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Kosmischer Kannibalismus

Planetologie. - Die Frühzeit des Sonnensystems war eine raue Zeit, in der selbst Planeten miteinander verschmolzen. Auch bei Neptun soll das der Fall sein, was auch das merkwürdige Verhalten seines Mondes Triton erklären könnte, der seinen Planeten entgegen der Hauptrotationsrichtung umkreist.

Von Guido Meyer | 20.05.2010
    Andere Sonnensysteme, andere Sitten. Alle Gasplaneten außerhalb unseres Sonnensystems, die in den letzten Jahren entdeckt wurden, halten sich nahe bei ihrem Stern auf. Denn dort war zu Entstehungszeiten des jeweiligen Planetensystems das meiste Material in Form von Gas und Gestein vorhanden. Wie kann dann ein Gasriese wie Neptun überhaupt so weit draußen, am Rande unseres Sonnensystems, entstanden sein?

    "Uranus und Neptun sind nach außen gewandert. Die Planeten haben sich aus dem inneren Sonnensystem, wo sie entstanden sind, an dessen Rand bewegt. Je mehr Gas aus der protoplanetaren Gas- und Staubscheibe um die Sonne verschwindet, desto weniger Reibung hat die beiden Planeten auf ihrem Weg aufgehalten. Das äußere Sonnensystem dünnte in dem Maße aus, wie sich weiter innen Materie zu Planeten zusammenballte. Diesen frei werdenden Raum haben Uranus und Neptun eingenommen."

    Steve Desch von der Schule für Erd- und Weltraumwissenschaften der Arizona State University in Tempe. Auf ihrer Wanderung nach außen wurden die beiden dann von der Schwerkraft der größeren Gasplaneten Jupiter und Saturn aufgehalten. Ihr Gravitationseinfluss wirkte wie eine Bremse, die Uranus und Neptun letztlich, nach ein paar hundert Millionen Jahren, auf kreisrunde Bahnen zwang. So ganz ohne Zwischenfälle verlief diese Wanderschaft jedoch nicht:

    "Die beiden müssen ihre Positionen getauscht haben, da Neptun der schwerere der beiden Planeten ist. Er muss deswegen näher an der Sonne entstanden sein als Uranus, da dort mehr Material zur Verfügung stand. Irgendwann müssen sich die beiden so nahe gekommen sein, dass Neptun nach außen und Uranus nach innen geschleudert wurde."

    Damit ist das Pingpong im äußeren Sonnensystem jedoch noch nicht beendet. Denn bei einer weiteren Begegnung mit einem Planeten soll Neptun diesen diesmal nicht überholt, sondern gleich geschluckt haben. Simon Porter, ebenfalls Astronom an der Arizona State University:

    "In einem Sonnensystem, in dem sich die meisten Planeten näher an der Sonne befinden, gibt es dort draußen, wo Neptun und Uranus heute sind, Platz für einen dritten Eis- und Gasriesen. Den sehen wir heute aber nicht. Er muss irgendwohin verschwunden sein. Wahrscheinlich wurde er von Neptun geschluckt, als dieser die Umlaufbahn dieses angenommenen Planeten Amphitrite."

    Amphitrite ist in der griechischen Mythologie die Mutter Tritons, der wiederum ein Mond Neptuns ist – allerdings sein ungewöhnlichster, der den Planeten auf einer geneigten Bahn entgegen der Eigendrehung des Planeten umkreist, sozusagen rückwärts. Wahrscheinlich handele es sich daher bei Triton nicht um einen ureigenen Mond Neptuns, sondern um den einstigen Mond Amphitrites, glaubt Simon Porter.

    "Um den Mond einzufangen, musste Neptun ihn abbremsen. Ansonsten wäre er an Neptun vorbeigeflogen. Schluckt Neptun jedoch den Planeten Amphitrite, bleibt der Mond über, der mit seinem Planeten auch gleichzeitig den Großteil seiner Bewegungsenergie verloren hat. Somit konnte das Schwerefeld Neptuns ihn leicht einfangen."

    Die Überreste dieses kosmischen Kannibalismus lassen sich noch heute auf der Oberfläche Neptuns beobachten. Während Nachbarplanet Uranus nicht über stark ausgeprägte Wolkenbänder verfügt, sind solche auf Neptun deutlich sichtbar. Simon Porter:

    "Diese Wolken verraten uns, dass im Innern Neptuns mehr Energie vorhanden sein muss als im Innern von Uranus. Es ist wärmer. Somit gibt es stärkere Winde und damit vermehrt Wolkenbildung. Nimmt man an, dass Neptun einen kleineren Planeten geschluckt hat und rechnet dies hoch auf das Alter unseres Sonnensystems, entspricht dieser Verbrennungsprozess der Wärmeabstrahlung Neptuns, die wir heute beobachten."