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Kopf hoch, Deutschland - Optimistische Geschichten aus einer verzagten Republik

Die Neuerscheinung, die wir Ihnen vorstellen möchten, liest sich ein wenig wie ein Gegenbuch zum gerade eben rezensierten Titel. Hajo Schumacher, früherer Leiter des Berliner SPIEGEL-Büros, hat es geschrieben, um den ewig missgestimmten Deutschen ein wenig Mut zu machen. Das ist auch dringend nötig: Nur 47 Prozent der Bundesbürger bekundeten in einer Eurostat-Umfrage der europäischen Kommission, es ginge ihnen gut oder sehr gut. Damit liegt Deutschland auf dem letzten Platz von 12 untersuchten Ländern. Dem setzt Schumacher nun ein ebenso entschlossenes wie trotziges "Kopf hoch, Deutschland", so der Titel seines Buches, entgegen.

Von Jens Tönnesmann |
    In Deutschland wird gekrittelt, geklagt, gestöhnt und geschimpft was das Zeug hält. Als ein tiefes Jammertal erscheint das Land Hajo Schumacher, dem früheren Leiter des Berliner SPIEGEL-Büros. Ein Land, in dem Politiker die Rolle von Berufsapokalyptikern übernehmen und sich das Meckern zum Trend- und Volkssport entwickelt hat.

    "Es hat sich so eine gewisse Angststarre entwickelt. Wir kriegen ja nun wirklich tagtäglich erzählt, was nicht so funktioniert. Wenn man allein die Talkshowtitel im deutschen Fernsehen nimmt oder Zeitungsschlagzeilen, dann muss man ja das Gefühl haben, Deutschland steht vor dem totalen Exitus."

    "Mit jener Akribie, die man früher auf die Konstruktion zuverlässiger Automobile verwandte, hat sich das Deutschland des dritten Jahrtausends in einen nationalen Wettbewerb des Meckerns und Mäkelns, des Jammerns und Jaulens, des Schuldigsprechens und Opferseins gestürzt. (…) Egal, ob in der Kantine, am Abendbrottisch oder bei einem Rooibos-Tee im Feng-Shui-Loft, ob morgens am Zeitungskiosk oder beim Bäcker (…): Alles ist am Ende, alle sind schuld: die Lehrer, der Finanzminister, die Ausländer, die Manager, der Euro, die Globalisierung, der Führer und natürlich die Politik: Schröder. Stoiber. Eichel. Merkel. Westerwelle. Fischer. Gysi."

    Deutschland lässt den Kopf hängen – so beschreibt Schumacher den Zustand der Republik in seinem kürzlich erschienenen Buch, das er nach seinem Therapievorschlag benannt hat: "Kopf hoch, Deutschland". Er diagnostiziert ein "seelisches Problem", ein "ernstes Krankheitsbild". Die pausenlose Standortkritik sei, glaubt Schumacher, schon längst Teil des Problems geworden. Erst hätten sich die Deutschen schlecht geredet; und jetzt glauben sie es auch noch selbst.

    "Brüssel – Den Deutschen geht es dem eigenen Bekunden nach verhältnismäßig schlecht. Das hat eine Eurostat-Umfrage der Europäischen Kommission ergeben. Darin gaben nur 47 Prozent der Bundesbürger an, es gehe ihnen ‚gut’ oder ‚sehr gut’. Damit liegt Deutschland auf dem letzten Platz der zwölf untersuchten Länder. Gleichzeitig schätzen 20 Prozent der Deutschen ihren Gesundheitszustand als ‚schlecht’ oder ‚sehr schlecht’ ein – so viele sind es sonst nur in Portugal. "

    Die permanente Abwärtsbewegung, glaubt Schumacher, könnte im deutschen Bewusstsein längst fest verankert sein. Als eine "Self-Fullfilling-Prophecy", eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Im Moment reden die "Mecker-Mullahs", die "Merzens, Sinns und Lafontaines" das Land so schlecht, wie es dadurch zu werden droht. Die Folge: Depression, Angst, Opferkult – in demographisch und sogar ökonomisch relevanten Dimensionen. Das Land meckert und fürchtet sich zu Grunde.

