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Kosmischer Grenzgänger

Seit 1977 fliegen die Raumsonden Voyager 1 und 2 durchs All und bewegen sich unaufhaltsam auf die Grenze des Sonnensystems zu. Das amerikanische Magazin "Science" berichtet nun, dass es dort draußen doch etwas anders zugeht als bislang vermutet.

Von Guido Meyer | 28.06.2013
    Was wie Walgesang klingt, ist eine Aufnahme der amerikanischen Voyager-Raumsonden. Anhand ihrer Daten hat die US-Weltraumbehörde NASA den sogenannten Termination-Schock am Rand unseres Sonnensystems hörbar gemacht. Hier lässt der Einfluss der Sonne allmählich nach. Die elektrisch geladenen Partikel des Sonnenwindes treffen auf Gegenverkehr, auf die interstellare kosmische Strahlung, auf Teilchen zwischen den Sternen. Heliosheath, also etwa Sonnenumhüllung, nennen Astronomen dieses Gebiet. Es ist etwa 100 Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde. Diese Gegend durchfliegen die beiden Voyager-Sonden derzeit. Und siehe da:

    "”Am 25. August letzten Jahres hat Voyager 1 einen plötzlichen Rückgang von Sonnenwindpartikeln gemessen. Sie nahmen schlagartig um einen Faktor 1000 ab, so dass sie fast komplett verschwunden waren. Gleichzeitig haben wir einen Anstieg interstellarer Teilchen um 20 bis 30 Prozent festgestellt. Dabei handelt es sich um die Bestandteile der kosmischen Strahlung aus dem Bereich zwischen den Sternen. Also dachten wir ‚aha, jetzt haben wir die Grenze unseres Sonnensystems überschritten und befinden uns in der Galaxie`.""

    Der Physiker Stamatios Krimigis vom Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University im US-Bundesstaat Maryland ist Chef-Wissenschaftler von Voyager 1. Was die Physiker vor fast einem Jahr an Daten empfangen haben, entsprach zunächst dem, was sie am Rand des Sonnensystems erwartet hatten.
    "Aber dann zeigte sich, dass das magnetische Feld, dass Voyager 1 derzeit durchfliegt, immer noch parallel zur Ebene der Planetenbahnen ausgerichtet ist. Im interstellaren Raum sollte es senkrecht dazu sein. Ist es aber nicht."

    Jedenfalls noch nicht. Voyager 1 scheint das Sonnensystem doch noch nicht ganz verlassen zu haben. Und so war Umdenken angesagt.

    "Aus diesen Messungen haben wir geschlossen, dass Voyager 1 sich jetzt zwar in einer anderen Region unserer Milchstraße befindet. Sie unterliegt aber immer noch den Einflüssen des Magnetfelds der Sonne. Das war für uns völlig unerwartet und nicht vereinbar mit unseren bisherigen Modellen zur Beschaffenheit des Rands unseres Sonnensystems."

    Dass es sich bei den jüngsten Messungen, die die Sonde mehr als 20 Milliarden Kilometer weit zur Erde geschickt hat, nicht um Messfehler handelt, zeigt die Tatsache, dass das Wechselspiel zwischen Anstieg und Abfallen von Teilchen des Sonnenwindes und interstellaren Teilchen insgesamt fünfmal beobachtet wurde.

    "Das mehrfache Überschreiten dieser Grenze lässt sich am besten erklären, indem man sich diese Region nicht als eine statische Grenze vorstellt, sondern eher wie eine Welle am Strand, die sich mal vorwärts und mal rückwärts bewegt."

    Der Astrophysiker Leonard Burlaga vom Goddard Space Flight Center der NASA in Maryland war ebenfalls an der Auswertung der jüngsten Voyager-Daten beteiligt. Er betont, dass das Verständnis des exakten Aufbaus des Rands des Sonnensystem wichtig sei über unser eigenes Planetensystem hinaus.

    "Die Sonne ist ein durchschnittlicher Stern. Daher glaube ich, dass wir bei vielen Sternen einen ähnlichen Einflussbereich vermuten können, wenn nicht sogar bei den meisten. Das ist einer der Gründe, warum wir den Rand unseres Sonnensystems verstehen sollten."

    Und der ist anscheinend komplizierter aufgebaut, als unsere Schulweisheit es uns bislang träumen ließ. Es könne noch Monate oder Jahre dauern, bis die Raumsonde wirklich den Bereich zwischen den Sternen erreicht und unser Sonnensystem samt seiner rätselhaften äußeren Begrenzung hinter sich gelassen hat, glaubt Voyager-1-Chef-Wissenschaftler Stamatios Krimigis.

    "‘Twilight Zone‘ wäre wohl eine gute Beschreibung für diese Region unseres Sonnensystems. Es ist eine verschwommene Gegend, die wir nicht so recht durchschauen können. Und wir können derzeit keine seriösen Vorhersagen treffen, weil uns unsere bisherigen Theorien im Stich gelassen haben. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Natur erfinderischer ist, als wir es sind."