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Korruption als Selbstverständlichkeit

In Russland gibt es etwa doppelt so viele Beamte wie einst in der viel größeren Sowjetunion. Die Gehälter der Staatsdiener sind karg. Undurchsichtige Gesetze und Verfahrensvorschriften dienen als Vorwand, um bei Geschäftsleuten Schmiergelder abzukassieren.

Von Gesine Dornblüth | 27.01.2007
    Christoph Schulze ist Spediteur. Er ist mit einer Russin verheiratet und macht seit den 90er Jahren Geschäfte mit Osteuropa. Von dem ständigen Ärger mit den russischen Zollbehörden ist er mittlerweile so genervt, dass er auch die Öffentlichkeit nicht mehr scheut.

    "Ohne Schmiergelder, denke ich, ist unrealistisch, wobei natürlich in den letzten Jahren da eine rasante Steigerung zu verzeichnen ist, wo man sich fragen muss, bis wohin geht das, wo ist die Schmerzgrenze, wo sagt man, 'irgendwo hört der Spaß auf'? Wo wir als mittelständisches Unternehmen oder ich mir als Christoph Schulze ausrechnen kann, was ein Zöllner, wenn er von uns nur schon die Summen, wenn ich die mal zusammenaddiere, wie viel das dann ausmacht, im Gesamtvolumen Zollamt, ja dann sind wir richtig arme Teufel, sag ich mal."

    Auch Russen geht es so. Eine Pizzeria in Moskau. An einem Tisch sitzen zwei Geschäftsleute und trinken grünen Tee. Einer hat eine Handelsfirma, der andere berät Unternehmer. Beide Männer sind um die 40 und wollen anonym bleiben. Denn was sie erzählen, sagt man in Russland üblicherweise nicht laut.

    "Wir haben einmal eine Wechselstube aufgemacht. Die Vorschriften der Zentralbank sehen dafür Eisentüren und ein Eisengitter vor. Der Feuerschutz verbietet aber Eisentüren. Wir haben alle möglichen Tricks versucht, aber wir sind nicht drumherum gekommen, die Feueraufsicht zu schmieren. Andernfalls hätten wir keine Genehmigung für die Wechselstube bekommen."

    Der Beamtenapparat in Russland ist riesig - und damit auch das Ausmaß an Bürokratie. Im Russland Putins gibt es etwa doppelt so viele Staatsdiener wie einst in der viel größeren Sowjetunion. Ihre Gehälter sind karg. Viele Beamte leisten sich trotzdem einen luxuriösen Lebensstil. Dass sie das können, ist nur damit zu erklären, dass sie überall die Hand aufhalten. Komplizierte, undurchsichtige Gesetze und Verfahrensvorschriften dienen häufig als Vorwand, um besonders bei Geschäftsleuten abzukassieren. Moskau boomt, und die Unternehmen machen Gewinn. Da wollen die Beamten ihren Anteil am Kuchen, sagen die beiden Männer in der Pizzeria.

    "Die Frau meines Freundes hat bis vor kurzem in der Steueraufsicht gearbeitet. Dort wurden die Gehälter gesenkt, und als die Mitarbeiter sich beschwert haben, erhielten sie die wörtliche Anweisung: 'Arbeiten Sie enger mit den Firmen zusammen.' Alle haben gut verstanden, was das heißt, nämlich: 'Melkt die Firmen. Findet Mängel, damit sie euch dafür zahlen.' Leider haben sie einfache Handhabe. Denn das Steuergesetz ist so kompliziert, dass es keine Firma schafft, nicht gegen irgendein Detail zu verstoßen."

    Wer einmal länger in Russland gelebt hat, weiß, dass kaum ein Behördengang ohne Sonderzahlungen bewältigt werden kann, es sei denn, man bringt Zeit und Nerven im Überfluss mit. Berüchtigt für die Abzocke sind vor allem die Verkehrspolizei, die Steueraufsicht, der Zoll, die KFZ-Zulassung und die Feuerwehr.

