Archiv


Kopftuchverbot in der Türkei kann bleiben

Staatsgründer Atatürk wollte eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Noch heute dürfen Studentinnen in der Türkei deshalb an den Hochschulen kein Kopftuch tragen. Dagegen hatte eine Betroffene beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Doch die Richter in Straßburg wiesen die Klage ab. Das Kopftuchverbot verstoße nicht gegen das Grundrecht auf Bildung und Religionsfreiheit. Reaktionen aus Istanbul.

Von Susanne Güsten |
    Die Bosporus-Universität in Istanbul, die beste Hochschule der Türkei. Auf dem zentralen Platz des altehrwürdigen Campus tummelt sich zwischen den Vorlesungen die Creme de la Creme der türkischen Studenten. Wer es durch die harten Auswahlprüfungen an die Bosporus-Universität geschafft hat, der zählt zur landesweiten Spitze der Studierenden. Und noch etwas zeichnet diese Hochschule aus: Ihr liberaler Umgang mit dem Kopftuchverbot. Anders als etwa an der Uni Istanbul, wo Frauen im Kopftuch schon an der Pforte abgewiesen und notfalls mit Wasserwerfern verjagt werden, spazieren hier etliche Studentinnen im Kopftuch über den Campus. Dass das Europäische Menschenrechtsgericht das Kopftuchverbot an türkischen Hochschulen bestätigt hat, trifft die in Mantel und Kopftuch gekleidete Literatur-Studentin Zeynep tief:

    " Wir finden das natürlich ungerecht. Wir sind Studenten, und wir wollen das Recht auf Bildung, und zwar in Freiheit. Alle unsere Kommilitoninnen können anziehen, was sie wollen. Diese Freiheit wollen wir auch."

    Mit ihrem Kopftuch ist Zeynep an der Bosporus-Uni zwar in der Minderheit, mit ihrer Ansicht zum Straßburger Urteil aber nicht. Eine Gruppe von Anglistik-Studentinnen mit Jeans und offenen Haaren ist jedenfalls ganz ihrer Meinung, etwa die 20jährige Hilel:

    " Meiner Ansicht ist das eine undemokratische Entscheidung. Jeder sollte doch so an die Universität kommen können wie er will, schließlich ist dies ein freier Ort. Die Menschen kommen doch wegen ihres Gehirns hierher, nicht wegen ihrer Kleidung."

    Ihre Kommilitonin Aysegül sieht das auch so:

    " Meiner Ansicht ist das ein großes Unrecht gegen unsere Kopftuch tragenden Kommilitoninnen. Sie sollten dieselbe Freiheit haben wie wir, das anzuziehen, was sie wollen."

    Auch unter den männlichen Studenten findet das Urteil aus Straßburg keinen Beifall. Der Betriebswirtschaftsstudent Bekir:

    " Mit welchem Recht man verbieten kann, dass eine Frau aus religiöser Überzeugung das Kopftuch trägt, das kann ich nicht verstehen. Sicher gibt es in der Türkei Gruppierungen, die das Kopftuch politisch benutzen, aber das sind doch höchstens zehn Prozent. Wegen dieser Minderheit die übrigen 90 Prozent von der Universität auszusperren, das kann doch nicht rechtens sein."

    Mit diesem Meinungsbild finden sich die Elite-Studenten der Türkei an der Seite der Regierung wieder. Die lehnt das Kopftuchverbot ebenfalls ab, scheiterte mit allen Versuchen zur Aufhebung bisher aber am Militär und der Justiz in der Türkei - und jetzt auch am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Verbote seien nie gut, kritisierte Außenminister Abdullah Gül das Urteil aus Straßburg. Begrüßt wurde die Entscheidung dagegen von der türkischen Rektorenkonferenz. Damit sei die Debatte ein für allemal beendet, erklärte ihr Vorsitzender Tezic. Die Mathematikstudentin Elif sieht das anders:

    " Die Angelegenheit ist noch längst nicht erledigt, das Kapitel Kopftuchverbot wird immer wieder für abgeschlossen erklärt und immer wieder aufgeschlagen. Wir sollten nicht zu wichtig nehmen, was Straßburg sagt, schließlich sind wir ein unabhängiger Staat. Die Türkei muss ihre Entscheidungen selbst fällen und auch entscheiden, ob sie dieses Urteil akzeptiert."

    Von Europa und dem Menschenrechtsgericht hatten sich die Gegner des Kopftuchverbots eigentlich viel versprochen. Damit sei es nun vorbei, meint BWL-Student Bekir:

    " Deswegen wollten wir doch in die EU, weil die EU für uns Freiheit und Demokratie bedeutet. Und nun ist Europa auch nicht besser als unser Staat, nun unterstützt auch Europa die Unterdrückung der gläubigen Menschen in diesem Land. Unsere Hoffnungen in die EU haben sich als verfehlt erwiesen. Ob es für uns jetzt überhaupt noch einen Sinn hat, der EU beizutreten, das bezweifle ich."