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Korruption und Kriminalität

Rumänien und Bulgarien durften 2007 der EU nur mit Auflagen beitreten. Wegen anhaltender Mängel im Justizbereich und beim Kampf gegen die Korruption werden sie weiterhin von der EU-Kommission beobachtet und müssen ihre Reformfortschritte halbjährlich einer Prüfung unterziehen. Heute legt Brüssel einen neuen Prüfungsbericht vor und der wird nicht nur in der EU mit Spannung erwartet, sondern auch in Bulgarien. Simone Boecker berichtet.

    Ein helles Backsteinhaus von außen, innen flimmern die Neonleuchten auf den langen Korridoren. Es sieht abgenutzt aus, das Gefängnis von Sofia. Das wenige Mobiliar hat schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel. Georgi, ein kahlköpfiger Wärter, schließt die Eisentür auf, hinter der vier Männer auf ein paar Quadratmetern zusammensitzen, fernsehen, Musik hören.

    "Am häufigsten sind die Leute wegen Diebstahl hier, weniger wegen Mord. Die meisten wegen kleiner Dinge. Die großen Verbrecher laufen draußen herum."
    Georgi zuckt mit den Schultern. So wie er sehen es die meisten Bulgaren, besonders seit dem Bekanntwerden im Frühjahr über die Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe. In einem Bericht der Europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF sind weitere Details ans Licht gekommen: der Bericht benennt ein kriminelles Netz um den Geschäftsmann Ljudmil Stoikov, an dem 50 bulgarische, europäische und andere Firmen beteiligt seien. Von Verbindungen dieser Firmen zur bulgarischen Regierung ist die Rede und von einem politischen Schirm, der diese Leute beschütze. Die Kritik der EU, dass die juristische Verfolgung der Organisierten Kriminalität noch immer nicht funktioniert, kann Gefängnisdirektor Mileti Oresharski nicht bestätigen.

    "Einige dieser Korruptionsbetrüger sind verurteilt. Vor kurzem haben wir zwei neue Häftlinge bekommen wegen Veruntreuung von Geldern aus dem Fonds für Infrastruktur. Nicht so berühmte Fälle, aber es gibt sie. Ein Forstbeamter sitzt wegen Bestechung. Einzelne Fälle also gibt es."
    Einzelne Fälle - aber woran liegt es, dass die Justiz oftmals auf beiden Augen blind ist - besonders bei der Korruptionsbekämpfung in den Führungsetagen? Verfahren werden verschoben, entweder wegen angeblicher Formfehler oder weil die Verteidiger einfach nicht vor Gericht erscheinen. Mileti Oresharski sieht das Hauptproblem jedoch woanders: in der Verwaltung, und zwar auf allen Ebenen.

    "Das System muss sich von selbst reinigen. Von den Unehrlichen, von den Unfähigen, die nicht besonders kompetent sind, die über Beziehungen verfügen und ihren Job nur aus politischen Gründen bekommen haben. Für diese Selbstreinigung gibt es aber kein Rezept. Das ist das große Problem im Moment, und nicht Leute wie der Geschäftsmann Stoikov. Wenn die Verwaltung richtig funktionieren würde, dann gäbe es Leute wie ihn nicht."
    Im Büro des Gefängnisdirektors hängen Sinnsprüche an der Wand. "Tu was du tun musst, egal was danach passiert". Der grauhaarige, drahtige Mann arbeitet schon seit 23 Jahren im Gefängnis, und obwohl er nie dort bleiben wollte, hat er es doch bis jetzt nicht geschafft, seinen Job zu kündigen. Immer gab es zu viel zu tun. Umso mehr schmerzt ihn die Kritik aus Brüssel.

    "Als Jurist kann ich nur beurteilen, was vom Gericht entschieden wird. Aber als Bürger frage ich natürlich wie jeder Bulgare: Warum sind so viele Verbrecher nicht verurteilt? Steht dahinter ein Korruptionsschema? Im Moment stehen wir alle unter Verdacht, korrupt zu sein, nicht nur das Justizsystem. Ich bin ein Beamter, wahrscheinlich denken Sie jetzt dasselbe über mich. Aber wem kann ich zeigen, dass ich meine Arbeit gut mache? Wofür bin ich schuldig? Als Bürger schäme ich mich, dass wir in dieser Lage sind. Ich will nicht, dass wir als ganzes Volk als korrupt gelten."
    Für eine Veränderung, sagt Mileti Oresharski, brauche die bulgarische Gesellschaft vor allem ein stärkeres Rechtsempfinden. Denn Regeln würden in Bulgarien im Allgemeinen nicht besonders hoch geachtet.
    Dennoch verlangt die bulgarische Öffentlichkeit immer mehr nach Transparenz, nach Aufklärung, nach einem Ende der ständig neuen Skandale. In der Innenstadt in Sofia staut sich der Verkehr. Die Mehrheit der Bulgaren erhofft sich schon lange, dass die EU den nötigen Druck auf die heimische Politik ausübt. Auch weitere Sanktionen, die von der EU Kommission wahrscheinlich verhängt werden, nehmen viele dafür in Kauf:

    "Es ist gut, dass EU-Mittel gestoppt sind. Das gibt den Menschen die Hoffnung, dass das Geld am Ende doch zu den Leuten kommt, die wirklich hart arbeiten. Die EU kann jetzt durch das Geld vielleicht etwas bewegen. Das hoffen die Bulgaren."

    "Die Sanktionen sind absolut heilsam. Es braucht Sanktionen - welche genau, das muss jetzt sehr ernsthaft überlegt werden. Es muss ein Signal geben. In Bulgarien gibt es ansonsten kein Korrektiv, das sagt, was gut und was schlecht ist. Das muss von außen kommen."