Montag, 29. April 2024

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Kopp: Drieu ist eine wichtige Figur der Zwischenkriegszeit

Der Romanist Robert Kopp hält es aus sprachlicher Sicht für richtig, dass Drieus Werke in die "Pléiade" einziehen. Dass Drieu zum "Faschisten mutierte", läge daran, dass er unter dem Niedergang Frankreichs zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg litt. Drieu sei auf "die rechte Seite gekippt", weil er glaubte, dass sich Europa so erneuern könnte.

Robert Kopp im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 05.05.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: In Frankreich gibt es Proteste gegen eine Buchveröffentlichung eines Autors, der schon lange tot ist. 1945 hat er sich umgebracht, als Konsequenz seines Eintretens für Hitler. Sein Name: Pierre Drieu la Rochelle. Die Texte von ihm, mit etlichen antisemitischen Passagen, die da jetzt gedruckt werden, sind keineswegs unbekannt. Bloß dass sie jetzt in der "Pléiade" herauskommen, das finden manche Kritiker anstößig, denn die "Pléiade" ist eine Buchreihe, für die es im Deutschen keine Parallele gibt; sie ist der Pantheon der französischen Literatur. Wessen Werk hier aufgenommen wird, der gehört zum Kanon; es ist wie eine Heiligsprechung - und die erfolgte für Drieu ausgerechnet am 20. April dieses Jahres. - Am Telefon ist Robert Kopp, Ordinarius für Romanistik in Basel und selbst Herausgeber etlicher Klassiker in Pariser Verlagen. Herr Kopp, ist der antisemitische Dandy Drieu La Rochelle ein solcher Klassiker, dass seine Aufnahme in die "Pléiade" gerechtfertigt ist?

    Robert Kopp: Ja, das ist eben die Frage. Wenn er in die "Pléiade" aufgenommen wird, dann gibt es auf jeden Fall Leute, die ihn als einen Klassiker betrachten. Der Antisemitismus ist da kein Hinderungsgrund, auch wenn man sich sehr daran stoßen kann. Es gibt sogar Präzedenzfälle: Céline ist auch ein Klassiker geworden und ist leider auch ein abscheulicher Antisemit, aber ein großer und wichtiger Romancier. Auch die Werke von Montherlant sind vielleicht nicht ganz lupenrein und trotzdem ist er zum Klassiker avanciert.

    Müller-Ullrich: Wer war denn Drieu la Rochelle? Und da Sie Louis-Ferdinand Céline schon erwähnt hatten, gibt es vielleicht auch Anlass für einen Qualitätsvergleich. Da steht Céline doch wohl höher!

    Kopp: Ja, da steht Céline vermutlich höher, denn Céline hat ähnlich wie Rabelais die französische Sprache erneuert, hat eine ganz enorme Sprachfantasie entwickelt; Drieu schreibt ein klassisches, sehr gepflegtes Französisch. Drieu war ein Freund der Surrealisten, ein paar Jahre älter als Aragon und Breton, hat den Ersten Weltkrieg mitgemacht, mitmachen müssen, wurde mehrmals schwer verletzt und hat sich dann mit den Dadaisten und Surrealisten angefreundet, sich von ihnen getrennt und von links her kommend hat sich dann Drieu immer weiter nach rechts bewegt und ist schon 1934 zum Faschisten mutiert.

    Müller-Ullrich: Mit Malraux war er auch befreundet.

    Kopp: Mit Malraux war er auch befreundet und Malraux hat ihn immer als ganz hervorragenden Stilisten geschätzt.

    Müller-Ullrich: Welcher Auffassung sind Sie denn, Robert Kopp? Ist dieses Urteil, das positive von Malraux, gerechtfertigt und damit vielleicht auch der Einzug in die "Pléiade"?

    Kopp: Ja, ja. Ich wäre durchaus der gleichen Meinung, und zwar ist Drieu eine sehr wichtige Figur, wenn man das Frankreich der Zwischenkriegszeit verstehen will. Warum ist er zum Faschisten mutiert? Weil er wie viele Zeitgenossen sehr unter dem Niedergang von Frankreich gelitten hat. Frankreich hat zwar den Ersten Weltkrieg "gewonnen", war aber am Boden nachher, und Drieu hat gesehen, wie dieses parlamentarische Regime, dessen Regierung alle sechs Monate mal wechselte und man einmal einen kleinen Schritt nach links, dann einen kleinen Schritt nach rechts machte, die koloniale Frage, die sich immer dringender und drängender stellte, nicht lösen konnte und so in den Zweiten Weltkrieg schlitterte, ohne sich auch gegen Hitler wehren zu können. Und Drieu hat sich dann die Frage gestellt, ist das demokratische System überhaupt erneuerungsfähig, und es gibt nicht nur Romane von Drieu, sondern auch eine ganze Anzahl Essays, die hochinteressant sind für die 30er-Jahre, wo er sich fragt, welchem System soll ich mich zuwenden, den Kommunisten oder den Faschisten. Und schließlich ist er auf die rechte Seite gekippt und glaubte, Europa könne sich erneuern unter der Ägide des Nationalsozialismus.

    Müller-Ullrich: Also finden Sie die Proteste unverständlich, die sich dagegen wenden, dass ...

    Kopp: Die Proteste kommen von drei verschiedenen Seiten. Zunächst gibt es diejenigen, die sagen, ja eigentlich gehört er nicht in die "Pléiade". Tatsächlich gibt es Argumente dafür, dass man eben solche Schriften nicht zum Feinsten zählen soll. Dann gibt es die, welche sagen, es ist eine Schande, dass man nur die Hälfte der Romane von Drieu in einen immerhin fast 2000 Seiten starken Band aufnimmt, denn zu den Spielregeln der "Pléiade" gehört es eigentlich, dass man das gesammelte oder fast gesammelte Werk eines Autors herausbringt. Und dann kann man auch drittens kritisieren, dass man nur die Romane berücksichtigt hat, aber nicht die Essays. Bei Drieu hat man sich auf eben "the best of" beschränkt, und auch das wurde nicht ganz zu Unrecht etwas kritisiert.

    Müller-Ullrich: Robert Kopp in Paris, danke für die Belehrungen, Aufklärungen, Einschätzungen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.