So fing das Kopfballspiel im Museum für Kommunikation an. Ugo Riccarelli las aus seinem Erzählband Fausto Coppis Engel die Geschichte von Pier Paolo Pasolini, der mit zehn abgerissenen Jungs den FC Chaos von Monteverde gründet. Und erwartungsgemäß tauchte sofort die erste, ach so fragliche Analogie von Kunst und Kicken auf.
"Wisst ihr, sagte er zu den schweißgebadeten Jungen, Fußballspielen ist wie Malen und wie Gedichte verfassen oder eine Geschichte schreiben. Deshalb macht man es mit Leidenschaft. "
Leidenschaft also soll es sein, die Literatur und Ballspiel verklammert. Aber wird im Zweifel nicht alles Menschliche vom Kitt der Leidenschaft zusammengehalten? Auf dem "Gipfel der Welt-Literaturen", wie der abwesende André Heller das Treffen betitelt hatte, wurde viel über das Verbindende zwischen dem Rasen- und dem Buchstabenspiel reflektiert – und es war Péter Esterházy, der die Autorenperspektive am klarsten fasste.
"Das Pendant von Spiel ist das Schreiben. Wenn wir hier sind, das ist nichts. Ich meine, das machen wir in unserer so genannten Freizeit oder aus Müdigkeit oder aus Faulheit. Wenn wir spielen, müssen wir im Zimmer sitzen und arbeiten. Das ist das Spiel. "
Wenn das Spiel das Schreiben ist, dann ist die gelungene Passage die Strafraumszene und der große Satz das Tor – so wie es Pasolini im Elfmeterschießen gelingen sollte, das Ugo Riccarelli kongenial beschrieb.
"An diesem Abend, auf dem Spielfeld von Itoscalo, war Pasolini der FC Chaos, er war zehn Jungen, mit einem Traum, der seinen Füßen anvertraut war, diesem einzigen Schuss, der treffen musste. Zehn Jungen in sich, in seiner Brust, und vor sich die blauen Auge Rizettos, in die er sich auf den ersten Blick verliebt hatte. "
Der Fußball als Jungbrunnen alternder Jungs, das war ein Leitmotiv der Versammlung. Burkhard Spinnen, der in dem Essayband "Bewegliche Feiertage" die mediale Übertragung der Fußballfaszination untersucht hat, kennt heute kaum noch die Spielernamen seines Lieblingsvereins Borussia Mönchengladbach.
"Aber ich sitze Samstag nachmittags vor dem Radio, hör die Übertragung und höre, wie in den Jubel hinein ein Tor gemeldet wird, ich höre, wie in den Jubel hinein der Torschütze gemeldet wird, ich erkenne den Namen nicht wieder und bete, es ist ein Tor für uns. Und es ist alles wie früher, und da frage ich mich, voran hänge ich denn da? Was ist das? "
Xavier Marias, spanischer Bestseller-Autor, Real Madrid-Fan und Kolumnist der Tageszeitung El Pais, nannte den Fußball die "wahre Rückgewinnung der Kindheit", und zwar "Woche für Woche".
Marias las aus der Essaysammlung Alle unsere früheren Schlachten – worin auch erzählt wird, wie der Dichter zum Hellseher wurde, als er Real Madrids Champions-League-Triumph voraussagte.
"Wenn Sie das hier lesen, sind es nur noch drei Tage, bis mein Verein zum siebten Mal den Europapokal gewinnt. Und das sechste Mal ist zweiunddreißig Jahre her. Glauben Sie nicht, ich hätte bei dieser Behauptung kein Herzklopfen. Schlimmer noch, die Schreibmaschine ist mir vom Tisch gefallen, ich habe sieben Mal auf Holz geklopft, sieben Mal die Daumen gedrückt und sieben Stoßgebete an den Heiligen Di Stefano gesandt. "
Die Bundesliga hat in Europa den besten Stadionbesuch, aber für die Kopfballspieler fand sich erstaunlich wenig Publikum, obwohl die Unterhaltungen keinen akademischen Schwierigkeitsgrad hatte – im Gegenteil. Sieht man von den klugen Einwürfen Calixthe Beyalas ab, die in Frankreich und Afrika ein Literaturstar ist, wechselten sich Männerrunden ab, die – Fußballmetaphern sind unwiderstehlich – den Ball eher flach hielten.