    "Der alte Luther-Spruch "Aus einem verzagten Hintern klingt kein fröhlicher Furz", der ist auch von der Wissenschaft untermauert worden. Es gibt das so genannte Rosenthal-Experiment, da hat ein junger Harvard-Professor festgestellt, dass, wenn die Stimmung etwas besser ist, dass auch die Leistungen besser werden. Das heißt, man kann sich also durchaus kollektiv als Staat oder als Gesellschaft in eine schlechte Laune hineinschrauben wie auf einer Wendeltreppe, und hinterher glauben es tatsächlich alle. Genauso kann man sich da aber auch heraus schrauben aus der schlechten Stimmung. "

    Und deswegen beginnt Schumacher nach gut 60 Seiten Diagnose seine Kopf-hoch-Therapie. Motto: "Wagen und machen" statt "jammern und nörgeln". Das Gegenexperiment sozusagen – mit dem Leser als erster Versuchsperson. Vom Wetter einmal abgesehen, sei Deutschland eigentlich fast ein Paradies.

    Dialog
    Zitator: Der Osten?
    Zitatorin: Sauberer, reicher und modellhafter als viele andere ehemalige Ostblockstaaten.
    Zitator: Die Wiedervereinigung?
    Zitatorin: Historisch und auf lange Sicht gesehen eine große Erfolgsstory.
    Zitator: Die Forschung?
    Zitatorin: Mit Windkraft und Solarenergie ganz vorn.
    Zitator: Die Unternehmen?
    Zitatorin: Schreiben prächtig Gewinne.
    Zitator: Die Arbeitnehmer?
    Zitatorin: Einigen sich mit den Arbeitgebern auf längere Arbeitszeiten, um Jobs zu retten.
    Zitator: Das Sozialsystem?
    Zitatorin: Ist auch nicht schlechter als im oft so hoch gelobten Skandinavien.

    Und an der Spitze steht ein strammer Regierungschef, der wacker die Attacken aus dem Mecker-Arsenal erträgt und bei Irakkrieg und Agenda 2010 auf seiner Linie bleibt. Sogar die Schweiz schneidet in Schumachers Bilanz des Standorts Deutschland schlechter ab – weil sie bei den Vorbereitungen zur Fußball-Europameisterschaft 2008 hinterher hinkt. Mancher Schwarzseher wäre instinktiv versucht, die deutsche Toll-Collect-Panne dagegen zu halten – doch von nun ist Schumachers Buch ein Buch der guten Nachrichten. Kapitelweise dosierte Erfolgsgeschichten über Menschen, die nicht schlechtreden, sondern Gutes tun.

    "Dickköpfe, die dem Mainstream, den Fundamentalisten, den Behörden, dem Gequatsche und Gejaule trotzen. (…) Sie machen Reformen, Experimente, Weltklasse im Kleinen wie im Großen, sie sind immun gegen das Meckern und Mäkeln, sie verbessern, beschleunigen und optimieren, aus Spaß daran. (…) Sie beweisen, dass in Deutschland unendlich viel möglich ist, hier und jetzt. (…) Sie sind die wahren Reformer, wirkliche Motoren, echte Vorbilder und Eliten einer verzagten Republik. "

    Und sie sind die Motivationsspritzen in Schumachers Therapie. Der Pfarrer, der eine virtuelle Gemeinde aufbaut; der Käsehersteller, der die Molkerei rettet; die Eltern, die eine Kindertagesstätte unbürokratisch aus dem Boden stampfen. Eine willkürliche Auswahl positiver Beispiele? Nein. Die Auswahl ist auf ihre Weise umfassend – denn mit den Erfolgsbeispielen will Schumacher vor allem eines klar machen:

    "Die sind alle ganz normalen Menschen. Das sind keine Wunderheiler oder Wundertäter oder überaus intelligente Menschen, die alle einen Nobelpreis gewinnen würden. Was die auszeichnet, ist so ein Grundoptimismus: Die haben Vertrauen in die Lösbarkeit von Problemen. Mir war es wichtig zu zeigen: Es gibt Menschen wie du und ich, die können heute irgendwo anfangen etwas zu machen, und wenn sie das einigermaßen schlau anfangen, dann funktioniert das auch. "

    Es sind Menschen, die zwar Besonderes leisten, aber niemand Besonderes sind. Und sie brauchen weder viel Geld dafür noch Geheimrezepte. Die Botschaft: Etwas auf die Beine stellen kann jeder, wenn er nur dran glaubt.

