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Korruptionsskandal erschüttert Tschechien

In der tschechischen Republik ist es gerade das Thema Nummer eins: Der Korruptionsskandal um den ehemaligen Prager Oberbürgermeister Pavel Bém und den Bau- und Medienunternehmer Roman Janousek, der offenbar die Politik der tschechischen Hauptstadt kontrolliert hat.

Von Kilian Kirchgeßner | 12.04.2012
    Sein wichtigstes Werkzeug war das Mobiltelefon. Gespeichert hatte Roman Janousek die Nummern von sämtlichen Größen in der Prager Politik, mit vielen war er regelmäßig im Kontakt.

    Was er nicht wusste: Der tschechische Geheimdienst hat die Gespräche mitgeschnitten, so wie dieses hier mit dem früheren Prager Oberbürgermeister Pavel Bem. In kurzem Ton gibt Janousek dem Oberbürgermeister Befehle.

    Der Pate von Prag – so wird Roman Janousek von vielen Tschechen genannt. Durch eine Indiskretion sind die Telefonmitschnitte an die Öffentlichkeit gelangt, und sie geben Einblick in ungeahnt tiefe Abgründe der Politik: Da fragt der Oberbürgermeister vor wichtigen Entscheidungen wie ein Schuljunge nach, was er tun solle. Der Pate Roman Janousek hatte so bei Bebauungsplänen, Grundstücksverkäufen, Privatisierungen und Personalfragen offenbar die eigentliche Entscheidungsgewalt.

    "Endlich kommt raus, worüber man hier in Tschechien schon lange spricht,"

    … sagt Bob Fliedr von der Prager Anti-Korruptions-Stiftung.

    "Jeder, der das Geschehen verfolgt hat, wusste etwas von diesen Geschäften, aber es fehlte der Beweis. Dass der jetzt so unmissverständlich erbracht ist – das ist ein Novum."

    Keine Entscheidung in Prag konnte ohne Roman Janousek getroffen werden, sagen Kenner der Szene. Im Gegenzug wohnte der Prager Oberbürgermeister in einer luxuriösen Villa, legte sich eine Armbanduhren-Sammlung zu und führte im Urlaub eine Expedition auf die höchsten Himalaya-Gipfel an – ein Lebensstil, der mit dem üblichen Gehalt nicht zu finanzieren gewesen wäre. Die aufgetauchten Abhörprotokolle bringen neben dem früheren Oberbürgermeister Pavel Bem auch seine bürgerliche Partei ODS in existenzielle Nöte – zur ODS gehört auch der tschechische Premierminister Petr Necas. Pavel Bems Nachfolger im Prager Rathaus, Bohuslav Svoboda, hat ebenfalls das ODS-Parteibuch – er ist einer der wenigen, die das Problem offen ansprechen.

    "Das ist nicht nur ein Problem der Prager ODS, sondern der gesamten Partei und des gesamten Politikverständnisses. Im Rathaus haben wir jetzt mit allen diesen Praktiken aufgeräumt."

    Damit spricht Bohuslav Svoboda einen heiklen Punkt an – denn tatsächlich ist der zwielichte Prager Geschäftsmann Roman Janousek wohl nur einer von vielen Akteuren der politischen Korruption im Land. Beobachter sprechen davon, dass es mehrere regionale Fürsten gebe, die sich Macht und Einfluss systematisch aufgeteilt hätten. Bob Fliedr von der Anti-Korruptionsstiftung, die von Prag aus den Kampf gegen die Bestechlichkeit aufgenommen hat:

    "Der aktuelle Fall ist sicherlich für die anderen Paten eine Warnung. Aber an ihren Aktivitäten dürfte das nichts ändern, so lange nicht der erste große Fisch auch tatsächlich gebraten wird. Wenn die Beteiligten am Prager Fall tatsächlich ins Gefängnis müssten, wäre das eine grundlegend neue Situation."

    Ein bizarrer Randaspekt an der Causa Janousek in Prag zeigt, dass sich die Machtverhältnisse möglicherweise tatsächlich verschieben – und auch, was sich die ominösen Paten in der Vergangenheit offenbar alles erlauben konnten: Kurz nach der Veröffentlichung der Abhörprotokolle beging der mutmaßliche Pate Roman Janousek mit 2,2 Promille im Blut nach einem Unfall Fahrerflucht – und überfuhr dabei eine Frau, die ihn aufhalten wollte. Die Polizisten fassten ihn wegen seiner guten Kontakte zu den Mächtigen mit Samthandschuhen an. Früher wäre der Fall wohl ohne Weiteres Aufhebens zu den Akten gelegt worden. Diesmal allerdings nicht: Bei der Polizei rollten wegen der nachsichtigen Behandlung des Delinquenten mehrere Köpfe, die Justiz bereitet ein Strafverfahren vor. Geholfen hat dabei sicherlich der öffentliche Druck auf die Ermittlungsbehörden. Die denken jetzt über effizientere Strukturen nach, denn ihre Erfolgsbilanz im Kampf gegen Korruption geht in den vergangenen 20 Jahren gegen Null.