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Korruption und Machtmissbrauch in Thailands Süden

Die Welle der Gewalt im muslimisch dominierten Süden Thailands begann Anfang Januar 2004, nach einem Überfall mutmaßlicher Separatisten auf ein Armeecamp. Die Regierung in Bangkok reagierte mit der Verhängung des Kriegsrechts. Die überwiegend moderaten Muslime der Region haben darunter am meisten zu leiden. Wer gegen diese Zustände protestiert, muss um sein Leben fürchten.

Von Nicola Glass |
    Bangkok am Abend des 12. März 2004. Es ist etwa 20.30 Uhr. Der Anwalt Somchai Neelaphaijit war zuvor zum Essen mit Kollegen in einem Bangkoker Hotel verabredet. Anschließend will er sich mit einem Klienten treffen, doch dieser sei nicht erschienen, heißt es während der Ermittlungen. Klar ist nur, dass Somchai beschließt, nach einem langen Arbeitstag bei einem Bekannten zu übernachten. Doch dort kommt er nie an: Augenzeugen beobachten an einer viel befahrenen Straße, wie der bekannte Menschenrechtsanwalt in ein Auto gezerrt wird. Seitdem fehlt von dem damals 53-Jährigen jede Spur.

    Nur Somchais Wagen wurde gefunden, in der Nähe eines großen Busbahnhofs im Norden Bangkoks. Die Ermittlungen liefen nur schleppend an. Dann wurden fünf Polizisten angeklagt, in die Entführung verwickelt zu sein. Lediglich einer der fünf Angeklagten, ein führender Polizeioffizier, ist kürzlich von einem Bangkoker Gericht zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden: Der Vorwurf lautete auf illegale Festnahme. Der Polizeimajor gilt als derjenige, der den Muslim-Anwalt Somchai gewaltsam in das Auto gestoßen hat. Vier weitere Angeklagte werden freigesprochen – aus Mangel an Beweisen.

    Nicht nur Somchais Frau, Angkhana Neelaphaijit, sondern auch Menschenrechtsorganisationen zeigen sich über das Urteil enttäuscht. Denn der Fall ist keineswegs geklärt: Schließlich liegen bis heute keine offiziellen Erkenntnisse darüber vor, was tatsächlich mit dem prominenten Rechtsanwalt passiert ist. Alles, was der Jurist am 12. März 2004, dem Abend seiner Entführung, an persönlichen Habseligkeiten bei sich trug, bleibt ebenfalls unauffindbar. Angkhana Neelaphiajit will endlich Aufklärung:

    "Das Urteil hat gezeigt, dass die Frage nach seinem Verschwinden und was tatsächlich mit ihm passiert ist, ungelöst bleibt. Das zu klären, ist die Verantwortung der thailändischen Regierung. Das Gericht hat angemerkt, dass die Angeklagten keinen Grund hatten, Somchais persönliche Sachen an sich zu nehmen. Das ist für mich ein Anzeichen dafür, dass sie ihm in Wirklichkeit nach dem Leben trachteten. "

    Somchai Neelaphaijit hatte sich vor allem für die Menschen aus den muslimisch dominierten Südprovinzen Yala, Pattani und Narathiwat eingesetzt. Er verteidigte Klienten, denen die Behörden vorwarfen, mit Separatisten oder Terroristen unter einer Decke zu stecken. Noch kurz vor seiner Entführung und mutmaßlichen Ermordung hatte der Anwalt öffentlich angeprangert, dass einige seiner Klienten in Polizeigewahrsam gefoltert worden waren. Längst wird vermutet, dass höhere Polizeikreise den Befehl dazu gegeben hatten, Somchai aus dem Weg zu räumen.

