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Kosmischer Kannibalismus
Astronomen entdecken theoretisch vorhergesagte Sternen-Art

Gemeinsam mit seiner polnischen Kollegin Anna Żytkow hat der US-amerikanische Astrophysiker Kip Thorne im Jahr 1975 eine neue Art von Sternen vorhergesagt. Nun sieht es so aus, als sei ein solches Thorne-Żytkow-Objekt erstmals nachgewiesen worden: ein Stern in einem Stern.

Von Guido Meyer | 18.12.2014
    Was kann es für einen Wissenschaftler Schöneres geben, als wenn eine Form von Himmelskörpern seinen Namen trägt? Auch wenn nicht klar ist, ob sie wirklich existieren. Doch doch, das sei ganz wunderbar, aber man gewöhne sich auch daran und frage sich, ob es diese theoretisch vorhergesagten Objekte wirklich gibt, gesteht Anna Żytkow vom Institut für Astronomie der Universität von Cambridge. Nach ihr und US-Kollege Kip Thorne wurden bereits in den 70er-Jahren die Thorne-Żytkow-Objekte benannt, kurz: TZO. Die heute 67-Jährige erklärt, wie sich die Wissenschaftler damals den Aufbau dieser Himmelskörper vorstellten:
    "TZO sollen so aussehen wie große, rote Sterne, mehrere hundert mal so groß wie die Sonne. Erst wenn man tief in sie eintaucht, zeigen sich Unterschiede. Statt des gewöhnlichen Kerns von etwa 1.000 Kilometer Durchmesser stoßen wir hier lange Zeit auf gar nichts. Erst wenn wir uns dem Zentrum auf rund zehn Kilometer genähert haben, begegnen wir einem ungewöhnlich harten Objekt: einem Neutronenstern."
    Neutronensterne sind die Überreste einer Supernova-Explosion. Sie sind nur wenige Kilometer groß, bestehen aber aus immens verdichteter Materie. Aber wie soll ein Neutronenstern ins Innere eines Roten Überriesen gelangen? Emily Levesque vom Zentrum für Astrophysik und Astronomie der Universität von Colorado in Boulder mit einem Erklärungsversuch:
    "Das kann passieren, wenn in einem Doppelsternsystem ein Stern explodiert und von ihm nur ein Neutronenstern übrig bleibt. Dieses winzige Objekt nähert sich dem großen, roten Stern dann spiralförmig so weit an, bis es von ihm verschluckt wird. Es bewegt sich dann Richtung Zentrum und ersetzt den bisherigen Kern des Sterns."
    Lithium, Rubidium und Molybdän im Stern nachgewiesen
    Der bisherige Kern wird bei diesem Prozess wahrscheinlich zerrissen. Mit dem Stern HV 2112 in der Kleinen Magellanschen Wolke – einer kleinen Nachbargalaxie der Milchstraße – glaubt das Astronomenteam nun, erst mal ein TZO beobachtet zu haben. Per Spektralanalyse haben sie im Innern dieses Sterns Elemente wie Lithium, Rubidium und Molybdän nachgewiesen, die normalerweise dort entweder gar nicht entstehen oder den hohen Temperaturen der Kernfusion nicht lange standhalten. Anna Żytkow:
    "Wir haben auch Kalzium beobachtet. Es gibt keine Möglichkeit für gewöhnliche Sterne, Kalzium zu produzieren. HV 2112 verfügt jedoch über hohe Vorkommen dieses Elements. Es kann nur bei Temperaturen von mehreren hundert Millionen Grad Celsius entstehen, die bei der Zerstörung des bisherigen Sternkerns durch den eindringenden Neutronenstern frei werden."
    Wahrscheinlich entstehen all diese eher schweren Elemente genau an der Grenze zwischen Neutronenstern und rotem Überriesen, an den Stellen, wo das extrem dichte Gas des Neutronensterns mit dem kälteren Gas im Innern des umgebenden Sterns wechselwirkt – so die Theorie der Astronomen. Nach der Spektralanalyse wollen sie als nächstes seismische Methoden für ihre Arbeit nutzen.
    "Die Asteroseismologie sucht Sterne danach ab, ob sie leicht pulsieren. Die Art, wie ein Stern ganz minimal oszilliert, gibt Aufschlüsse über die Beschaffenheit seines Kerns. Weil diese Schwingungen so minimal sind, funktioniert das jedoch nur bei ganz hellen Sternen in unserer eigenen Galaxie."
    Solche Objekte muss das Astronomenteam erst noch ausfindig machen. Erst dann kann die "Kannibalismus-Theorie" anhand weiterer Sterne überprüft werden. Offen ist auch noch, wie solche TZO irgendwann erlöschen, ergänzt Emily Levesque.
    "Der Stern würde wahrscheinlich sein Leben beenden, wenn der Neutronenstern in seinem Innern unter seiner eigenen Masse kollabiert und zu einem Schwarzen Loch wird. Ob der Rote Überriese dann einfach nur erlischt und im Schwarzen Loch in seinem Innern verschwindet oder ob das gesamte Objekt explodiert – das können wir derzeit nicht beantworten."
    Bestätigen sich die Messungen und finden die Forscher weitere solcher Objekte, wäre die Existenz einer vorhergesagten Form von Sternen nach fast vier Jahrzehnten Theorie bestätigt worden.