Den Höhepunkt im Vorleseteil markierte Per Olov Enquist, einst selbst – wie Camus und Nabokov – Torhüter und außerdem Hochspringer und Sport-Berichterstatter. Er war dabei, als Diego Maradona 1986 im Aztekenstadion von Mexiko City per Gotteshand und mit einem unerklärlichen Solo England besiegte, nachdem England auf den Falklands Argentinien besiegt hatte. Der Machismo, rächte sich laut Enquist dort, wo man "die kleinen Jungs der Kastriererin Thatcher am liebsten erniedrigen wollte – beim Fußball."
"Und ich kann mir die Hunderte oder Hunderttausende von kleinen argentinischen Kneipen vorstellen, mit dem Fernsehapparat hoch oben in der Ecke, und Millionen von Argentiniern, die brüllten: Mit der Hand, hast du das gesehen? Er hat ihn mit der Hand rein gehauen, er hat sie rein gelegt. Die schwulen Teufel sind rein gelegt worden. Der Maradona! Und Shilton, die feige englische Krähe hat sich reinlegen lassen. Der Idiot! "
Dann kam die letzte Runde, gern auch Endspiel genannt – und das Volk strömte und strömte. Lag es an Fußballweltmeisterin Nia Künzer, die 2003 das Golden Goal gegen Schweden geköpft hatte? Lag es an Ralf Rangnick, dem Fußballprofessor? Ausweislich der Autogramm-Jagd war es Bestseller-Autor Henning Mankell, der die Massen ansaugte. Mankell traut dem Fußball beinahe alles zu, seit er in Mocambique nach dem Bürgerkrieg ein Spiel gesehen hat, bei dem ausschließlich Mörder mitspielten.
"Ich glaube wirklich, dass dieses Spiel mein Leben verändert hat. Denn ich sah, dass diese jungen Leute, die wirklich sehr bösartige Dinge getan hatten, sich in einem neuen Licht betrachteten. Sie wusste, dass es brutale Gegensätze zwischen ihnen gab. Aber sie begannen damit, das Austragen dieser Gegensätze wie ein Spiel zu begreifen. Es war ein Wunder für mich. "
In der nun rappelvollen Arena klappten dieselben Scherze, die vorher Rohrkrepierer waren – so Franzobels Idee, eine Mannschaft wie eine Kohorte zu formieren und den Ball militärisch abgeschirmt ins Tor zu tragen.
"Ich hab das dann weiter gedacht, was ist, wenn ein extrem dicker Mensch Fußball spielt, der so dick ist, dass man nicht mehr an den Ball rankommt. "
Überhaupt forderten die Literaten nun Humor im Fußball und Xavier Marias sogar weniger rote Karten. Aber da bekam es Marias mit Bernd Heynemann zu tun, dem Ex-Fifa-Schiedsrichter und CDU-Bundestagsabgeordneten.
"Was Sie meinen, Herr Maria, ist vielleicht der moralische Anspruch, dass man sagt, wenn jemand brutal ne Blutgrätsche macht, dann sollte er die Rote Karte kriegen. Aber wenn jemand auf der Torlinie mit der Hand ein Tor verhindert, dann ist a holt net so schlimm, also sollte er drauf bleiben. Nein, es gibt bestimmte Regeln, die muss man einhalten. Und da ist es wie im Highländer, es kann nur einen geben, entweder es geht Schiedsrichter, oder es geht der Spieler. "
Ist Fußball eine Lust für die Literatur? Ja, aber nicht nur. Franzobel gestand, dass die Begeisterung von einem Hauch Verzweiflung umweht sei.