    "Ich hatte eigentlich nie Ahnung von den Aufgabengebieten. Das habe ich mir dann einfach so angeeignet. "

    Sagt zum Beispiel Jürgen Spahl, der als Bürgermeister den kleinen Ort Rednitzhembach entschuldet hat. Ohne "Geheimwissenschaft" zu betreiben, habe sich Spahl "erschreckend unspektakulär" an die Arbeit gemacht. Personalumbau, Kostenkontrolle, direkte Kommunikation mit dem Bürger. Das "Wunder von Mittelfranken" hat der Bürgermeister, ein Mensch wie Du und ich, also vollbracht, wie Du und ich es auch machen könnten. Im Prinzip schlummert also in allen Bürgermeistern in Deutschland ein Jürgen Spahl, sie müssten nur aufwachen. Ebenso wie in allen Lehrern vielleicht eine Birka Schmidtke schlummert.

    "Diese Lehrerin (…) hat irgendwann gesagt: Also, wir können ja hier nicht einfach wie viele andere Schulen auch sehen, dass wir die Schüler hier möglichst unproblematisch durchschleusen. Ich möchte den allen die Zusage machen, jedem einzelnen Schüler, dass er nach der zehnten Klasse auf das Gymnasium geht oder eine Lehrstelle hat. Das ist praktisch ihr Versprechen an die Schüler. "

    Ohne zusätzliches Geld, ohne herausragendes Eltern-Engagement hat die Rektorin so aus ihrer Realschule in einem hässlichen Berliner Gebäude eine Leistungsschule gemacht und inzwischen tatsächlich 98 Prozent ihrer Schüler vermitteln können. Was aber können, was sollen wir von den Spahls und Schmidtkes lernen? Sie alle geben nicht auf, haben klare Ziele vor Augen, und sie arbeiten beharrlich daran. In kleinen Schritten realisieren sie große Dinge. Sie schauen dabei der Realität ins Auge. Sie sind genügsam. Sie vertrauen auf traditionelle Tugenden.

    "Ich muss gestehen, das war mir selber sogar ein bisschen unangenehm. Ich bin nun selbst ein Kind des rot-grünen Zeitalters, und das größte Schreckgespenst, das es für uns immer gab, war: der Spießer. Das war immer so das Cord-Hütchen und die umstrickte Klorolle auf der Ablage hinten vom Opel Rekord. Also, Spießer sein, das war die Todsünde schlechthin. Ich habe bei meinen Recherchen festgestellt, (…), dass alle Menschen, mit denen ich zu tun hatte, die ihre kleinen und großen Erfolgsgeschichten da hinlegten (…), die waren alle sehr korrekt, die Bürgermeister, mit denen ich mich getroffen haben, das waren keine Hallodris, die haben keine übertrieben großen Autos gefahren, die hatten kleine Zimmerchen, die waren Familienväter, die auch zum Teil sehr viel mehr gearbeitet haben, als sie gemusst hätten. Die klassisch deutschen Sekundärtugenden: Fleiß, Disziplin, Korrektheit, Ordnung, die waren da gegeben. Das ist sicher nicht das Geheimnis des Erfolges, aber es ist sicher eine wichtige Voraussetzung. "

    Natürlich erscheint so manche Erfolgsgeschichte Schumachers rosig verfärbt. Und seine Kritik an den "Mecker-Mullahs" der Politik auf der einen und an den Kiffern, Alternativen und tätowierten Anti-Spießern auf der anderen Seite klingt manchmal wie eine Abrechnung, die ihm schon lange unter den Nägeln brannte. Aber es wurde höchste Zeit für dieses Buch – die Erfolgsgeschichten tun gut in einer Zeit, in der sonst nur von Arbeitslosigkeit, Armut und Verschuldung zu lesen ist. Und es macht Spaß, sie zu lesen. Bleibt zu hoffen, dass die optimistischen Geschichten auch die Leser hierzulande aufrütteln, zu "wagen und zu machen". Das Auswärtige Amt, dem an einem positiven Image Deutschlands im Ausland gelegen ist, hat laut Schumacher jedenfalls schon 250 Exemplare bestellt, um sie an die Vertretungen in aller Welt zu verteilen.

    Jens Tönnesmann über Hajo Schumacher: Kopf hoch, Deutschland. Optimistische Geschichten aus einer verzagten Republik. Karl Blessing Verlag München, 220 Seiten Optimismus für 16 Euro.