    Nach Angaben der Moskauer Indem-Stiftung hat sich das Ausmaß der Korruption innerhalb der vergangenen fünf Jahre verzehnfacht. Die Indem-Stiftung wird mit westlichen Geldern, von russischen Sponsoren und von der russischen Regierung finanziert. Und sie führt seit Jahren Umfragen unter Unternehmern und Beamten zum Thema Korruption durch. Der Direktor der Stiftung, Georgij Satarov, war Berater Jelzins, als der noch Präsident war. Satarov gilt als der Experte für Korruption in Russland und ist einer der wenigen, der sich traut, die gegenwärtige Regierung offen zu kritisieren.

    "Die Bürokratie in Russland ist absolut außer Kontrolle geraten. Es gibt keine äußere politische Kontrolle, es gibt keine Kontrolle durch eine unabhängige Presse und keine Kontrolle durch kritische gesellschaftliche Institutionen. Die Machtelite in Russland ist vollkommen abgeschirmt von der Gesellschaft. Unter diesen Umständen kann der Beamtenapparat für die eigenen Zwecke arbeiten, und das äußert sich vor allem in Korruption."

    Die nimmt immer maßlosere Formen an. Nicht nur Ausbildungsplätze, auch Arbeitsplätze im Staatsapparat werden verkauft. Für einen hohen Posten im Zoll muss man Millionen hinlegen. Allein mit den Gehältern kann man derartige Ausgaben nicht wieder reinholen. Ebenso ist bekannt, dass viele Beamte einen Teil der Schmiergeldzahlungen an ihre Vorgesetzten weitergeben müssen.

    Doch nicht nur den Beamten nützt Korruption. Unternehmer kaufen Beamte, damit die Konkurrenten mit bürokratischen Hürden überhäufen. Auch ist Korruption zum politischen Druckmittel geworden. Georgij Satarov von der Indem-Stiftung geht davon aus, dass höchstens 15 Duma-Abgeordnete ehrlich sind. Alle anderen seien in irgendeiner Form erpressbar, weil sie irgendwann in Korruption verwickelt gewesen seien. Politiker könnten deshalb jeden Gegner ausschalten, indem sie belastendes Material aus der Tasche ziehen. Das gleiche betreffe Beamte. Glaubt man Satarov, so werden vorzugsweise korrupte Menschen eingestellt, eben weil sie abhängig und bei Bedarf leicht zu entfernen sind.

    Korruption ist in Russland mittlerweile systemerhaltend, betont Georgij Satarov von der Indem-Stiftung:

    "Wir haben bereits 2001 Interviews mit hochgestellten Experten und Beamten gemacht. Einer von ihnen hat gesagt: 'Wenn wir uns das Unmögliche vorstellen, dass wir morgen aufwachen und es keine Korruption mehr gibt, dann bricht sofort die Wirtschaft zusammen.' Korruption ist ein System, das alle Funktionsbereiche des Staates durchdrungen hat. Alles ist eng miteinander verflochten."

    Nach Erkenntnissen der Indem-Stiftung beträgt das Volumen der illegalen Geschäfte zwischen Geschäftswelt und Beamtenapparat mittlerweile 315 Milliarden Dollar, das Zweieinhalbfache des russischen Staatshaushaltes. Diese Zahl ist äußerst umstritten, aber daran, dass das Ausmaß der Korruption besorgniserregend hoch ist, zweifelt niemand in Russland.

    Im Zentrum von Sankt Petersburg befindet sich das Geschäft von Andrej Gorjunov. Der 48-Jährige verkauft Pelz- und Lederwaren. Außerdem ist er Vorsitzender der Petersburger Abteilung von Opora, einem landesweiten Interessenverband des Mittelstands, der seinen Mitgliedern in Rechtsfragen hilft. Auch Gorjunov klagt offen über maßlose Beamte:

    "Die Beamten glauben seit der Sowjetzeit, sie gehörten einer höheren Kaste an. Dazu kommt: Wer in unserem Land frei leben möchte, gilt als potenzieller Verbrecher. Auch das rührt aus der Sowjetunion und hat sich in den Gehirnen der Beamten festgesetzt. Sie sehen in der neuen Generation von Unternehmern, dieser neuen sozialen Schicht, ein bedenkliches Element. Und deshalb nehmen sie von uns mehr Geld als von anderen, weil wir anders sind als die anderen, weil wir Geld verdienen, weil wir frei denken."