    Im vergangenen Sommer war Angkhana Neelaphaijit eingeladen, ihren Fall vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf vorzutragen. Dort beklagte sie, dass die Ermittlungen zum gewaltsamen Verschwinden ihres Mannes in Thailand überhaupt keine Fortschritte gemacht hätten. Vor allem nach dem jetzt gefällten Gerichtsentscheid gegen die fünf Polizeioffiziere werden die Rufe nach einer unabhängigen Untersuchung immer drängender. Angkhana Neelaphaijit kritisiert:

    "In einem Fall wie diesem, wo die Polizei beauftragt wurde, Ermittlungen gegen andere Polizisten durchzuführen, können wir nicht erwarten, irgend etwas zu bewirken. "

    In den muslimisch dominierten Südprovinzen wurde das Gerichtsverfahren gegen die Polizisten besonders aufmerksam verfolgt: Es galt als Test dafür, ob es der Regierung ernst damit ist, den Fall Somchai aufzuklären. Viele Muslime wurden jedoch in ihrer Meinung bestärkt, dass vom Staat keine Gerechtigkeit zu erwarten ist.

    Somchai Neelaphaijit ist kein Einzelfall. Wie viele Menschen in den vergangenen Jahren in Thailand spurlos verschwunden sind, ist nicht bekannt. Thailands Nationale Menschenrechtskommission hatte einmal geschätzt, dass es sich seit Januar 2004 um mehr als 200 Opfer allein im Süden handelt. Aufklärung ist nicht in Sicht, moniert Sunai Phasuk von der Organisation "Human Rights Watch":

    "Seht euch doch die Not der Familien an, die zurückbleiben. Seht die Not von Angkhana und ihrer Familie, und wie hart sie gegen Vorurteile kämpfen müssen. Somchai Neelaphaijit war vor seinem Verschwinden ein hoch profilierter, respektierter Menschenrechtsanwalt in der thailändischen Gesellschaft. Und alles, was wir als Antwort bekommen, ist Schweigen, Lügen und eine Verzerrung der Wahrheit. Und dann schauen wir uns doch mal die einfachen Dorfbewohner im Süden an, denen das gleiche Schicksal widerfahren ist und die ebenfalls verschwunden sind. Niemand beschäftigt sich mit deren Fällen. Für mich ist das eine Art doppeltes Verschwinden. "

    Für internationale Beobachter, die mit dem Fall Somchai vertraut sind, ist es offensichtlich, dass die Entführung des Anwalts mit dessen Engagement für die Muslime im Süden zusammen hängt. Als mutmaßliche Rebellen im Januar 2004 ein Armeecamp in der Provinz Narathiwat überfielen, verhängte Premier Thaksin Shinawatra daraufhin sofort das Kriegsrecht über die Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat. Auch dagegen hatte der Jurist Somchai protestiert. Die Regierung hob das Kriegsrecht im vergangenen Jahr tatsächlich auf, aber nur, um stattdessen eine Notstandsverordnung durchzudrücken. Diese verleiht Thaksin fast unbegrenzte Vollmachten.

    Doch der blutige Konflikt kann nicht mit Härte gelöst werden. Ohnehin fühlen sich viele Muslime im mehrheitlich buddhistischen Thailand von staatlichen Stellen und Sicherheitskräften diskriminiert. Die Terrorismusexpertin Francesca Lawe-Davies von der anerkannten Organisation "International Crisis Group":

    "Dass die Stimmung zugunsten der Aufrührer aufgeheizt wurde, liegt auch daran, dass die Autoritäten als korrupt gelten und Machtmissbrauch betreiben, an Folter in Gefängnissen, am Verschwinden von Menschen und mutmaßlichen extralegalen Hinrichtungen und dass all dem nur selten ernsthafte Ermittlungen folgten. Seit den 70er Jahren ist daraus ein Gefühl der Ungerechtigkeit erwachsen. Und das alles zusammen wurde, seit die Gewalt 2004 erneut ausgebrochen ist, auf die Spitze getrieben durch die ungeschickte Handhabung der Regierung und die Weigerung, Befehlshaber für ihre Fehler zur Verantwortung zu ziehen. "

    Längst haben die Gewalttaten in Südthailand und die Entführung des Juristen Somchai internationale Schlagzeilen gemacht. Derweil bemüht sich Thailands Premier Thaksin Shinawatra öffentlich um Schadensbegrenzung: Nach neuesten Erkenntnissen von Ermittlern wisse er jetzt, dass der Anwalt Somchai tot sei und dass offizielle Stellen darin verwickelt seien. Die Ermittlungen sollen jetzt neu aufgerollt werden. Somchais Frau Angkhana will nur eines: Dass der oder die Drahtzieher gefasst werden.