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Korrespondentenalltag
Vor der Recherche das Testament machen

Silke Diettrich berichtet für die ARD aus dem südasiatischen Raum. Gerade Reisen in das Kriegsland Afghanistan muss die Auslandskorrespondentin minutiös planen. Vor allem, was ihre Sicherheit angeht.

Von Silke Diettrich |
    Im Rückspiegel eines Autos sind Militärfahrzeuge zu sehen.
    Journalisten in Afghanistan wird geraten, im Auto ihre Schutzweste als Schutzschild zu nutzen. (picture alliance / dpa / Jalil Rezayee)
    Frage Nummer eins, bis zum letzten Moment vor Abflug, ist: Kann ich die Reise nach Afghanistan überhaupt antreten? Dazu telefoniere fast jeden Tag vor der geplanten Reise mit dem ARD-Sicherheitskoordinator Tom Sievers: "Ich glaube, das Risiko ist ja nicht höher oder weniger geworden, das Risiko ist unverändert groß. Sehr groß."
    Tom Sievers schätzt die akute Bedrohungslage ein und berät uns vor, während und nach den Reisen. Dabei ist er im engen Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskriminalamt, um herauszufinden, ob es abgesehen von der täglichen Bedrohung noch akute andere Warnungen gibt: Manchmal sickert durch, dass Extremisten gerade gezielt Entführungen von Ausländern planen. Zweimal schon musste ich meine geplante Reise nach Kabul verschieben. Mit Tom Sievers spreche ich auch darüber, wie ich mich mit den Mitarbeitern vor Ort am besten durch die Stadt bewege, und wir beraten darüber, welche Ausrüstung sinnvoll eingesetzt werden könnte: "Die haben halt noch diese schweren Westen, und die kann man im Auto einfach zwischen sich und die Tür stellen."
    So unauffällig wie möglich durchs Land
    Die Schutzweste kann mich vor Bombensplittern oder Schüssen retten. Statt sie den ganzen Tag anzuziehen, rät mir Tom sie als Schutzschild im Auto zu benutzen. Außer den Sicherheitskräften und wichtigen Politikern trägt auch sonst niemand in Afghanistan eine Schutzweste am Körper. Wir versuchen uns so unauffällig wie möglich in dem Land zu bewegen, "low profile" nennen die Sicherheitsleute das. Solche Tipps bekommen wir Korrespondenten für Krisengebiete auch in Sicherheitstrainings, die wir absolvieren, bevor wir unsere Stelle hier antreten.
    Bei der Bundeswehr oder Sicherheitsfirmen, die solche Krisentrainings anbieten, lernen Journalisten, was es bedeutet, wenn man plötzlich unter Beschuss gerät oder plötzlich entführt wird. Das spielen wir tagelang durch, nach wenigen Minuten fühlt es sich schon sehr real an. Die Trainer dort haben uns zum Beispiel auch angeraten, ein Testament zu schreiben, bevor wir nach Afghanistan reisen. Das liegt jetzt auf meinem Schreibtisch, bevor ich in den Flieger nach Kabul steige.
    Immer mit dem gleichen Taxifahrer unterwegs
    In Afghanistan übernachten wir manchmal in den Kasernen der Bundeswehr oder in Kabul in einer abgesicherten Herberge, die von außen als solche überhaupt nicht zu erkennen ist. Wie unzählige andere Häuser auch in der Stadt , ist dieser Ort mit dicken Mauern umgeben, innen stehen hinter mehreren Stahltüren bewaffnete Sicherheitsleute. Es gibt einen Fluchttunnel nach außen, falls es eine Attacke geben sollte. Die Mitarbeiter in der Herberge sind ausgebildete Sicherheitsleute, die uns vor Ort mit Tipps und Ausrüstung unterstützen.
    Mehrmals am Tag schreibe ich meinem Kollegen in Delhi Nachrichten und gebe Bescheid, wo ich mich gerade befinde oder was ich vorhabe. Ganz wichtig für uns Reporter sind vor allem die Journalisten am Ort, also Afghanen, die schon seit Jahren für die ARD arbeiten. Wir nutzen auch immer den gleichen Taxifahrer, dem wir dann einfach vertrauen können. Wir essen auch mit seiner Familien zu Abend. Am Tag begleiten sie uns ständig und sind für uns sehr wichtig, weil sie sämtliche Situationen genauestens einschätzen können.
    Nicht alle Schüsse in Afghanistan sind gleich Angriffe, aber auch bei diesem "Friendly Fire" - wie zum Beispiel bei Jubel-Schüssen nach einem Sieg der afghanischen Cricket-Nationalmannschaft - möchte man nicht zu nahe dabei sein. Denn schließlich fallen die abgeschossenen Patronen ja unweigerlich wieder nach unten.