    Geschäftsleute müssten Beträge bis zur Höhe eines vierfachen Jahresgewinns einkalkulieren, meint Gorjunov. Gorjunov unterstreicht, es gäbe auch sehr viele ehrliche Beamte. Die Stadtregierung von Sankt Petersburg bemüht sich um ein günstiges Wirtschaftsklima. Die Metropole konkurriert mit anderen Regionen um Investoren, da schadet Korruption.

    Zuständig für Wirtschaftsentwicklung ist Vizegouverneur Michail Oseevskij. Er kommt selbst aus der Wirtschaft, war ein erfolgreicher Banker und sitzt erst seit wenigen Jahren in der Stadtregierung. Oseevskij räumt ein, dass es Probleme mit korrupten Beamten gibt, legt aber Wert auf folgende Feststellung:

    "Wir haben eine junge Marktwirtschaft und eine junge Demokratie. Marktwirtschaft existiert in Russland erst seit 15 Jahren. Das ist zu kurz, um solche Ergebnisse zu erzielen wie zum Beispiel in Deutschland. Aber wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, und in letzter Zeit, scheint mir, hat sich unsere Regierung sehr ernsthaft bemüht, die bürokratischen Hürden für die Wirtschaft zu senken und Korruption zu bekämpfen."

    Diese offizielle russische Einschätzung teilen auch viele deutsche Wirtschaftsvertreter, die in Russland tätig sind. Anstatt das Problem Korruption offen beim Namen zu nennen, sprechen sie immer wieder von Transformationsproblemen. Russland bietet einen riesigen Wachstumsmarkt, den finden viele Unternehmer reizvoll. Die deutschen Unternehmer seien zu Gast in Russland, da müsse man sich zurückhalten mit Kritik.

    Max Gutbrodt ist stellvertretender Vorsitzender des Verbands der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation und berät deutsche Unternehmer in Russland. Auch er ist vorsichtig mit seinen Einschätzungen.

    "Das Entscheidende an Russland heutzutage ist, und das Erstaunliche ist, dass man ohne das gute Geschäfte machen kann. Man muss nicht jedem Beamten, damit er irgendwas tut, noch irgendwas über den Tisch schieben, sondern man kann auch völlig legal arbeiten. Und die Empfehlung sowohl von uns als Anwälten als auch im Verband der deutschen Wirtschaft ist ganz eindeutig: keine Beträge zahlen, weil man sich erpressbar macht, wenn man zahlt."

    Die Praxis sieht etwas anders aus. Unter der Bedingung, dass seine Stimme unerkannt bleibt, willigt ein deutscher Lebensmittelproduzent in ein Interview ein. Er produziert seit einigen Jahren in Russland. Zitat:

    "Ich habe erstmal den großen Markt in Russland gesehen. Der ist ja so verlockend. Aber das Problem ist, auf den Markt zu kommen. Der Markt wird kontrolliert, und es wird gesteuert, wer darauf kann oder darf. Und dann wird überall gleich gesagt, wie viel das kostet, und ich kann ja erst bezahlen, wenn ich was verdient habe. Das ist das Problem. Jeder hält die Hand auf. Sobald die merken, du bist deutsch, denken sie, du hast die Tasche voller Geld."

    Deutsche Wirtschaftsvertreter brüsten sich gern mit den zahlreichen Verträgen, die bei deutsch-russischen Konsultationen vereinbart werden. Nach Angaben des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft investieren bereits 4500 deutsche Firmen in Russland. Diese Unternehmen planen für das kommende Jahr Investitionen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Der deutsche Lebensmittelhersteller relativiert diesen Optimismus:

    "Ich habe die schönsten Verträge, mit allen großen Supermarktketten, aber mir nimmt keiner meine Lieferungen ab. Letzte Woche hat mein Kraftfahrer drei Stunden an der Laderampe warten müssen und ist dann mit der Lieferung wieder zurückgekommen. Die haben die Ware einfach nicht abgeladen, weil er nichts hingelegt hat. Mit einer großen Supermarktkette habe ich einen Vertrag, aber die bestellen nicht. Sie können zehn Verträge an der Wand hängen haben. Die sind nicht mal das Papier wert, auf dem sie stehen."

