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"Korkschmecker" ganz ohne Korken

Lebensmittel.- Sogenannte Korkschmecker geben Weinen einen muffigen Geschmack und machen sie ungenießbar. Untersuchungen an der Forschungsanstalt Geisenheim zeigen jetzt: Schadstoffe, die den Wein zum vermeintlichen Korkschmecker machen, können auch aus dem Weinkeller stammen.

Von Volker Mrasek | 31.03.2010
    Wein-Sensoriker beschreiben den Fehlton als "dumpf-muffig" oder "schimmlig". Ein klarer Fall von Korkschmecker. Oder doch nicht?

    "Der Begriff ist absolut fragwürdig",

    betont der Önologe Rainer Jung von der Forschungsanstalt Geisenheim in Hessen:

    "Es hat sich eingebürgert, dass man das immer kausal dem Kork zuordnet. Aber in dem Moment, wo Sie den Wein im Glas haben, können Sie nur sagen. Es ist ein dumpf-muffiger Fehlton. Über die Ursache dieses Fehltons können Sie in diesem Moment überhaupt keine Aussage machen."

    Jung hat gute Gründe, das zu sagen. Laufende Untersuchungen in Geisenheim korrigieren das Bild, das sich die Weinwelt von Korkschmeckern immer machte. Es stimmt zwar noch, ist aber nicht vollständig. Als Naturprodukt enthält die Rinde von Korkeichen unweigerlich Spuren chlorhaltiger Umweltschadstoffe. Wird der Kork zu feucht, wandeln Schimmelpilze die Chemikalien in Trichloranisol oder TCA um. Diese Substanz geht später aus dem Flaschenkorken in den Wein über. Wobei schon ein, zwei Nanogramm genügen, um ihn zu verderben. An diesem Modell will Rainer Jung gar nicht rütteln. Doch nach Analysen seiner Arbeitsgruppe stammt das Trichloranisol im Wein nicht immer aus Flaschenkorken. Es gibt eine weitere TCA-Quelle: Holzschutzmittel in Weinbau-Betrieben:

    "Man hat teilweise Fässer sogar damit behandelt, hat die, ja, gestrichen damit. Man hat Teile, die in Holzkellern vorhanden sind, versucht, damit zu konservieren. Und deswegen sind diese Dinge da."

    Bei dem Holzschutzmittel handelt es sich um Pentachlorphenol - ein Giftstoff, der schon lange verboten ist. Doch noch als Altlast macht die Chemikalie Winzern heute zu schaffen. Denn auch diese Chlorverbindung kann von Schimmelpilzen abgebaut und in den Geschmackskiller Trichloranisol umgewandelt werden. Der landet dann in der Raumluft. Volker Schäfer konnte das durch Analysen in verschiedenen belasteten Weinkellern nachweisen. Der junge Önologe forscht zurzeit über die dubiosen Fehltöne im Wein:

    "Also, eigentlich sollten diese Stoffe toxisch gegen ebendiese Schimmelpilze wirken. Das tun sie auch, aber eben nicht gegen jeden Stamm. Es gibt verschiedene Stämme, die Enzyme entwickelt haben, die eben dieses Chlorphenol umbauen. Und dann riecht's halt muffig."

    Die Geisenheimer Weinforscher kennen mittlerweile etliche Fälle, in denen sogar Plastikstopfen zu einem vermeintlichen Korkschmecker führten, was völlig absurd erscheint. Aber auch dafür haben sie heute eine Erklärung. Lagern Winzer die Kunststoffverschlüsse längere Zeit in einem belasteten Raum, werden auch sie kontaminiert. Weil Trichloranisol dazu neigt, sich an organischen Oberflächen anzulagern. Und das heißt: auch an den Plastikkorken.

    Wie viele angebliche Korkschmecker tatsächlich auf Altlasten in der Kellerei zurückgehen, kann oder will Rainer Jung aber nicht sagen:

    "Eine statistische Erhebung in dem Sinn haben wir dort nicht gemacht. Natürlich ist es so, dass die klassischen Weinkeller oder ältere Bauten natürlich nicht so isoliert waren, wie man das heute vielleicht machen würde, dass wir immer mit Feuchtigkeit zu tun haben. Wenn dann eben diese Umstände dazukommen, dass wir Holz haben, dass wir Holzschutzmittel noch haben, dann geht es eben sehr schnell, dass man solche Kontaminationen hat."

    In der Vergangenheit haben Korken-Hersteller bei muffigen Fehltönen meist anstandslos Schadenersatz geleistet. Das ändert sich jetzt. Heute geben sie lieber erst einmal Gutachten in Auftrag. Doch was können Betriebe mit Altlasten im Keller tun? Die Forscher raten ihnen, betroffene Räume nicht mehr zu nutzen oder zu sanieren, sofern es ihnen finanziell möglich ist. Ansonsten bleibt ihnen nur, auf einen neu entwickelten Silikat-Filter aus der Schweiz zu hoffen. Damit lassen sich Korkschmecker aus Weinen nachträglich entfernen, wie Untersuchungen in Geisenheim bestätigten. Das Problem: Der Filter ist bisher nur in den USA zugelassen.