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Koreanische Gangsterballade

In der chinesischen Peripherie kämpft der Taxifahrer Gu-Nam ums Überleben. Weil er seine Schulden nicht bezahlen kann, willigt er ein, einen Mord zu begehen. Als Illegaler lässt er sich nach Südkorea einschiffen. Je näher sich der Film an den Auftrag heranpirscht, um so mehr verliert Regisseur Na Hong-jin das soziale Drama aus den Augen.

Von Christoph Schmitz |
    Das erste Drittel macht "The Yellow Sea" zu einem interessanten und guten Film. Es zeigt uns ein unbekanntes China, die chinesische Peripherie an der russisch-koreanischen Grenze. Eine Schwellenregion. Weit entfernt vom Hochglanzboom der Metropolen im Süden. Die Moderne ist hier gerade hineingeschwappt mit vielen Autos und noch mehr Menschen, die sich allesamt durch staubige und marode Straßen drängen im harten Kampf ums tägliche Überleben. Der Stress steht den Leuten in den verschwitzten Gesichtern geschrieben, wie dem Taxifahrer Gu-Nam. Hungrig nach Kundschaft kurvt er Tag und Nacht durch die Stadt und verdient doch zu wenig, um seine Schulden begleichen zu können. Gu-Nam ist ein Gehetzter, einer unter Hunderttausenden in diesem brodelnden Bezirk, den die chinesische Regierung wegen der großen Zahl koreanischer Einwohner in die Autonomie befördert hat. So rastlos das Leben hier ist, so unruhig sind Kamera und Schnitt. Ständig springen sie Gesichter und Augen förmlich an, um in den starren Mienen die Angst zu zeigen. Eigentlich wollen alle weg aus dieser armseligen und hoffnungslosen Provinz. Wie auch Gu-Nams Frau. Sie hat es bereits geschafft. Sie hat sich nach Südkorea davongemacht. Doch der Preis für die Wirtschaftsflucht war hoch. Der zurückgebliebene Ehemann kann das geliehene Geld nicht zurückzahlen, Spielschulden verschlimmern seine Lage. Mit seinem Gläubiger, einem Gangsterboss, schließt er einen teuflischen Pakt: Um die Schulden zu tilgen, lässt sich Gu-Nam über die Gelbe See als Illegaler nach Südkorea einschiffen. Im Auftrag des Gangsters soll er etwas erledigen:

    "Töte jemanden für mich in Korea! Du denkst, ich scherze? Hier wirst du deine Schulden niemals begleichen können. Deine Frau betrügt dich. Warum sollte sie dir Geld schicken?"

    Die Fahrt in dem überfüllten Fischkutter gehört zu den stärksten Momenten des Films. Die See schlägt hoch, die hygienischen Verhältnisse sind erbärmlich, die gefährliche Reise wird zum Inbild der Bootsflüchtlinge, aller Flüchtenden aus den Elendsregionen rund um den Globus. Und auch die ersten Tage des Auftragsmörders in der neuen schönen zivilisierten Welt erzählen mehr als nur die Geschichte eines illegalen Einwanderers in Südkorea: die ständige Furcht entdeckt zu werden, die Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit. Seine Frau findet Gu-Nam nicht. Sein Mordauftrag erweist sich als ziemlich kompliziert. Doch je näher sich der Film an die Tat heranpirscht, um so mehr verliert Regisseur Na Hong-jin das soziale Drama aus den Augen und lässt sich vom Thriller-Genre einwickeln. Der Film gerät aus der Spur, der Genrewechsel lässt ihn entzweibrechen.

    "Drei Männer wurden dabei beobachtet, wie sie das Gebäude in den letzten Tagen ausgespäht haben. Da der Daumen des Professors fehlt, geht die Polizei von einem Auftragsmord aus. Über die genauen Hintergründe der Tat kann zur Zeit nur spekuliert werden."

    An diesen Ton muss man sich erst gewöhnen oder auch nicht. Der Kampf, die Flucht, der entfesselte Bandenkrieg, bei dem man bald nicht mehr weiß, wer hier gegen wen agiert, nimmt bizarre Formen von Gewalt und Zerstörung an. Gu-Nam überlebt sie wundersamerweise alle, dass es fast zum Lachen ist. Den Humor hat der talentierte Regisseur Na Hong-jin einkalkuliert. Er ist ein begnadeter Effekte-Jongleur und könnte ein Autorenfilmer werden, wenn er sich freimachten würde vom Kommerzkino. Ob er das will, ist zweifelhaft. Sein Vergnügen an Action schwitzt bei ihm aus jeder Kinobildpore.