    Dass viele deutsche Unternehmer beteuern, sie würden keine Schmiergelder zahlen, ist nicht mal gelogen. Denn sie haben einen Ausweg gefunden. Das Geschäft läuft so: So genannte Consultants, russische Berater oder Lotsen, erledigen das Geschäft. Sie stellen dafür Pauschalrechnungen aus. Dadurch tauchen die Bestechungsgelder nicht in der Buchhaltung der Unternehmen auf.

    Ein anderes Mittel, von Unternehmern Geld einzutreiben, ist der so genannte Otkat, eine Art Belohnung für das Zustandekommen von Verträgen. Im Baugewerbe liegt dieser Otkat bei bis zu 40 Prozent, erklärt ein russischer Berater. Der Otkat hat schon Großunternehmer zum Aufgeben gezwungen. Georgij Satarov von der Moskauer Indem-Stiftung nennt ein Beispiel.

    "Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die mir der Generaldirektor einer sehr großen westlichen Firma geschildert hat. Sie ist ihm selbst passiert. Seine Firma wollte auf den russischen Markt und hat sich an einer sehr bedeutenden Ausschreibung eines Ministeriums beteiligt. Die Firma hat die Ausschreibung gewonnen. Danach wurde der Generaldirektor in das Ministerium gerufen. Im Büro eines sehr hohen Beamten wurde er gefragt: 'Ist die Ausschreibung ehrlich verlaufen?' – 'Ja.' – 'Sind Sie zufrieden?' – 'Ja.' – 'Dann müssen Sie jetzt zahlen.' - Der Generaldirektor fragte: 'Wieviel?' Der Beamte hat eine Zahl auf einen Zettel geschrieben. Der Mann hat daraufhin das Geschäft platzen lassen, weil das Unternehmen so viel nicht bezahlen konnte."

    Präsident Wladimir Putin hat in seiner Rede zur Lage der Nation eingeräumt, es sei ihm bis dahin nicht gelungen, wirkliche Erfolge bei der Bekämpfung der Korruption zu erzielen. Es folgten einige Entlassungen und Verfahren gegen Beamte. Putin hat allerdings schon mehrfach beteuert, aktiv zu werden. Bereits vor drei Jahren schuf er einen Antikorruptionsrat beim Präsidenten, dem der damalige Premierminister, der Vorsitzende des Verfassungsgerichts und andere hochgestellte Persönlichkeiten angehörten. Das Gremium trat ein einziges Mal zusammen, danach nie wieder.

    Mitunter sind aber auch genau die Personen, die Korruption bekämpfen sollen, selbst korrupt, wie zum Beispiel der stellvertretende Leiter der St. Petersburger Abteilung zum Kampf gegen Korruption, ein Oberstleutnant Michail Smirnov. Er sitzt wegen Amtsmissbrauchs im Gefängnis.

    Direkt gegenüber der Metrostation Sviblovo in einem Moskauer Randbezirk steht ein vierstöckiger Klinkerbau: Die Akademie für ökonomische Sicherheit. Die Fassade schmückt ein überdimensionales Plakat mit einem salutierenden Milizionär. Darunter steht: "Wir bilden Profis aus." Hier studiert die künftige Beamtenelite Russlands. Eine Gruppe Studenten kommt aus dem Gebäude, in dunkelgrauen Uniformen.

    Einer von ihnen ist Sergej. Er ist 19 Jahre alt und im zweiten Ausbildungsjahr. Sergej will sich auf Steuerprüfung spezialisieren. Er sagt, er wolle Beamter werden, um Ordnung im Staat zu schaffen:

    "Ich kann nicht für alle Auszubildenden sprechen, aber ich werde keine Schmiergelder nehmen. Natürlich gibt es auch andere. Niemand gibt zu, dass er des Geldes wegen in den Staatsdienst geht. Untereinander reden wir nicht darüber."

    Immerhin hören die Studenten Vorlesungen über Ethik. Doch allein an das Gewissen künftiger Beamter zu appellieren, reicht nicht. Klarere Gesetze müssen her, fordert der stellvertretende Gouverneur von Sankt Petersburg, Michail Oseevskij:

    "Wenn Abläufe in den Gesetzen genau festgeschrieben sind, garantiert das, dass ein Beamter keinen Punkt eigenmächtig einfügen kann, um dafür Geld zu fordern."

