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Korrespondentenalltag
Berichten in totaler Sprachverwirrung

In Kenia werden über 40 verschiedene Sprachen gesprochen - von dort zu berichten erfordert deshalb gute Übersetzer. Ohne sie wären ausländische Korrespondenten aufgeschmissen - aber selbst die besten Dolmetscher kommen in manchen ostafrikanischen Ecken an ihre sprachlichen Grenzen.

Von Linda Staude | 23.07.2018
    Drei Angehörige der nordkenianischen Samburu tragen traditionelle Kleidung.
    In einigen Dorfgemeinschaften in Ostafrika sind selbst Einheimische mit ihren Sprachkenntnissen am Ende. (Ton Koene / imago)
    Englisch oder Französisch - das sind die offiziellen Amtssprachen in etwa der Hälfte meiner 16 Berichtsländer. Sollte also jeder dort können. Klingt zu einfach? Ist es auch.
    Schon in Nairobi klagen die meisten selbst über das Wetter auf Kisuaheli. Auf dem Land komme ich mir meistens vor wie in Babylon kurz nach der Sprachverwirrung.
    Pokot sprechen Pokot, ihr verfeindeten Nachbarn ein paar Kilometer weiter Turkana. In Isiolo ist es eine Art Baringo.
    Und im Rest des Landes ein ganzer Satz anderer Idiome. Eigentlich finde ich es toll, eine ganz neue Sprache zu lernen. Aber bei über 40 allein in Kenia lässt auch mein Enthusiasmus ein bisschen nach. Also müssen Übersetzer her. Was mitten in einer Kuhherde der Masai zu eher absurden Szenen führen kann. Mein Thema: Blut trinken, eine Tradition bei den Masai.
    Drei junge Krieger fangen eine passende Kuh, werfen sie zu Boden und halten sie fest. Der Familienvater zapft Blut ab und erzählt in aller Gemütsruhe, warum er das total lecker findet - natürlich auf Masai.
    Daneben der Übersetzer, der mir alles auf Englisch erklärt. Und irgendwo im Gedränge tänzele ich von einem zu anderen - weise nickend, während ich gleichzeitig versuche, jeden verständlich auf Band zu kriegen und meine Schienbeine vor den Hufen von 600 Kilo empörtem Rindvieh in Sicherheit zu bringen.
    Selbst Einheimische sind oft hilflos im Sprachdschungel
    Wirklich schön ist auch, wenn ein Gesprächspartner nur einen Halbsatz murmelt, der Übersetzer dann aber voller Begeisterung zwei Minuten ohne Punkt und Komma erzählt.
    "Die denken vermutlich, Du verstehst das Thema nicht richtig. Deshalb ergänzen sie ein paar Worte, damit du es besser verstehst."
    Nett gemeint, aber wenig hilfreich, wenn ich die Antwort wörtlich brauche. Mucho ist eine der unentbehrlichen Helferinnen, die nachübersetzen, was draußen schief gegangen ist. Sie stammt aus Burundi und beherrscht einige Sprachen
    "Nicht so viele. Ich spreche meine Muttersprache Kirundi und Kinyarwanda. Aber die sind eng verwandt. Dann Kisuaheli. Ach ja, und Französisch und Englisch."
    Macht fünf. Finde ich ziemlich viel, aber in Ostafrika ist das pure Notwehr. Denn schließlich sind auch die Einheimischen oft hilflos im Sprachdschungel. Wie z.B. in Äthiopien, wo man Amharisch spricht. Theoretisch…
    Interviews werden zum Stille-Post-Spiel
    Gomor ist ein winziges Dorf am blauen Nil, das in Kürze unter einem riesigen Stausee verschwinden wird. Die Bewohner müssen weg, aber wohin? Gute Frage, keine Antwort - weil mich kein Mensch versteht, genauso wenig wie meine Übersetzerin aus der Hauptstadt.
    Großes Palaver auf dem staubigen Dorfplatz, auf dem in kürzester Zeit alle zusammenströmen. Und plötzlich findet sich ein junger Mann, der die Landessprache kann und kurzerhand zum Sprecher ernannt wird.
    Ich frage auf Englisch, die Übersetzerin auf Amharisch, der junge Mann in seiner Muttersprache. Das ganze Dorf debattiert die Antwort - und ich bekomme sie in umgekehrter linguistischer Reihenfolge zurück.
    Das Stille-Post-Spiel dauert ewig, aber keiner wird ungeduldig. Keiner geht weg, zurück in sein Haus oder zurück an die Arbeit. Die Menschen wollen ihre Geschichte erzählen. Auch wenn es langwierig und schwierig ist. Und das macht das Berichten aus dem nach-babylonischen Ostafrika zu einem tollen Erlebnis.