"Wir Literaten haben am allerwenigsten eigentlich mit dem Fußball zu tun. Aber jetzt ist dieser Fußball einfach so groß, und medial so dominant. jetzt ist es für uns natürlich eine Chance, über den Fußball da in den Medien herumzukrabbeln, um das dann irgendwann wie Termiten auszuhöhlen, dieses große Fußballsystem, weil uns keine andere Möglichkeit mehr bleibt. "
"Wisst ihr, sagte er zu den schweißgebadeten Jungen, Fußballspielen ist wie Malen und wie Gedichte verfassen oder eine Geschichte schreiben. Deshalb macht man es mit Leidenschaft. "
Leidenschaft also soll es sein, die Literatur und Ballspiel verklammert. Aber wird im Zweifel nicht alles Menschliche vom Kitt der Leidenschaft zusammengehalten? Auf dem "Gipfel der Welt-Literaturen", wie der abwesende André Heller das Treffen betitelt hatte, wurde viel über das Verbindende zwischen dem Rasen- und dem Buchstabenspiel reflektiert – und es war Péter Esterházy, der die Autorenperspektive am klarsten fasste.
"Das Pendant von Spiel ist das Schreiben. Wenn wir hier sind, das ist nichts. Ich meine, das machen wir in unserer so genannten Freizeit oder aus Müdigkeit oder aus Faulheit. Wenn wir spielen, müssen wir im Zimmer sitzen und arbeiten. Das ist das Spiel. "
Wenn das Spiel das Schreiben ist, dann ist die gelungene Passage die Strafraumszene und der große Satz das Tor – so wie es Pasolini im Elfmeterschießen gelingen sollte, das Ugo Riccarelli kongenial beschrieb.
"An diesem Abend, auf dem Spielfeld von Itoscalo, war Pasolini der FC Chaos, er war zehn Jungen, mit einem Traum, der seinen Füßen anvertraut war, diesem einzigen Schuss, der treffen musste. Zehn Jungen in sich, in seiner Brust, und vor sich die blauen Auge Rizettos, in die er sich auf den ersten Blick verliebt hatte. "
Der Fußball als Jungbrunnen alternder Jungs, das war ein Leitmotiv der Versammlung. Burkhard Spinnen, der in dem Essayband "Bewegliche Feiertage" die mediale Übertragung der Fußballfaszination untersucht hat, kennt heute kaum noch die Spielernamen seines Lieblingsvereins Borussia Mönchengladbach.
"Aber ich sitze Samstag nachmittags vor dem Radio, hör die Übertragung und höre, wie in den Jubel hinein ein Tor gemeldet wird, ich höre, wie in den Jubel hinein der Torschütze gemeldet wird, ich erkenne den Namen nicht wieder und bete, es ist ein Tor für uns. Und es ist alles wie früher, und da frage ich mich, voran hänge ich denn da? Was ist das? "
Xavier Marias, spanischer Bestseller-Autor, Real Madrid-Fan und Kolumnist der Tageszeitung El Pais, nannte den Fußball die "wahre Rückgewinnung der Kindheit", und zwar "Woche für Woche".
Marias las aus der Essaysammlung Alle unsere früheren Schlachten – worin auch erzählt wird, wie der Dichter zum Hellseher wurde, als er Real Madrids Champions-League-Triumph voraussagte.
"Wenn Sie das hier lesen, sind es nur noch drei Tage, bis mein Verein zum siebten Mal den Europapokal gewinnt. Und das sechste Mal ist zweiunddreißig Jahre her. Glauben Sie nicht, ich hätte bei dieser Behauptung kein Herzklopfen. Schlimmer noch, die Schreibmaschine ist mir vom Tisch gefallen, ich habe sieben Mal auf Holz geklopft, sieben Mal die Daumen gedrückt und sieben Stoßgebete an den Heiligen Di Stefano gesandt. "
Die Bundesliga hat in Europa den besten Stadionbesuch, aber für die Kopfballspieler fand sich erstaunlich wenig Publikum, obwohl die Unterhaltungen keinen akademischen Schwierigkeitsgrad hatte – im Gegenteil. Sieht man von den klugen Einwürfen Calixthe Beyalas ab, die in Frankreich und Afrika ein Literaturstar ist, wechselten sich Männerrunden ab, die – Fußballmetaphern sind unwiderstehlich – den Ball eher flach hielten.