    Viele der Gesetze, die in letzter Zeit von der Staatsduma verabschiedet wurden, öffnen aber im Gegenteil Tür und Tor für Korruption, eben weil sie kompliziert oder sogar widersprüchlich sind. Die Russen haben dafür einen eigenen Begriff geprägt. Sie sprechen von der Vzjatkoemkost eines Gesetzes, dem Schmiergeldpotenzial. Aleksander Chinstejn sitzt für die Putin-Partei "Einiges Russland" in der Staatsduma.

    "Wahrscheinlich habe ich auch schon für solche Gesetze gestimmt. Um das Schmiergeldpotenzial eines Gesetzes zu durchschauen, muss man den Gegenstand gut kennen. Ich kann, so gern ich das wollte, mich nicht mit allen Themen gleich gut auskennen."

    Chinstejn, vor seiner politischen Laufbahn Journalist, hat sich einen Namen gemacht, indem er diverse Korruptionsaffären enthüllte. An seiner Bürotür: ein großes Banner des Innenministeriums, am Schrank ein paar Handschellen, an der Wand ein Plakat aus sowjetischer Zeit mit der Losung "Der Abgeordnete ist ein Diener des Volkes". Doch nicht mal Chinstejn glaubt, dass die Regierung etwas gegen die Korruption unternimmt.

    "Ich kann mich nicht mit besonderen Erfolgen der Duma in dieser Frage rühmen. Bis heute ist das Gesetz über den Kampf gegen Korruption nicht verabschiedet. Der Entwurf liegt seit fünf Jahren vor. Ich habe mit Kollegen ein Gesetz zum Kampf gegen Korruption in den höheren Beamtenebenen entworfen. Wir wollen, dass die Beamten nicht nur ihr eigenes Vermögen, sondern auch das ihrer nahen Verwandten jedes Jahr offen legen müssen. Leider ist der Entwurf abgelehnt worden. Warum? Weil den Kampf gegen Korruption in Wirklichkeit in Russland niemand braucht. Die Führungsriege in Russland ist korrupt, und zu glauben, dass sie gegen sich selbst kämpfen würde, wäre ziemlich naiv."

    Nur Putin, der sei nicht korrupt, sagt Chinstejn. Allerdings habe der für einen ernsthaften Kampf gegen Korruption einfach keine Zeit gehabt.

    Max Gutbrodt vom Verband der Deutschen Wirtschaft in Russland hofft indes, dass sich das Problem mit der Zeit von selbst erledigt:

    "Ich glaube, dass da eine Art logische Entwicklung einsetzt, weil nicht nur wir Ausländer, sondern auch die russischen kleineren und mittleren Unternehmen ja unter der Lage der Dinge leiden. Wo eine Wirtschaft korrupt ist, bedeutet das, dass Leute sehr viel Zeit darauf aufwenden, um herauszufinden, wie man sich denn zu verhalten hat. Das ist alles volkswirtschaftlich gesehen unproduktive Zeit und betriebswirtschaftlich gesehen unproduktive Zeit, so dass ich optimistisch glaube, dass sich da die Logik der Geschichte irgendwann durchsetzen wird und eine Veränderung der Verhältnisse bewirken wird."

    Zurück in die Pizzeria in Moskau. Die beiden russischen Geschäftsleute teilen diesen Optimismus nicht. Natürlich würden auch sie lieber ohne Bestechungsgelder auskommen, versichern beide. Nur sei das in naher Zukunft absolut illusorisch. Schließlich biete das System auch kurzfristige Vorteile, sofern man sich nur darin auskenne.

    "Ich benutze immer diese Worte: 'Meine Dankbarkeit wird grenzenlos sein, aber den Rahmen des Vernünftigen nicht überschreiten.' Das ist eine heilige Formulierung, die sehr oft und sehr gut wirkt. Das ist eine Frage des Überlebens. Das ist wie im Tierreich: Wenn die Umwelt sich ändern, passt man sich an. Wir passen uns auch an. Und die Beamten auch."