig jeglicher Erfassung, macht aber nach der derzeitigen Vorstellung den Löwenanteil des Kosmos aus. Auf der Tagung "Cosmic Frontiers" im britischen Durham waren die Astronomen daher fast schon auf der Suche nach einem neuen Kopernikus, der ihr Weltbild auf neue Füße stellt.

Von Dirk Lorenzen |
    "We have a very, very successful model in describing the observations that we have made in the universe."

    Man habe ein äußerst erfolgreiches Modell, das die Beobachtungen des Universums beschreibt, erklärt Bob Nichol - doch der Kosmologe von der Universität Portsmouth räumt mit britischem Humor eine gewisse Schwäche des Modells ein:

    "Unfortunately most of us, well, I would even say, all of us don't understand one little thing about that model."

    Leider verstehe niemand einen kleinen Aspekt dieses Modells. Der "kleine Aspekt" ist die Dunkle Energie. Sie macht etwa 70 Prozent des Kosmos aus und treibt ihn immer schneller auseinander. Die Astronomen haben keine Ahnung, was physikalisch dahinter steckt - und können selbst kaum fassen, was ihnen die Natur da eingebrockt hat:

    "We are effectively making more and more precise observations of the universe but we are not learning anything more. We are just becoming more and more puzzled."

    Trotz immer präziserer Beobachtungen des Universum lerne man nichts dazu - nur die Verwirrung steige. Da gibt es ein gutes Modell, dass das, was im All zu sehen ist, wunderbar beschreibt - ebenso wie die kosmische Entwicklung. Aber aus diesem Modell und vielen Beobachtungen folgt, dass das Universum voller Dunkler Energie ist. Daran zweifelt kaum jemand mehr. Doch die Astronomen wissen nicht viel mehr über die Dunkle Energie, als dass sie da ist.

    "Jetzt fragen wir uns: Ändert sich die Dunkle Energie? Betrug sie immer 70 Prozent? Oder entwickelt sie sich im Laufe der Zeit? Klumpt sie zusammen oder ist sie gleichmäßig im All verteilt? Das kann man indirekt beobachten - aber leider werden wir die Antworten erst in gut zehn Jahren haben."

    Auch wenn die Dunkle Energie selbst nicht zu sehen ist: Ihr abstoßender Effekt auf sichtbare Objekte verrät sie dennoch. Doch solche Beobachtungen sind sehr aufwändig, denn die Dunkle Energie dominiert zwar den Kosmos als Ganzes, spielt aber zum Beispiel allein in unserer Milchstraße keine spürbare Rolle. Einen guten Ansatz bietet die Verteilung der Galaxien im Kosmos: Unmittelbar nach dem Urknall begann der Kosmos wie eine Glocke zu schwingen - und diese Schallwellen haben ihr Wellenmuster in der großräumigen Struktur hinterlassen, erklärt sich Bob Nichol:

    "Die aus der Frühzeit stammenden Schallwellen haben heute in unserer Umgebung eine Wellenlänge von 500 Millionen Lichtjahren. Es ist ziemlich verrückt, dass wir bei der Verteilung der Galaxien im Weltall auf eine 500 Millionen Lichtjahre lange Welle achten. Aber in den großen Himmelsdurchmusterungen sehen wir jetzt tatsächlich diese Welle. Als nächstes vermessen wir die Verteilung der Galaxien zu früheren Zeiten des Universums, um zu sehen, wie lang diese Welle damals war. War die Wellenlänge früher anders, war auch die Dunkle Energie anders."

    Die sichtbare Materie aus Galaxien und Gaswolken spinnt im Kosmos ein gigantisches Netz - in 500 Millionen Lichtjahren Abstand klumpt besonders viel Materie zusammen: ein Indiz für die Wellen aus der Frühzeit des Kosmos, die Rückschlüsse auf die Dunkle Energie erlauben. Doch Daten allein werden nicht reichen, um den Kosmos zu enträtseln, betont Bob Nichol:

    "Wir brauchen einen radikalen Wandel in unserem Verständnis des Universums. Irgend etwas stimmt da nicht. Vielleicht funktioniert die Schwerkraft doch ganz anders als es Einstein in seinen Theorien formuliert hat. Wir kennen die Schwerkraft hier im Sonnensystem und meinen, sie müsse im gesamten Weltall genauso sein. Das ist keineswegs sicher. Was führt all diese Beobachtungen auf natürliche Weise zusammen? Wir brauchen endlich jemanden mit einem radikal neuen Gedanken."

    So wähnen sich manche Kosmologen in einer Situation wie die Kollegen vor zwei Jahrtausenden. Auch damals gab es ein ausgeklügeltes mathematisches Modell, das den Lauf von Sonne und Planeten um die Erde bestens beschrieb. Mit der Natur hatte das bekanntlich nichts zu tun. Die Kosmologie braucht mal wieder einen Copernicus...