Den Höhepunkt im Vorleseteil markierte Per Olov Enquist, einst selbst – wie Camus und Nabokov – Torhüter und außerdem Hochspringer und Sport-Berichterstatter. Er war dabei, als Diego Maradona 1986 im Aztekenstadion von Mexiko City per Gotteshand und mit einem unerklärlichen Solo England besiegte, nachdem England auf den Falklands Argentinien besiegt hatte. Der Machismo, rächte sich laut Enquist dort, wo man "die kleinen Jungs der Kastriererin Thatcher am liebsten erniedrigen wollte – beim Fußball."
"Und ich kann mir die Hunderte oder Hunderttausende von kleinen argentinischen Kneipen vorstellen, mit dem Fernsehapparat hoch oben in der Ecke, und Millionen von Argentiniern, die brüllten: Mit der Hand, hast du das gesehen? Er hat ihn mit der Hand rein gehauen, er hat sie rein gelegt. Die schwulen Teufel sind rein gelegt worden. Der Maradona! Und Shilton, die feige englische Krähe hat sich reinlegen lassen. Der Idiot! "
Dann kam die letzte Runde, gern auch Endspiel genannt – und das Volk strömte und strömte. Lag es an Fußballweltmeisterin Nia Künzer, die 2003 das Golden Goal gegen Schweden geköpft hatte? Lag es an Ralf Rangnick, dem Fußballprofessor? Ausweislich der Autogramm-Jagd war es Bestseller-Autor Henning Mankell, der die Massen ansaugte. Mankell traut dem Fußball beinahe alles zu, seit er in Mocambique nach dem Bürgerkrieg ein Spiel gesehen hat, bei dem ausschließlich Mörder mitspielten.
"Ich glaube wirklich, dass dieses Spiel mein Leben verändert hat. Denn ich sah, dass diese jungen Leute, die wirklich sehr bösartige Dinge getan hatten, sich in einem neuen Licht betrachteten. Sie wusste, dass es brutale Gegensätze zwischen ihnen gab. Aber sie begannen damit, das Austragen dieser Gegensätze wie ein Spiel zu begreifen. Es war ein Wunder für mich. "
In der nun rappelvollen Arena klappten dieselben Scherze, die vorher Rohrkrepierer waren – so Franzobels Idee, eine Mannschaft wie eine Kohorte zu formieren und den Ball militärisch abgeschirmt ins Tor zu tragen.
"Ich hab das dann weiter gedacht, was ist, wenn ein extrem dicker Mensch Fußball spielt, der so dick ist, dass man nicht mehr an den Ball rankommt. "
Überhaupt forderten die Literaten nun Humor im Fußball und Xavier Marias sogar weniger rote Karten. Aber da bekam es Marias mit Bernd Heynemann zu tun, dem Ex-Fifa-Schiedsrichter und CDU-Bundestagsabgeordneten.
"Was Sie meinen, Herr Maria, ist vielleicht der moralische Anspruch, dass man sagt, wenn jemand brutal ne Blutgrätsche macht, dann sollte er die Rote Karte kriegen. Aber wenn jemand auf der Torlinie mit der Hand ein Tor verhindert, dann ist a holt net so schlimm, also sollte er drauf bleiben. Nein, es gibt bestimmte Regeln, die muss man einhalten. Und da ist es wie im Highländer, es kann nur einen geben, entweder es geht Schiedsrichter, oder es geht der Spieler. "
Ist Fußball eine Lust für die Literatur? Ja, aber nicht nur. Franzobel gestand, dass die Begeisterung von einem Hauch Verzweiflung umweht sei.
"Wir Literaten haben am allerwenigsten eigentlich mit dem Fußball zu tun. Aber jetzt ist dieser Fußball einfach so groß, und medial so dominant. jetzt ist es für uns natürlich eine Chance, über den Fußball da in den Medien herumzukrabbeln, um das dann irgendwann wie Termiten auszuhöhlen, dieses große Fußballsystem, weil uns keine andere Möglichkeit mehr bleibt. "