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Kopf statt Bauch

In dem Architekt den Künstler Le Corbusier spiegelt sich das 20. Jahrhundert mit seinen Widersprüchen. Unerschöpflichkeit der Ideen, Unerbittlichkeit der Beglückungskonsequenz - der Mann hat sich nicht nur Freunde gemacht. In seiner Heimat, der französischen Schweiz, gibt es jetzt eine große Ausstellung über Le Corbusier.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 26.03.2006
    Spätestens nachdem die Sache mit dem Völkerbundpalast passiert war, konnte man das Verhältnis zwischen dem Architekten Le Corbusier und der Stadt Genf nur als prekär bezeichnen. 1927 hatte er sich am Wettbewerb für den Bau dieses Prestigeobjekts beteiligt und unter fast 400 Konkurrenten den ersten Preis bekommen. Doch dann scheiterte die schon in Greifnähe gerückte Umsetzung seiner Vision daran, dass er nicht die geforderten Tuschezeichnungen eingereicht hatte.

    Le Corbusier war zu der Zeit schon ein berühmter Mann. Er hatte seine Schweizer Heimat längst verlassen und ein Architekturbüro in Paris gegründet. Er hatte revolutionäre Bauprinzipien entwickelt und sich als Stadtplaner bekannt gemacht. Doch Genf, die größte Stadt der französischen Schweiz, der Ort, an dem der im benachbarten Jura Geborene natürlich zuerst und vor allem reüssieren wollte, wurde zu einer wunden Stelle in seiner Karriere. Hier klappte gar nichts - weder vor noch nach dem Völkerbundsdebakel. Tatsächlich wurde in der Rhônestadt nur ein einziges Gebäude von Le Corbusier realisiert: ein Mietshaus mit dem Namen "Klarheit" (La Clarté), das unlängst zwangsversteigert werden musste, weil es so baufällig geworden war, dass die Eigentümer die Sanierungskosten nicht mehr tragen konnten.

    Vor diesem Hintergrund sieht die große Ausstellung, die jetzt im Genfer Musée Rath Le Corbusier gewidmet ist, gleich ein bisschen anders aus. Sie ist schon fast so etwas wie eine Wiedergutmachung, die Heimholung eines verlorenen Sohnes. Sie ist auf alle Fälle eine der größten Le Corbusier-Retrospektiven überhaupt, und das liegt nicht zuletzt am Sammelfleiß von zwei Amateuren. Jean-Pierre und Naïma Jornod, er wohlhabend genug, um keinen Beruf auszuüben, sie Herzchirurgin, haben im Laufe vieler Jahre das gesamte malerische Werk Le Corbusiers katalogisiert. Es umfasst 457 Bilder, denn der Mann lebte, wie er baute: radikal durchorganisiert. Vormittags führte er vier Stunden lang den Pinsel, nachmittags ging er ins Büro und arbeitete als Architekt, und abends verfasste er theoretische Schriften.

    Von der bildnerischen Seite hat die Öffentlichkeit bis jetzt wenig erfahren. Le Corbusier, dem sie sehr wichtig war, genierte sich wohl lange Zeit, damit zu renommieren, nachdem er früh ein paar hämische Kritiken einstecken musste. Erst 1938, da war er schon 51, stellte das Kunsthaus Zürich seine Bilder aus, von denen sich die meisten bis heute in Privatbesitz befinden. Die jetzt in Genf gezeigten stammen hauptsächlich aus französischen und Schweizer Sammlungen, auf Leihgaben aus Übersee mussten die Kuratoren aus Kostengründen verzichten; dabei hortet ein schwerreicher Japaner namens Minoru Mori bedeutende Stücke, denn er kauft seit einiger Zeit alles von Le Corbusier, was auf den Markt kommt.

    Gleichwohl ist die Ausstellung im Musée Rath mit 134 Bildern sowie etlichen Skulpturen, Zeichnungen, Collagen, Textil- und Metallarbeiten materialhaltig genug, um die im Untertitel aufgestellte Behauptung von einer "Synthese der Künste" - nein: nicht zu belegen, sondern (obwohl das sicher keineswegs beabsichtigt war) zu widerlegen. Deutlicher gesagt: Le Corbusiers Gemälde sind durch und durch epigonal, etüdenhaft und höchstens von biografischem Interesse. Der Architekt war eben kein Universalgenie vom Schlage Michelangelos, das sich gleich stark in verschiedenen Künsten ausdrücken konnte.

    Beginnend mit dem Bild "La Cheminée" von 1918, das er noch mit seinem bürgerlichen Namen Charles-Edouard Jeanneret signierte, bis hin zu den fast wie unfreiwillige Parodien auf das jeweils zeitgenössische Kunstschaffen anmutenden späteren Hervorbringungen spürt man in dieser strikt chronologisch aufgebauten Ausstellung, dass hier einer malt, um auf fremde Vorgaben zu antworten und sich an ihnen mit einer seltsamen Mischung aus Besessenheit und Leichtigkeit abzuarbeiten. Cézanne, Léger, Magritte, Picasso scheinen überall durch, und schon Le Corbusiers erste Schritte auf diesem Gebiet begannen mit einem etwas großmäuligen Manifest, in dem er den Kubismus für überwunden erklärte.

    Wenn irgend etwas in diesen Bildern auf seine architektonische Berufung hinweist, dann ist es die offensichtliche Liebe zu Formdetails von Gegenständen. Man muss aber einen wohlmeinenden Synthese-Blick aufsetzen, um dieses von den Ausstellungsmachern gewollte "Alles ist in allem" zu erkennen. Ein bisschen davon blitzt allerdings noch an der Kasse auf, wenn man den Katalog erwirbt und mit ein paar Zehn-Frankenscheine zahlt: da ist er nämlich drauf - der berühmte Schweizer mit der schwarzen Hornbrille.