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Kosmische Visionen

Raumfahrt.- Es gleicht fast einem Popstar-Casting im Fernsehen: Die Europäische Weltraumagentur Esa sucht unter dem Titel "Cosmic Visions" nach neuen Missionen im All. Nun durften sechs Bewerber einer Fachjury ihre Pläne präsentieren.

Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen im Gespräch mit Ralf Krauter | 04.12.2009
    Ralf Krauter: Cosmic Vision – kosmische Vision – so nennt sich das Wissenschaftsprogramm der europäischen Weltraumagentur Esa. Und für Zeitraum 2015 bis 2025 ist man derzeit auf der Suche nach Missionen, die diesem visionären Anspruch gerecht werden. Sechs besonders aussichtsreiche Projekte wurden diese Woche in Paris präsentiert. Mein Kollege Dirk Lorenzen war beim Schaulaufen der Sternenforscher dabei. Herr Lorenzen, wie muss man sich das vorstellen? Klingt ja ein bisschen wie eine fiktive Fernsehshow mit dem Titel "Die Esa sucht das Superprojekt".

    Dirk Lorenzen: Herr Krauter, ein bisschen ist es so, die Kandidaten hatten jeweils eine Stunde, um sich zu präsentieren. Sie sollten dabei die wissenschaftlichen Ziele darlegen, das technische Konzept, wie sie eben dann dieses Projekt umsetzen wollen. Und das Ganze fand vor einem Publikum statt. Auch sehr erlaucht, 300 Astronomen, aus Europa die meisten, aber manche auch aus aller Welt. Und ganz wichtig: Eine Jury gab's natürlich auch. Die saß in der ersten Reihe. Das waren die Mitglieder der Esa-Gremie, die dann darüber mal zu entscheiden haben. Aber anders als beim Superstar: Es wurde niemand sofort rausgewählt.

    Krauter: Telefonjoker gibt's auch keine. Welche Projekte sind denn im Rennen dort?

    Lorenzen: Die liegen alle erstmal gut. Die haben so schöne Namen wie Euclid, Speaker, Plato, Marco Polo, Cross-Scale oder Solar Orbiter. Ganz kurze Stichworte: Beim einen geht es um dunkle Energien, dunkle Materie, beim anderen um die Entstehung von Planetensystemen bei fernen Sternen, es geht um das Suchen und Aufspüren von erdähnlichen Planeten bei anderen Sternen. Dann geht es um Material, das man von einem Asteroiden zurück zur Erde holen will, dann will ein Projekt das heiße Plasmagas erforschen, das durch das ganze Sonnensystem so hindurch wabert. Und beim Solar Orbit plant man, sehr nah an die Sonne heran zu fliegen und unser ... Gestirn praktisch aus der Nähe zu erforschen.

    Krauter: Verglichen mit den Visionen eines Frank Schätzing, in dessen aktuellem Bestseller es 2025 ja schon einen Aufzug ins All gibt, klingt das ja alles eher bodenständig, nicht so visionär. Was sind denn die Bewertungskriterien der Jury jetzt?

    Lorenzen: Man will schon etwas wissenschaftlich neues haben. Mann will auch etwas haben, was wirklich realisierbar ist, niemand will da Luftschlösser von denen man weiß, das man sie ohnehin nicht bauen kann. Und deswegen ist ganz wichtig, die wissenschaftliche Brillanz des Projektes, die muss stimmen. Dann muss es wirklich technisch realisierbar sein und natürlich guckt man auch sehr stark auf das Budget. Erstmals hat die Esa nämlich gezwungen, dass die Kandidaten praktisch auch die möglichen Nachteile ihrer Projekte, die Schwachpunkte, benennen. Das ist eben: Gibt es technische Hürden? Das heißt, müssen noch besondere Komponenten entwickelt werden, Technologien entwickelt werden, die heute noch nicht da sind? Da gab es externe Gutachten, die das aufgezeigt haben. Das mussten die Kandidaten mit benennen. Und beim Finanzplan hat man sich gleich nur auf eine einheitliche Esa-Arbeitsgruppe geeinigt, die hat praktisch alle Projekte durchleuchtet und gesagt, was es am Ende kosten wird.

    Krauter: Für den Finanzcheck gibt es ja gute Gründe: Die Esa ist diesbezüglich ein gebranntes Kind. Bei Projekten in der Vergangenheit sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen. Wie will man das denn jetzt verhindern?

    Lorenzen: Das ist genau das Stichwort: "Bepi Colombo", was da immer gefallen ist. Dass man einfach gesagt hat: Das darf sich nicht wiederholen. Das hofft man eben jetzt mit diesen Maßnahmen mal ein bisschen den Wissenschaftlern auch klar zu machen: Es darf so etwas wie bei Bepi Colombo nicht geben. Das ist eine Esa Merkur-Sonde, die vor fast zehn Jahren ausgewählt wurde. Die ist mittlerweile fast 50 Prozent teurer als geplant. Und das Ganze ist ein völliges Desaster. Und der Esa-Wissenschaftsdirektor David Southwood hat ja auch sehr klar gesagt, so etwas darf sich nicht wiederholen, hat auch Europas Industrie ins Stammbuch geschrieben, dass sie sich da nicht mit Ruhm bekleckert hat. Man hat da eben sehr optimistisch geschätzt. Das nützt nichts, das schadet nachher nur. Deswegen ist jetzt wichtig, die Umsetzbarkeit, auf die wird man sehr genau gucken. Luftschlösser will man eben wirklich nicht haben.

    Krauter: Wie geht es denn jetzt weiter? Das Schaulaufen war. Wann fällt die Entscheidung?

    Lorenzen: Das Beratungsgremium für die Weltraumwissenschaften wird jetzt zuerst Empfehlungen geben. Und dann gibt’s einen Programmrat, einen wissenschaftlichen Programmrat, der wird im Februar dann wirklich entscheiden. Und dann wird man so zwei bis vier – das weiß man noch nicht genau – Projekte auswählen. Und die dürfen dann weiter studiert werden. Richtig entschieden wird dann erst 2011.

    Krauter: Wagen Sie eine Prognose? Wer wird das Rennen machen? Gibt’s jemanden, der schon gesetzt ist?

    Lorenzen: Es gibt fast gesetzt, also ein bisschen kurios. Wahrscheinlich wird man nur Geld haben, um wirklich zwei Projekte, der Solar Orbiter, diese Sonnensonde, die ist in einer so engen Kooperation mit der Nasa bisher schon entstanden. Und der Nasa-Vertreter war vor Ort. Das wäre jetzt fast ein Affront, das Ganze abzubrechen. Speaker, dies mit den entstehenden Planetensystemen ist ein Instrument auf einem japanischen Satelliten. Das sieht auch ziemlich sicher aus. Ja, dann darf man sich fragen, vielleicht diese kuriose Mission mit den Cross-Scales, mit den sieben kleinen Sonden nach dem Plasmafeld. Aber da ist es ganz schwer zu sagen: Zwei sind fast gesetzt, der Dritte muss dann Glück haben.

    Krauter: Informationen und Einschätzungen zu den kosmischen Visionen der Esa. Vielen Dank an Dirk Lorenzen.